Jahrzehntelang lebten die Schweizer Bergbauern in einer harten, aber heilen Welt. Der Wolf war seit Ende des 19. Jahrhunderts ausgerottet; vom Luchs gab es ebenfalls keine Spur. Das Resultat: Älpler konnten ihre Rinder, vor allem aber ihre Schafe und Ziegen frei auf kilometerweiten Weiden umherstreifen lassen, ohne sich gross um ihre Tiere sorgen zu müssen. Vielleicht verlief sich mal eines, ein anderes stürzte mal in ein Tobel – Raubtierrisse gab es jedoch schlichtweg keine.

Das hat sich jedoch im Lauf der letzten paar Jahrzehnte geändert. Wolf und Luchs sind in die Schweiz zurückgekehrt und haben rasch gemerkt, welch leichte Beute eine ahnungslose Schafherde darstellt. Auf einmal war von den Bauern und Älplern wieder Einsatz gefordert; sie mussten ihre Herden schützen. Und das erfordert doch einen beträchtlichen Aufwand. 

Elektrodrähte reichen zwar aus, um ein Ausbüxen der Schafe zu verhindern, für den Wolf stellten sie jedoch kein Hindernis dar. Wolfsichere Zäune sind vielleicht im Flachland noch möglich, diese werden den Bauern vom Bundesamt für Umwelt (Bafu) zudem vergütet. Für die Älpler mit ihren ausladenden Bergweiden sind solche Zäune technisch schlicht nicht machbar. Für sie bleibt als effektiver Schutz vor Raubtieren nur der Herdenschutzhund.

Eine Lösung ist fast immer möglich
In der Schweiz leben derzeit 365 offiziell ausgebildete Herdenschutzhunde, von ihnen sind auf mehr als 100 Betrieben rund 280 im Einsatz – das sind mehr als doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren. Die landwirtschaftliche Beratungszentrale Agridea koordiniert im Auftrag des Bafu ihre Zucht, Ausbildung und Platzierung. Denn Herdenschutzhunde sind staatlich subventionierte Arbeitswerkzeuge. Anerkannte Züchter und Ausbildner erhalten grosszügige finanzielle Entschädigungen. Bauern werden ebenfalls unterstützt, wenn sie ihre Herden mit Hunden schützen. 

Doch der Aufwand dafür ist gross: «In einem ersten Schritt muss eine interessierte Person mit dem Herdenschutzbeauftragten seines Kantons in Verbindung treten», sagt François Meyer, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Fachstelle Herdenschutz von Agridea. Dieser erklärt zunächst einmal, worauf  sich der Bauer einlässt, wenn er seine Schafe mit Hunden schützen will. 

Nach dem obligatorischen, eintägigen Theoriekurs empfiehlt Meyer einen «Schnuppertag» auf einer Weide, auf der schon Herdenschutzhunde im Einsatz sind. «Will der Bauer dann immer noch mit Hunden arbeiten, meldet er sich wieder beim Kanton.» Dieser kläre schliesslich ab, ob auf der betreffenden Alp ein Herdenschutz mit Hunden möglich ist. «Wenn ein Bauer richtig motiviert ist, dann ist eine Lösung fast immer möglich», sagt Meyer. «Wenn der Bauer Hunde nicht so toll findet, dann natürlich nicht.»

Entschliesst sich ein Landwirt zum Einsatz von Herdenschutzhunden, kann er über Agridea fertig ausgebildete und zertifizierte Tiere zu Sonderkonditionen beziehen. «Herdenschutzhunde müssen selbstständig auf der Weide arbeiten können», sagt Meyer, «das ist bei normalen Hunden nicht möglich.» Deshalb dürfen die Bauern sich auch nicht irgendwelche Hunde aus dem Ausland für den Herdenschutz anschaffen. 

Wobei, dürfen tun sie schon, aber: «Nur Hunde der Rassen Maremmano Abruzzese und Montagne des Pyrénées sind zugelassen und erst nach einer Einsatzbereitschaftsüberprüfung rechtlich als Herdenschutzhunde registriert.» Sprich: Nur für sie bekommt der Bauer Geld. 1200 Franken pro Jahr. «Das reicht, um die Kosten für Futter, Impfungen und Entwurmung zu decken», sagt Meyer. Ausserdem gibt es pauschal 2000 Franken pro Saison für einen Hirten, der zu den Hunden auf der Alp schaut.

Dass Alpen mit Herdenschutzhunden besser vor Raubtieren geschützt sind als solche ohne, liegt auf der Hand. Die Zahlen zeigen aber: Ganz wolfssicher lässt sich kaum eine Alp machen. Von den rund 300 Nutztieren, die 2017 von Wolf oder Luchs gerissen wurden, traf es knapp 30 Tiere, denen ein Schutzhund zur Seite stand. 

Konfliktzone Wandergebiete
In ihrem Jahresbericht bietet die Herdenschutz-Fachstelle eine ganze Palette an möglichen Gründen dafür an: Mal seien die Weiden zu weitläufig gewesen, mal zu wenige Hunde im Einsatz, mal hätten Risse ausserhalb der geschützten Herde stattgefunden; insgesamt deute jedenfalls nichts «auf ein eigentliches Versagen der Herdenschutzhunde hin». 

Einzelne Risse auf den Schweizer Schaf­alpen werden also wohl auch mit Herdenschutzhunden nicht zu vermeiden sein; einen ruhigeren Schlaf bescheren die Hunde ihren Haltern in der Regel trotzdem. Eine Alp, die in der Vergangenheit von Raubtieren heimgesucht wurde, muss laut Gesetz geschützt werden. Andernfalls droht das Bafu an, künftige Risse womöglich nicht mehr zu entschädigen. Wo ein Herdenschutz mit Zäunen nicht möglich ist – also auf den meisten Alpen –, sind Schafhalter also gut beraten, wenn sie sich Schutzhunde zulegen. Das passt nicht allen, zumal gerade in beliebten Wandergebieten Konflikte programmiert sind.

«Schutzhunde bewachen die Herde» steht auf dem grünen Warnschild neben jeder gut beschrifteten Alp. Vor einem Warndreieck bellt ein sympathischer Comic-Maremmano, die Schafe hinter ihm grasen friedlich. Dieses Warnschild soll Wanderer darauf aufmerksam machen, sich auf der geschützten Weide korrekt zu verhalten (siehe Box). 

Weil in der Schweiz ein Gesetz besagt, dass jedermann jede Weide frei betreten und überqueren darf, führen viele Wanderwege quer über geschützte Alpen. Weil zudem nicht alle Wanderer und Bikerinnen das Hinweisschild genau studieren, passieren jedes Jahr Beissunfälle. 23 waren es letztes Jahr: 19 davon gegen Menschen, die – wie bisher immer – allesamt glimpflich ausgingen. «Die Verletzungen bei den Begleithunden fielen hingegen im Mittel schwerer aus», schreibt die Fachstelle Herdenschutz in ihrem Jahresbericht. 

Die Verantwortung für solche Bissverletzungen trägt der Besitzer des Hundes – der Bauer. Dass das seine Liebe zu Sonntagsausflüglern und Wandervögeln nicht gerade steigert, ist verständlich. Immerhin kann sich der Hundebesitzer schützen: «Wir bieten einen Ratgeber mit Informationen an, damit Bauern ihre Sorgfaltspflicht erfüllen können», sagt François Meyer. «Wenn sie sich daran halten, sollten sie auch bei einer Anzeige keine Probleme bekommen.»