Gross zu sein, ist in der Natur nicht unbedingt von Vorteil; das Aussterben der Dinosaurier hat es bewiesen. Andererseits kann es angesichts von Feinden durchaus wünschenswert sein, über eine imposante Statur zu verfügen – so gross, dass der Gegner sich nicht anzugreifen traut. Am besten wäre es, im Alltag eher klein zu sein und beim Nahen eines Feindes auf furchterregende Grösse anzuwachsen. 

Es gibt tatsächlich Tiere, die dieses Kunststück beherrschen: die Kugelfische. Zu dieser Familie gehören knapp 200 Arten, wovon sich eine neuerdings auch im Mittelmeer ausbreitet. Sie pumpen, wie die ihnen verwandten Igelfische, bei Gefahr Wasser in ihren Magen, werden dabei fast kugelrund und vergrössern ihr Volumen auf das Dreifache. In diesem Zustand sind die eher langsamen Schwimmer für Feinde sehr viel schwieriger zu verschlingen. 

Der Grössenwechsel des Kugelfisches ist nur möglich dank eines flexiblen Skeletts ohne Rippen und Becken­knochen. Bei Landtieren hingegen müssen die Knochen mehr Stabilität bieten und somit wird es physisch unmöglich, die Grösse tatsächlich zu verändern. Aber einige Tierarten können es zumindest vortäuschen. 

Das bekannteste Beispiel ist der Katzenbuckel. Wenn die Katze den Rücken in die Höhe wölbt,wirkt sie in der Silhouette grösser, als sie tatsächlich ist. Die gesträubten Haare verstärken den Effekt noch. Manch ein Hund hat schon Reiss­aus genommen, wenn die verfolgte Katze plötzlich stehen blieb und sich nicht nur in voller Grösse, sondern eben noch grösser präsentiert hat. 

Viele schöne Augen machen
Ebenfalls sehr bekannt für ihre Drohhaltung ist die Brillenschlange, eine im indischen Subkontinent heimische Kobra. Bei Gefahr richtet die bis zu zwei Meter lange Schlange den vorderen Teil ihres Körpers auf und spreizt dabei die Halsrippen, sodass der Halsschild entsteht, auf welchem die namensgebende Brillenzeichnung sichtbar wird. Es lohnt sich, die Drohung ernst zu nehmen. Das Gift der Brillenschlange führt beim Menschen ohne Behandlung innert zwei bis sechs Stunden zum Atemstillstand. Andere Kobraarten, die ebenfalls bei Gefahr den Hals spreizen, können das Gift sogar über zwei Meter weit speien. 

Im Unterschied zu den Kobras ist die Kragenechse aus der Familie der Agamen harmlos. Bei ihr ist die Drohhaltung reine Show. Sie kann eine Hautfalte, die normalerweise am Hals anliegt, bei Gefahr bis zu dreissig Zentimeter weit abspreizen. Nebenbei dient das Hautstück dem wechselwarmen Reptil zum Regulieren der Körpertemperatur: Bei gespreiztem Kragen ist die Hautoberfläche grösser, wodurch es rasch Wärme aufnehmen oder abgeben kann. 

Auch unter den Gliederfüsslern gibt es welche, die sich beim Nahen eines Angreifers grösser machen – und das sind oft keine leeren Drohungen. Skorpione zeigen ihre Gefährlichkeit an, indem sie ihr Hinterteil mit dem Stachel aufrichten. Spinnen dagegen strecken in Drohhaltung zwei oder vier Vorderbeine in die Höhe. 

Andere Tiere wiederum greifen auf rein optische Tricks zurück, um gegenüber Fressfeinden grösser zu wirken. Raupen wie diejenigen des Mittleren Weinschwärmers, ­eines auch in der Schweiz vorkommenden Nachtfalters, und Schmetterlinge wie das Tagpfauenauge tragen auf der Oberseite Zeichnungen, die wie Augenpaare eines viel grösseren Tieres aussehen. Damit passen sie nicht mehr ins Beuteschema vieler Vögel. Wobei die Raupe nicht nur auf gross, sondern auch auf gefährlich macht: Die falschen Augen in Kombination mit dem länglichen Körper lassen den Feind eine Schlange sehen. 

