Von Draufgängern und Hasenfüssen – Wie die Umwelt die Persönlichkeit prägt». Unter diesem Titel führte die deutsche Verhaltensforscherin Anja Günther kürzlich im Tierspital der Universität Zürich in ein faszinierendes Thema ein: Die Wissenschaftlerin der Universität Bielefeld befasst sich mit der Frage, ob Meerschweinchen Persönlichkeit haben. Dazu führte sie mehrere Experimente durch, deren Hauptrollen die Meerschweinchen «Zita» und «Emma» übernahmen. In einem ersten Versuch stellte Günther ein gelbes Badeentchen aus Plastik in das Zuhause der beiden Meerschweine – ein Objekt, das die beiden noch nie gesehen hatten. Während Zita sich die Ente sofort intensiv ansah, versteckte sich Emma lieber im Häuschen und guckte nur argwöhnisch.

Im zweiten Experiment wurden zwei junge, unbekannte Meerschweinchen zu den beiden Hauptakteuren gesetzt. Wieder war Zita die erste, die die beiden begrüsste, während sich Emma zurückhielt. Im dritten Versuch schliesslich wurden Zita und Emma in eine Gruppe unbekannter Tiere gesetzt. Wie nun schon erwartet, ging Zita sofort auf Entdeckungsreise, während sich Emma vorerst lieber im nächstbesten Häuschen versteckte. Die beiden Meerschweinchen haben also unterschiedliche Persönlichkeiten: Zita ist eher draufgängerisch, Emma zurückhaltend.

Wie aber entstehen diese Charakterzüge? Günther und ihre Forschungskollegen haben herausgefunden, dass die Persönlichkeit bereits vor der Geburt von der Mutter beeinflusst werden kann. Zum Beispiel mit einer  circa einmonatigen «Einzelhaft» des Muttertieres in der Mitte der Trächtigkeit. Selbst wenn die Jungtiere danach ganz normal in der Gruppe zur Welt kommen und aufwachsen, sind sie als junge erwachsene Tiere eher aggressiver (vor allem die Männchen untereinander), als wenn die Mutter normal in der Gruppe bleiben durfte.

Den Schwersten gehört die Welt
Die Männchen von einzeln gehaltenen Müttern gehen aktiver auf Weibchen zu und sind allgemein draufgängerischer. Die Erklärung der Forscher: Wenn junge Männchen in eine Situation hineingeboren werden, in der keine erwachsenen Männchen anwesend sind, können sie schon sehr jung Weibchen für sich erobern und selbst Nachkommen zeugen. Werden sie jedoch in grössere Gruppen hineingeboren, in denen bereits erwachsene Männchen sind, müssen sie warten, bis sie fast ausgewachsen sind, um sich Weibchen zu erobern. Es wäre sogar gefährlich für sie, wenn sie aggressiv auf ältere und erfahrenere Männchen reagieren würden.

Selbst die Jungtiere innerhalb eines Wurfes entwickeln unterschiedliche Persönlichkeiten. Die Forscher haben herausgefunden, dass die schwersten Jungtiere eines Wurfes die mutigsten sind. Sie schauen Unbekanntes rascher aus der Nähe an oder erkunden eine neue Umgebung. Gleichzeitig haben sie die niedrigsten Level an Stresshormonen im Blut und werden früher geschlechtsreif als ihre kleineren Wurfgeschwister.

Auch diese Unterschiede entstehen bereits vor der Geburt. Die schwersten Jungtiere sind die, die zuvorderst in den sogenannten Gebärmutterhörnern liegen und auch zuerst geboren werden. Nach hinten werden die Embryonen kleiner und leichter, weil sie während der Trächtigkeit mit weniger Nährstoffen versorgt werden. Das führt dazu, dass man mittels Ultraschall bereits mehrere Wochen vor der Geburt die Grössenunterschiede der ungeborenen Jungtiere erkennen kann. Nach der Geburt wachsen die kleineren Tiere zwar ebenso schnell wie ihre grösseren Brüder und Schwestern, aber den anfänglichen Grössenunterschied können sie ihr Leben lang nicht aufholen – und auch ihre Persönlichkeiten werden sich immer unterscheiden.

Die Forschung weiss also vieles darüber, weshalb manche Tiere mutig, neugierig und aktiv sind, während andere sich scheu, zurückhaltend und ruhig zeigen. Mit etwas Ausdauer können auch Meerschweinchen-Halter beobachten, wer da im Gehege was für einen Charakter hat.

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Die beiden Geschwister werden unterschiedliche Charaktere entwickeln. Bild: Priska Küng

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