An den ersten Anruf vor zwei Jahren erinnert sich Bernadette Christen noch genau. Von ihrer Tätigkeit im Tourismus-Marketing war sie den Umgang mit Menschen eigentlich gewohnt – wenn auch mit vornehmlich vergnügten, was hauptsächlich den Themen Ferien und Reisen zuzuschreiben war. Die junge Frau hingegen, welche die 50-Jährige zu Beginn ihrer Amtszeit als Geschäftsführerin der Schweizerischen Tiermeldezentrale (STMZ) am anderen Ende der Leitung hatte, schluchzte. Ihre Katze war seit mehreren Tagen nicht mehr heimgekommen.

Bernadette Christen musste zuerst einmal leer schlucken: «Von solchen Emotionen ist man am Anfang schon überrascht», erinnert sie sich. Doch mit Trauer, Verzweiflung, mitunter Wut muss umgehen können, wer in der STMZ arbeitet. «Denn für die Menschen, die sich bei uns melden, ist oft eine Welt zusammengebrochen. Das Verschwinden ihres Tieres bedeutet für sie den Verlust eines guten Freundes.»

Überrascht war Christen aber auch darüber, wie weniger Worte und Tipps es mitunter bedarf, um Trost und Zuversicht zu spenden. Als die 50-Jährige der Anruferin erklärte, wie sie auf der Homepage der STMZ kostenlos eine Suchmeldung erfasst und was danach mit dem Eintrag geschieht, beruhigte sich die Dame. Ihre Hoffnung ruhte nun auch auf den Helfern in ihrer Region, an welche die STMZ ihre Vermisstmeldung weiterleitete. 

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       Grafik: Andreas Zangger

30 000 solcher Freiwilliger aus fast allen Teilen der Schweiz sind bei der Zentrale gemeldet. Und laufend werden es mehr. Sie können sich auf der Homepage der Institution registrieren, unter Angabe des Radius, in dem sie bereit sind, die Augen nach vermissten Tieren offen zu halten. Die Freiwilligen danach mit passenden Vermisstmeldungen aus ihrem Rayon zu versorgen, ist eine aufwendige Arbeit. Aber eine, die sich lohnt, wie Christen sagt: «Dank ihrer Hilfe sind schon viele vermisste Lieblinge gefunden worden.»

Berührende Schicksale
Um die Koordinationsarbeiten zu bewältigen, kann Christen auf ihr Team zählen. Es besteht aus einem Dutzend Mitarbeiterinnen, die mit kleinen Pensen in der STMZ tätig sind. Sie haben alle Hände voll zu tun. Allein im letzten Jahr sind in der Zentrale über 22 000 Fund- und Vermisstmeldungen aus der ganzen Schweiz eingegangen (siehe Grafik Seite 14). Der Erfolg gibt den Gründern der STMZ recht, einem Konsortium des Schweizerischen Tierschutzes (STS), der Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte (GST) sowie der Organisation ANIS (Animal Identity Service). Sie hatten die Anlaufstelle, die heute vornehmlich von Spenden lebt, vor 18 Jahren gegründet. Auslöser waren die Geschichten herrenloser Tiere und Begegnungen mit betrübten Besitzern, die ihre Lieblinge vermissten. Mitte der 1990er-Jahre erhielt die STMZ neue Strukturen und wurde in eine Non-Profit-Organisation umgewandelt. 

«Viele Schicksale berühren uns auch heute noch, obwohl unser Telefon beinahe rund um die Uhr läutet. Doch man stumpft nicht einfach ab», sagt Christen. Umso wichtiger sei es, dass man nach Dienstschluss abschalten könne. Manchmal ist das leichter gesagt als getan. Besonders gerne erinnert sich Christen an die Geschichte eines beinahe erblindeten Seniors, dessen geliebte Katze letztes Jahr verschwand. Viele Jahre lang war sie sein einziger wahrer Freund und Begleiter gewesen. In einem Moment der Unachtsamkeit hatte der betagte Herr die Haustüre offen gelassen – und weg war sein Liebling.

«Seine Tochter rief aufgelöst bei uns an und erzählte, dass sich ihr Vater schwere Vorwürfe mache, weil er nicht besser aufgepasst habe. Er könne seither weder essen noch schlafen», erzählt Christen. Eine Vermisstmeldung brachte nach ein paar Wochen schliesslich den Erfolg: Ein Mädchen aus dem benachbarten Wohnblock hatte das Kätzchen im Treppenhaus entdeckt und brachte es dem überglücklichen Senior zurück. 

Doch nicht immer entweichen Tiere durch achtlos geöffnete Türen oder Fenster. Es gibt auch andere Gründe. Christen, selber Besitzerin von zwei Katzen, hat durch ihre Arbeit in der STMZ viel über tierisches Verhalten gelernt. Zum Beispiel, dass Katzen gerne einmal während ein paar Tagen auf Wanderschaft gehen, um unvermittelt wieder aufzutauchen. «Oft suchen sich die Vierbeiner aber auch einfach ein neues Zuhause, weil ihnen die Situation am alten Ort nicht mehr behagt.» Das geschehe häufig, wenn eine Familie Zuwachs bekomme, sich einen Hund angeschafft habe – oder wenn die familiäre Situation angespannt ist. 