Ziemlich gross sind die Feinde, mit denen der Blaue Pfau in seiner Heimat, dem indischen Subkontinent, rechnen muss: Tiger und Leoparden. Im Kampf wäre der Vogel chancenlos und Fliehen ist auch nicht so einfach – zumindest für die Männchen, die durch ihre langen Schwanzfedern beim Fliegen behindert werden. Es bleibt nur eine Möglichkeit: bluffen. Wenn der Pfau das Rad macht, wirkt er plötzlich grösser als jedes Raubtier und präsentiert gleichzeitig ein Gewimmel von Augen, angesichts derer es selbst einem Tiger ungemütlich werden kann. 

Diese Abwehrstrategie ist allerdings ziemlich riskant, und die Pfauenmännchen würden wohl auf ihre Schwanzfedern verzichten, hätten diese nicht noch einen anderen Zweck: die Balz. Denn das Rad präsentiert er auch bei Begegnungen mit Weibchen. Damit erregt er Aufmerksamkeit – und nur wer wahrgenommen wird, hat eine Chance, sich fortzupflanzen. Zudem beweist der Pfau mit seinem üppigen Schmuck, dass er tüchtig genug ist, um trotz der höchst unpraktischen Schwanzfedern zu überleben. Ein schlagendes Argument für das Pfauenweibchen. 

Schutz und Schmuck in einem
Was Männchen nicht alles tun, um beim anderen Geschlecht gross und stark zu wirken. Der Kragenparadiesvogel in Neuguinea kann ähnlich dem Pfau einen Federfächer öffnen, der aussieht wie ein grosses Gesicht. Bei den Fregattvögeln in den tropischen Meeren schleppt das Männchen zur Zeit des Nestbaus einen aufgeblähten, roten Kehlsack mit sich herum. Und Flamingos stolzieren zu Tausenden mit in die Höhe gereckten Hälsen durch die Lagunen. 

Unter den in der Schweiz heimischen Vögeln tut sich besonders der Birkhahn als Meister der Balz hervor. Bei Schaukämpfen präsentieren die Männchen den Weibchen ihre Vorzüge und bemühen sich, mit aufgefächerten Schwanz­federn und aufgeplustertem Gefieder möglichst gross zu wirken.  Die Fähigkeit, sich aufzuplustern, hat bei Vögeln allerdings noch einen anderen Zweck: Kälteschutz. Das aufgeplusterte Gefieder hat dieselbe Wirkung wie ein Daunenduvet oder eine Daunenjacke. Wenn es gleichzeitig dazu dient, beim anderen Geschlecht einen grossen Eindruck zu hinterlassen – umso besser. 

Spezialist für die Kombination von Schutzfunktion mit Balzwirkung ist allerdings eine andere Art, die den Lesern bestens bekannt ist – der Homo sapiens. Schuhe, einst erfunden, um die Füsse zu schützen, haben wir mit hohen Absätzen zu Körpervergrösserungs­accessoires weiterentwickelt. Hüte, die ursprünglich Köpfe vor Regen und Schnee bewahrten, sind am Pferderennen in Ascot in Dimensionen zu sehen, die es beinahe mit einem Pfauenrad aufnehmen könnten (gerne auch mit Pfauenfedern geschmückt).

Menschen sind allerdings ganz eigenartige Wesen. Während es im Tierreich gang und gäbe ist, sich grösser und dicker zu machen, ist der Mensch das wohl einzige Lebewesen, das sich zu Balzzwecken gern dünner macht – sei es mittels Diät, Korsett oder Photoshop.