Er sei ein Katzenfan und gleichzeitig aber auch ein aktiver Naturschützer, sagt Urs Tester von der Abteilung Biotope und Arten bei der Naturschutzorganisation Pro Natura: «Das ist kein Widerspruch.» Wer nun allerdings meint, er könne sein Büsi künftig mit naturfachmännischem Segen durch die Quartiere streifen lassen, hat sich zu früh gefreut. Laut Tester hängt eine verantwortungsvolle Katzenhaltung nämlich entschieden davon ab, wie viel Aktionsradius man seinem Büsi zubilligt. «Kein anderes Haustier spaziert einfach frei in der Gegend herum», sagt Tester und fügt an: «Ich habe keine Chance, meinen Garten katzenfrei zu halten.»

Frei laufende Katzen töten Mäuse, Spitzmäuse, Fledermäuse, Eidechsen, Blindschleichen, Frösche, Kröten. Und weil es viele Katzen hat, ist auch die Zahl der getöteten Kleintiere gross. Wie gross genau, kann keiner beziffern. Laut Tester gibt es aber gute Schätzungen. Demnach werden hierzulande jährlich 10 Millionen Mäuse, 1,8 Millionen Vögel, 600 000 Reptilien und 3 Millionen Schmetterlinge von Katzen getötet. Jedes zehnte Tier gehört zu einer geschützten Art.

Aktionsradius der Katzen unterschätzt
Unter den Vögeln trifft es laut einem Merkblatt der Schweizerischen Vogelwarte Sempach vorwiegend häufige Arten wie Amseln, Rotkehlchen, Meisen, Finken und Sperlinge. Ob «nur» das einzelne Individuum zu Schaden kommt oder ob Katzen in der Schweiz zum Rückgang von Vogelarten beitragen, ist laut Tester unklar. Klar ist hingegen, dass die domestizierten Räuber zum Rückgang seltener Reptilienarten beitragen: «Es gibt mehrere Fallbeispiele, die zeigen, dass Zauneidechsenpopulationen unter Katzeneinfluss erloschen sind und umgekehrt Beispiele, dass sich die Populationen erholten, als man sie vor Katzen schützte.»

Gemäss Schätzungen aus dem Jahr 2008 werden in der Schweiz rund eineinhalb Millionen Katzen gehalten. Mehr als eine Million geniesst Freigang. Auch wenn die meisten Katzen «Haustiere» sind, gewährt man ihnen einen grossen Aktionsrahmen. «Die meisten Halter unterschätzen das Wirkungsfeld ihrer frei laufenden Katze», sagt Tester dazu. «Sie gehen davon aus, dass sich ihr Tier die meiste Zeit über in der Nähe ihres Zuhauses aufhält. Tatsächlich sind Katzen auf einer Fläche von rund acht Hektaren unterwegs.»

Katzen seien früher Nutztiere gewesen und hätten als Mäusejäger nicht nur dem eigenen Besitzer, sondern auch den Nachbarn viel Freude gemacht, sagt Tester. So sei die bis heute gepflegte Kultur der frei laufenden Katze entstanden. Das Problem sei, dass sich die Zeiten inzwischen geändert hätten, Katzen aber immer noch gehalten würden, als ob wir alle auf Bauernhöfen leben würden. «Wir müssen uns bewusst sein, dass es der Nachbar womöglich nicht so lustig findet, wenn unsere Katze in sein Gemüsebeet macht und die Vögel frisst.»

Glöggli-Halsbänder und Stoffhalskrausen
Für den Naturschützer ist denn auch klar, dass ein verantwortungsvoller Katzenhalter seinen Liebling im Haus behält. «Wieso soll ein Tier, das wir streicheln und gernehaben, einen Kilometer weit von uns entfernt herumstreunern und womöglich auf der nächstbesten Strasse überfahren werden?», fragt Tester bewusst pointiert. Dass eine tiergerechte Katzenhaltung Freigang zwingend vorsieht, ist laut Tester nämlich nachweislich falsch: «Wenn Katzen von klein auf an die Wohnungshaltung gewöhnt sind und auch genügend beschäftigt werden, fehlt ihnen nichts.»

Wer seinen Katzen bereits seit längerer Zeit Freigang gewährt, sollte allerdings auf eine Umgewöhnung verzichten. Laut der Stiftung für das Tier im Recht ist eine solche Umstellung wenig sinnvoll beziehungsweise kaum machbar. Wer die Natur aber trotz Aussen-Katze bestmöglich schützen will, hat verschiedene Möglichkeiten. Eine am Baumstamm angebrachte Manschette aus Blech oder Plastik erschwert beispielsweise den Zugang von Katzen zu Nistplätzen.

Auch «Glöggli»-Halsbänder sind laut Tester sinnvoll: «Sie halbieren den Jagderfolg von Katzen auf Vögel.» Eine von zwei Katzen- und Naturfreundinnen entwickelte bunte Stoffhalskrause (www.birdsbesafe.com) ist sogar noch effektiver. Tiere mit Krause erwischten gemäss einer amerikanischen Studie 19-mal weniger Vögel als ihre «unbetuchten» Kollegen. Reptilien und Amphibien hingegen profitieren weder vom Glöggli- noch vom Stoffhalsband. Sie sind auf Erschütterungen angewiesen, um eine Gefahr zu erkennen.

Reptilien und Amphibien ist mehr gedient, wenn ein Garten möglichst viele Verstecke bietet, etwa Ast- und Steinhaufen, hohl liegende Bretter und Trockenmauern. Beliebte Sonnenplätze von Eidechsen können mit Dornensträuchern abgedeckt werden. Etwaige Futterhäuschen für Vögel müssen möglichst katzensicher montiert werden – etwa frei hängend an einem Ast oder auf einem hohen Pfosten. Laut Tester sind viele schutzbedürftige Tiere und Singvögel tagaktiv: «Man kann mit den Zeiten variieren und die Katze einfach nur noch nachts rauslassen.» Wer in seinem oder dem Nachbargarten frisch ausgeflogene Jungvögel oder ihre warnenden Eltern entdeckt, sollte seine Katze vorübergehend nicht nach draussen lassen – und die Beobachtung benachbarten Katzenhaltern mitteilen. Und nicht zuletzt: Katzen sollten kastriert werden. Zum einen kann damit die Population kontrolliert werden. Zum anderen streunen Männchen dann weniger herum.

Obwohl er Katzen gernhat, ist Naturschützer Tester selber übrigens katzenlos. Seine Eltern hingegen hätten immer Katzen gehabt: selbstverständlich Haus-Balkon-Katzen. Auf Spaziergängen im Garten waren sie an der Leine.