Gelegentlich tauchen Katzen in mehr als 100 Kilometern Entfernung wieder auf. In einem unbeachteten Moment sind sie durch eine geöffnete Seitentür in ein fremdes Auto gesprungen oder haben es sich im Kofferraum gemütlich gemacht, ohne dass der Besitzer des Wagens es gemerkt hat. Als blinde Passagiere reisten sie so quer durch die Lande. In einem solchen Fall bleibt nur die Hoffnung, dass sie irgendwann aufgrund ihrer Chips identifiziert werden. Das kann laut Christen auch einmal ein oder zwei Jahre dauern. Aus diesem Grund rät die STMZ, Einträge lange auf der Homepage zu lassen. 

Ziel: eine umfassende Datenbank
«Zurzeit häufen sich Vermisstmeldungen aber auch bei den Hunden. Sie spüren den Frühling, werden übermütig, reissen sich gerne los.» Doch nicht nur Katzen, die das Gros vermisster Tiere ausmachen, und Hunde werden von ihren Besitzern verzweifelt gesucht. Zurzeit sind über 30 Reptilien als vermisst gemeldet, meist Geckos und andere harmlose Echsen. Prekär wird es laut Christen hingegen, wenn giftige Tiere entweichen. In einem solchen Fall nimmt die STMZ nicht nur eine Vermisstmeldung entgegen, sondern klärt die Besitzer über ihre Pflichten auf. «Wenn es sich um gefährliche Tiere handelt, legen wir den Betroffenen nahe, die Polizei zu informieren. Dazu sind sie verpflichtet», erklärt Christen. Zu den Aufgaben der STMZ gehört es laut den Statuten, die Tierbesitzer auf gesetzliche Bestimmungen hinzuweisen.  Das Konzept scheint aufzugehen. Die Datenbank wächst rasant. Mit der Folge, dass unter den Einträgen immer auch solche zu finden sind, die zum Schmunzeln anregen. 

Kürzlich meldete eine Frau, eine ihrer Hausmäuse sei in den Garten entschwunden. Eine Vermisstanzeige wurde zwar aufgeschaltet. Doch die Besitzerin musste einsehen, dass die Chance gering ist, dass das kleine Tierchen wieder auftaucht. Manchmal nehmen aber auch die Grossen Reissaus: eine Kuh etwa. Oder wie vor Kurzem eine Zuchtgeiss, die während eines Transports entwischte. Hier kann die STMZ allerdings nicht helfen. «Wir sind nur für alle Arten von Haustieren zuständig, und nicht für Grosstiere», sagt Christen.

Immer wieder werden zudem Tiere als gefunden gemeldet, die niemand vermisst. Gerade bei Schildkröten, die alt werden und ihre Besitzer oft überleben, ist das der Fall. Mit der Folge, dass die Statistik mitunter mehr gefundene als verlorene Tiere ausweist.

Ohne Hightech geht nichts
Nicht mehr wegzudenken aus der Tiersuche ist Hightech: vor allem die Chips, welche Tieren implantiert werden. Dank ihnen können Tierärzte und Behörden mit speziellen Lesegeräten deren Identität feststellen. Mit den Angaben lassen sich auf der Homepage der STMZ gezielte Fundmeldungen erstellen. Sobald sie erfasst sind, wird die STMZ aktiv: «Jedes vermisste Tier, das entdeckt wird, muss von Gesetzes wegen bei der Fundmeldestelle des Kantons gemeldet werden», sagt Christen. Dieses Aufgabe übernimmt die STMZ.

Das Tierheim «Paradiesli» in Ennetmoos ist eines von vielen, die mit der Datenbank der STMZ arbeiten. Tiere, die gefunden und im Heim abgegeben wurden, trägt es gleich selber ein. Bereits arbeitet auch über die Hälfte der Kantone mit der Datenbank der STMZ. Eine Zusammenarbeit, die laut Christen Sinn macht. Denn je vollständiger die Datensätze sind, desto erfolgreicher kann Tieren und ihren Besitzern geholfen werden, über die Kantonsgrenzen hinweg. Mittlerweile sei die STMZ sogar in der Lage, Adressen des nächsten Tierarztes oder eines Tierheims in der Nähe zu vermitteln, wenn jemand ein verletztes Tier findet und sich bei ihr meldet.

Ein ausgeklügeltes System 
Wie gross die Erfolgsquote allerdings effektiv ist und welche Geschichte hinter dem Verschwinden steckt, kann Christen nur abschätzen. Oft werden Vermisstmeldungen gelöscht, ohne Angabe von Gründen: «Unsere Zahlen basieren auf den Mitteilungen, die uns Sucher oder Finder bei ihren Einträgen auf der Datenbank hinterlassen. Doch das ist freiwillig.»

Darauf hält sie inne. Ihre Kollegin weiter hinten im Büro scheint gerade einen erfreulichen Anruf erhalten zu haben. Das Lächeln, das über ihr Gesicht huscht, spricht Bände. Tatsächlich, ein lang gesuchtes Kätzchen ist wieder aufgetaucht. Der Finder, einer der freiwilligen Helfer der STMZ, hat es aufgrund des Fotos erkannt und die Besitzerin kontaktiert. Möglich geworden ist das dank des ausgeklügelten Systems: Es gleicht Fund- und Vermisstmeldungen auf der Homepage laufend automatisch ab. Über mögliche Treffer werden Finder und Suchende per E-Mail informiert. Zugleich sind alle Meldungen mit Kontaktdaten versehen, was eine direkte Kontaktaufnahme erlaubt. Und so hält auch diese Besitzerin ihr Kätzchen wohl wieder in den Händen. Eines ist dem STMZ-Team gewiss: der Dank derjenigen, die ihre Lieblinge zurückhaben.