Die Sichtbalken an der Decke, der lange Holztisch am Fenster, die Recamière und der Ohrensessel mit Beistelltisch und Leselampe unter der Dachschräge lassen es erahnen: In dieser Dachwohnung in Toggwil ZH mit Blick auf den Zürichsee lebt eine Person mit einem Auge für das Schöne und einem Flair für Skandinavien.
Je mehr Lotti Meier vor der dampfenden Tasse Kaffee aus ihrem Leben erzählt, desto deutlicher wird, wie gut sie in diese Umgebung aus Schönem und Nordischem passt. Gleichzeitig wird klar, was ihr hier fehlt – und wieso ihr wahres Zuhause mehr als 2000 Kilometer entfernt liegt.

Der Kampf um und für die Miniröcke
1954 in Brugg AG geboren, wuchs Meier ab dem dritten Schuljahr zusammen mit fünf jüngeren Geschwistern in Visp VS auf. Schon früh habe sie begonnen, sich für Mode zu interessieren – nicht immer zur Freude ihrer Mutter. «Damals kamen gerade Miniröcke auf», sagt Meier, «und meine Mutter fand, das sei nichts für anständige Mädchen.» So entfachte sich ein kleiner Mode-Kampf zwischen der Mutter und der ältesten Tochter: Die jugendliche Lotti nähte ihre Kleidchen kürzer und ihre Mutter liess die Säume beim Waschen wieder runter. «Irgendwann habe ich mir eigenen Stoff besorgt und den so kurz abgeschnitten, dass sie nichts mehr zum Runterlassen hatte», erzählt Meier mit den funkelnden Augen eines Kindes.

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Das markierte den Anfang ihrer Näh-Karriere. Mit knapp 16 Jahren zog sie – ohne ein Wort Französisch zu sprechen – nach Lausanne, um sich dort bei einer Familie während drei Jahren zur Schneiderin ausbilden zu lassen. Eine Lehrerin war von Meiers Talent derart angetan, dass sie ihr riet, sich doch in Paris weiterbilden zu lassen. Und so machte Meier mit knapp 20 Jahren in der französischen Hauptstadt die einjährige Ausbildung zur Modezeichnerin. Und zwar an der
Chambre Syndicale de la Couture Parisienne, der renommierten Privatschule, aus der bereits bekannte Modeschöpfer wie Yves Saint Laurent, Karl Lagerfeld und Valtentino hervorgingen. Nach der Rückkehr als Schneiderin in einem Haute-Couture-Geschäft in Lausanne folgten viele Jahre bei einer Schweizer Premiummodemarke, wo Meier Tages- und Unterwäsche für Sie und Ihn designte.

Vom goldenen Käfig ins «Paradies»
Mit den Jahren sei sie immer unglücklicher geworden in der Welt der Schönen und Reichen. «Ich fühlte mich zwischendurch wie in einem goldenen Käfig.» Besonders deutlich wurde ihr das an den Wochenenden, an denen sie immer öfter in ihre Ferienwohnung ins Lötschental fuhr. Die Leute, mit denen sie dort Zeit verbrachte, fragten nie, was sie tue und was für eine Automarke sie fahre. Sodass sie gelernt habe, sich selbst eine entscheidende Frage zu stellen: Wer ist eigentlich Lotti? «Da habe ich erkannt, dass es nicht wichtig ist, in welchen Bars man verkehrt, welche Uhren man trägt oder welches Auto man fährt.»

1992 reiste Meier nach Finnisch Lappland, um dort zusammen mit einer Gruppe eine Woche lang mit Schlittenhundefahrten zu verbringen. Nach ihrer Rückkehr teilte sie ihre Erlebnisse mit einem Foto in der Mitarbeiterzeitschrift. Zu sehen war Meier, die an einem Feuer sitzt und eine Wurst brät. Das kam bei ihrem Vorgesetzten nicht gut an. «Er hatte kein Verständnis für diese Art von Ferien und meinte, seine Mitarbeiter müssten doch Spa- oder Wellness-Ferien machen.» Diese Bemerkung habe ihr dann endgültig deutlich gemacht, dass sie sich in diesem Umfeld nicht mehr wohlfühlte.

