Kurt Aebischer* ist das, was man als «rüstigen Rentner» bezeichnen würde. Der 85-Jährige ist noch recht fit, führt einen eigenen Haushalt im Grossraum Bern und ist gerne in der Natur unterwegs. Vor drei Jahren machte er sich auf die Suche nach einem tierischen Begleiter. Um nach dem Tod seiner Frau zu Hause und auf seinen Spaziergängen nicht mehr so einsam zu sein, wollte er sich einen Hund zulegen.

In einem Tierheim, so dachte sich Aebischer, würde er bestimmt einen Vierbeiner finden, der sich über ein neues Daheim freut. Doch daraus wurde nichts. Die Liste an zu vermittelnden Hunden in den Tierheimen seiner Umgebung war zwar gross, doch Aebischer wurde abgewiesen. «Es hiess jeweils, man hätte kein passendes Tier für mich. Doch ich glaube, es lag an meinem Alter.» Nach zwei Absagen verlor er den Mut, dann legte Corona sein Vorhaben auf Eis.

Aebischer ist nicht der Einzige; immer wieder hört man von Fällen älterer Menschen, die in Tierheimen abblitzen. Werden Interessenten ab einem gewissen Alter grundsätzlich keine Tiere mehr vermittelt? Oder handelt es sich bei Aebischer und Co. um eine Häufung von Einzelfällen?

Die «Tierwelt» hat bei mehr als 30 Tierheimen der Deutschschweiz nachgefragt, inwiefern bei ihnen das Alter der Interessenten bei der Vermittlung von Tieren eine Rolle spielt. Von den 16 Tierheimen, die geantwortet haben, gab keines an, dass Menschen ab einem gewissen Alter bei ihnen grundsätzlich keine Tiere mehr adoptieren können. Trotzdem, so der Tenor, sei das Alter ein Faktor bei der Abklärung, ob eine Adoption zustande kommt oder nicht. «Älterwerden verläuft ja bekanntlich sehr individuell», sagt Lukas Bircher, Geschäftsführer des Tierheims Oberbottigen BE. «Wie ja auch unsere zu vermittelnden Tiere sowohl vom Alter als auch vom Wesen her sehr individuell sind.»

Kaum Chancen bei ZüchternWer sich im Alter einen Hund aus einer Zucht zulegen will, dürfte einen schweren Stand haben, wie eine Anfrage bei Hansueli Beer, dem Zentralpräsidenten der Schweizerischen Kynologischen Gesellschaft, ergibt. Momentan sei die Nachfrage nach Welpen riesig. 70 Interessenten auf fünf Welpen seien Normalität. «Dann kann es schon vorkommen, dass sich ein Züchter für jüngere Personen entscheidet.» Anders sehe es mit älteren Hunden aus. Hier gebe es sicher Züchter, die Hunde weitergeben, die nicht mehr in der Zucht sind. Die gestiegene Nachfrage bedeute auch einen Mehraufwand für die Züchter. Mit jedem Interessenten müsse gesprochen werden und allenfalls werde er oder sie auch eingeladen, die Zuchtstätte zu besuchen. «Und da muss man halt auch gewissen Personen absagen.»

Fitness ist wichtiger als das Alter des Bewerbers

Die Bedürfnisse des zu vermittelnden Tieres müssen gedeckt werden – «und zwar über die erwartete Lebensdauer des Tieres hinaus», sagt Rommy Los vom Zürcher Tierschutz. «Wenn Zweifel bestehen, dass ein Interessent dem Tier bis zuletzt gerecht werden kann, dann lehnen wir eher ab. Wir möchten vermeiden, dass das Tier wieder im Tierheim strandet und erneut vermittelt werden muss.» Das bestätigt auch Michael Karli, Ressortleiter Hunde beim Tierschutzverein Sargans-Werdenberg SG. Er hatte mehrere Fälle von Verzichtshunden, die bei ihm landeten, weil sich Senioren im hohen Alter einen Welpen angeschafft hatten. Das sei aus seiner Sicht «eher verantwortungslos». So sehen es auch die anderen Tierheime, die geantwortet haben: Vermittlung an Seniorinnen und Senioren ja, aber keine Welpen.

