Sie wedeln mit dem Schwanz, haben Schlappohren und lieben Streicheleinheiten. Wer nun denkt, es kann sich dabei nur um Hunde handeln, liegt falsch. Die geschilderten zutraulichen Vierbeiner sind nämlich Füchse. Ihre Heimat befindet sich in einem abgelegenen Ort nahe Akademgorodok im russischen Sibirien. Dort begannen vor rund 60 Jahren, also noch zu Sowjetzeiten, Experimente zur Domestizierung von Meister Reineke. Federführend waren die Biologen Dmitri Beljajew und Ludmila Trut. Wobei Trut noch heute, im hohen Alter, Füchse zähmt.

Die verwegene Idee dazu entstand 1953, als der damals 35-jährige Beljajew – der 1985 starb – wissen wollte, wie aus dem wilden Wolf der beste Freund des Menschen wurde und wie sich diese Zähmung auf andere Tiere übertragen lässt. Er besuchte eine befreundete Leiterin von Fuchsfarmen, um sie zu überreden, Experimente durchzuführen. Diese sollten beweisen, dass sich Füchse ebenso domestizieren lassen wie einst der Wolf. Da Genforschungen in der damaligen UdSSR verboten waren, musste alles unter höchster Geheimhaltung stattfinden. Als Deckmantel diente der Vorwand, dass die Forschungen helfen sollten, die Pelzqualität zu verbessern.

Als der Wissenschaftler grünes Licht erhielt, fiel seine Wahl auf Silberfüchse, eine spezielle Farbvariante des Rotfuchses. Sie wurden seit Jahrzehnten für die Pelzindustrie gezüchtet und waren alles andere als zahm. Beljajew suchte sich anhand eines standardisierten Wesenstests die vermeintlich friedlichsten Tiere aus und erhielt für seine Arbeit Verstärkung von Ludmila Trut, die aktuell in ihrem Buch «Füchse zähmen» (siehe Literaturtipp) die Geschichte des aussergewöhnlichen Zuchtprojekts erzählt. 

Einfaches Zuchtprinzip
Trut hatte keinerlei Erfahrungen mit Füchsen und war zunächst vom aggressiven Verhalten der «feuerspeienden Drachen» abgeschreckt. «Ich konnte mir kaum vorstellen, dass sie sich zähmen liessen, stürzten sie sich doch knurrend auf mich los, wenn ich mich den Käfigen näherte», schreibt sie.

Es sollte jedoch anders kommen. Eines Morgens im April 1963, kurz nach der Geburt der vierten Generation von Füchsen, drehte Trut ihre tägliche Beobachtungsrunde. Als sie sich dem Gehege eines Wurfes näherte, begann ein kleines Männchen namens Ember heftig mit seinem Schwänzchen zu wedeln. Bis dahin waren Hunde die einzigen Tiere gewesen, die ein solches Verhalten gezeigt hatten. Füchse wedeln zwar in Interaktion miteinander mit dem Schwanz, aber nicht, wenn ihnen ein Mensch entgegenkommt.

Die Biologen verfuhren nun nach einem einfachen Prinzip weiter. Nur die zahmsten und zutraulichsten Füchse durften sich verpaaren. Fast jeder Welpenwurf zeigte neue, verblüffende Eigenschaften: Die Jungtiere leckten die Hände der Betreuer; rollten sich auf den Rücken, um am Bauch gekrault zu werden, und selbst erwachsene Füchse spielten mit Gegenständen, wie man es sonst nur von Haustieren kannte. 

In der zehnten Generation zeigte sich schliesslich ein weiteres typisches Domestikationsmerkmal. Mit Mechta wurde ein Weibchen mit Schlappohren geboren. Und ein paar Jahre später liess sich die Füchsin Puschinka von Ludmila Trut herbeipfeifen. Das zahme Tier zog in das Haus der Forscherin in einen extra eingerichteten Bau. Dort hielt es sich jedoch kaum auf. Stattdessen suchte es immer mehr die Nähe von Trut.

«Wenn ich mich zum Arbeiten an den Schreibtisch setzte, kam Puschinka herbei und legte sich auf das Sofa neben dem Bett», schreibt die Biologin, die völlig entzückt war, als die Füchsin später sogar auf ihr Bett sprang und sich neben ihr einrollte. «Als ich aufwachte, kroch Puschinka näher an meinen Kopf und legte ihr Gesicht ganz nahe an meins. Als ich einen Arm unter Puschinkas Kopf legte, setzte die Füchsin ihre Vorderpfoten darauf und kuschelte sich an mich wie ein Kind in die Arme seiner Mutter.»

5000 Franken für einen zahmen Fuchs
Den Grund für die Zahmheit der Füchse sucht Trut in ihrem Buch in der veränderten Aktivität von Genen, ohne dass Mutationen im Spiel seien. Nicht das Erbgut selbst werde verändert, sondern die Intensität, mit der bestimmte seiner Abschnitte abgelesen und in Moleküle wie Hormone umgesetzt werden.  Allerdings forscht die mittlerweile 84-jährige Trut noch immer und war zum Beispiel an einer Studie beteiligt, die Anfang August im Fachmagazin «Nature Ecology & Evolu­tion» erschien – und ein etwas anderes Bild zeichnet: Die Forscher verglichen das Erbgut von drei Zuchtlinien aus dem Domestizierungsexperiment: In der ersten war auf Zahmheit selektioniert worden, in der zweiten auf Aggressivität und in der dritten gar nicht. Es zeigte sich, dass nicht weniger als 103 Genregionen durch die Zucht beeinflusst worden waren. Von einem ganz speziellen Gen namens SorCS1 hatten die zahmen Füchse gar eine völlig andere Variante als ihre aggressiven Artgenossen.

Aktuell leben auf der sibirischen Fuchs­station rund 500 Tiere oder «niedliche, flauschige, entzückende Schlingel», wie Trut sie nennt. So entzückend, dass sie die speziellen Haustiere für rund 5000 Franken pro Fuchs nach Westeuropa und Nordamerika verkaufen kann. Es ist die wichtigste Einnahmequelle, um sich weiter mit ihren geliebten Zöglingen wissenschaftlich auseinandersetzen zu können.

Mehr zum sibirischen Fuchsprojekt und Videos von den gezähmten Füchsen finden Sie hier.

Literaturtipp:
Lee Alan Dugatkin, Ludmila Trut: «Füchse zähmen. Domestikation im Zeitraffer», Taschenbuch, 304 Seiten, Verlag: Springer, ISBN: 978-3-662-56135-5, ca. Fr. 20.–