Ausserdem hatte die Reise längst tiefere Spuren bei ihr hinterlassen und sie sich sowohl in die Hunde als auch in deren schwedischen Führer verliebt. Also kehrte sie im Mai 1994 ihrem Leben in der Modewelt den Rücken, brach ihre Zelte in der Schweiz ab und wanderte nach Schwedisch Lappland aus. Um fortan zusammen mit dem Schlittenhundeführer das «Snowtrail Dogcamp» in Moskojärvi zu führen.

Ihr neues Zuhause, das rund 150 Kilometer nördlich des Polarkreises zwischen Kiruna und Gällivare liegt, bezeichnet Meier bis heute als paradiesisch, was die Landschaft, die Hunde und die Natur angeht. Gleichzeitig ging sie in diesem Paradies durch die Hölle, wie sie sagt. Der Schwede, in den sie sich verliebt hatte, wurde psychisch krank und zunehmend unberechenbarer. Als er sich nach zehn Jahren in eine Praktikantin verliebte, war Meier «endlich frei», wie sie sagt. Nach sechs Monaten kehrte sie aber wieder zurück nach Moskojärvi. Ihr Ex-Mann hatte das Camp verlassen und einen Scherbenhaufen hinterlassen. «Es war nichts mehr da, weder ein Computer noch Geld auf dem Konto.»

Auf dem Hundeschlitten spüre ich grossen inneren Frieden.

Lotti Meier

Mit viel Aufwand und Engagement sowie dank Unterstützung «vieler Engel» schaffte Meier es schliesslich, den Scherbenhaufen zu beseitigen. Und seit nunmehr 16 Jahren mit drei Angestellten das Camp mit rund hundert Huskys zu führen. Dort bietet sie Feriengästen aktive Erholung jenseits der Hektik der Zivilisation an: im Winter mit Schlittenhunden, im Sommer zu Fuss, beim Fischen oder mit dem Kanu – ideal auch für Familien.

Vom «Schlittenhundevirus» befallen
Wenn Meier über das Leben im hohen Norden und über die Schlittenhunde spricht, wird klar: Eine Wahl, ob sie nach Lappland zurückkehren wollte, scheint sie nie gehabt zu haben. Zu schwer ist die Infektion mit dem, was sie als «Schlittenhundevirus» bezeichnet. Beschreiben könne man das nicht, sagt sie, man müsse es selber erleben. «Wenn ich auf dem Hundeschlitten durch die Schneelandschaft gezogen werde, spüre ich einen gros­sen inneren Frieden. Vergleichbar vielleicht mit einem Schuss Heroin, könnte ich mir vorstellen.»

Im Mai hat Meier die Mietwohnung in Toggwil bezogen. «Ich werde nicht jünger», sagt die 66-Jährige. Glücklicherweise habe sie eine gute Nachfolgerin gefunden, die dereinst das Schlittenhundecamp übernehmen werde. Wann das sein wird, sei noch unklar. «Wenn ich etwas gelernt habe in meinem Leben, dann, dass Planen nichts bringt.» Dass sie ganz in die Schweiz zurückkehren wird, ist kaum vorstellbar. Zumal sie seit Mai bereits wieder mehrmals «oben» bei ihren Hunden war. Deren Heulen, bevor es auf die nächste Tour geht, scheint Meier auch 2000 Kilometer weiter südlich zu hören – wohl eine Nebenwirkung des ominösen Schlittenhundevirus’.

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Lotti Meier: «Pfoten im Schnee. Mein tierisch gutes Leben in Lappland»,
Taschenbuch,
240 Seiten,
Verlag: Eden Books,
ISBN 978-3-95910-299-5,
ca. Fr. 25.–