Damit ein Tier an ein neues Plätzchen vermittelt wird, muss vieles stimmen. So müsse etwa die Art und das Alter des Tieres zur Person passen, wie Ivan Schmid vom Tierheim Aarebrüggli in Grenchen SO sagt. Wichtig sei auch die Lebens- und Wohnsituation des Interessenten, fügt Renate Aegerter vom Tierheim Sitterhöfli in Engelburg SG an. Und im Tierheim an der Birs in Basel muss das individuelle Bedürfnisprofil des jeweiligen Tieres erfüllt werden. Wichtiger als das Alter sei dabei die Fitness der Bewerberin oder des Bewerbers – und dass das Temperament des Tieres dazu passe. «Die Bedürfnisse jedes einzelnen Individuums werden respektiert und so entsprechend Topf und Deckel zusammengebracht», fasst Selina Riedi vom Tierheim Arche in Chur GR zusammen.

Natürlich könne es vorkommen, dass man einer Seniorin oder einem Senior eine Absage erteilt, sagt Astrid Becker, Präsidentin des Tierschutzvereins Aargau. «Dann liegt es aber nicht am Alter der Person, sondern weil wir schlichtweg nicht das passende Tier für sie haben.» Das könne einer 85-Jährigen aber genauso passieren wie einem Mittzwanziger.

Bei einer Vermittlung müssen ausserdem weitergehende Abklärungen getroffen werden. «Man sollte sich Gedanken gemacht haben, was passiert, wenn man selber – durch Krankheit, im Altersheim oder nach dem Tod – nicht mehr in der Lage ist, auf das Tier aufzupassen», sagt Flavia Purtschert vom Tierheim Paradiesli in Ennetmoos NW. Auch im Tierheim an der Birs will man im Vorfeld in Erfahrung bringen, wer sich um das Tier während Ferien, Krankheit oder Unfall kümmert. «Und wir möchten wissen, ob die Nachfolge bereits im Vorfeld geregelt ist», sagt Tierheimleiterin Sandra Müller.

Darauf legt auch der Tierschutzverein Aargau viel Wert, sagt Astrid Becker. «Wir verlangen jeweils, dass eine Bezugsperson in die Vermittlung einbezogen wird, die dem Interessenten zur Seite steht und im Hintergrund für das Wohl des Tieres mitverantwortlich ist.» Und beim Tierschutzverein Sirnach TG und Umgebung muss schriftlich von allen involvierten Personen festgehalten werden, wer dem Tier schaut, wenn man selber krank wird oder verstirbt. «Dieses Thema ist vordergründig und darf ja nicht ausgelassen werden», sagt Präsidentin Elsbeth Tromp.

Ältere Interessenten haben mehr Zeit fürs Tier

Die meisten Tierheime, die geantwortet haben, halten eine Vermittlung einer älteren Katze oder eines älteren Hundes an eine rüstige Seniorin oder einen rüstigen Senior mit entsprechender Nachfolgeregelungen nicht nur für möglich – sondern auch für gewinnbringend für beide Seiten. Ältere Interessenten brächten viele Vorteile mit sich, wie Petra Roos vom Tierheim an der Ron in Root LU sagt. «Sie haben in der Regel viel mehr Zeit für das Tier», fügt Susanne Klein vom Tierdörfli in Wangen bei Olten SO an. Menschen im Alter hätten oftmals mehr Geduld, seien viel zu Hause und böten den Tieren so ein ruhiges Umfeld, wie vonseiten der befragten Tierheime oft angeführt wird. Ausserdem trage ein Tier viel zum Wohlbefinden bei, ergänzt Michael Karli vom Tierschutzverein Sargans-Werdenberg. Daraus könne eine «Win-win-Situation» entstehen.

Kurt Aebischer hat inzwischen wieder Mut gefasst, weiter nach einem Hund zu suchen. Mit den beiden Tierheimen, bei denen er abgeblitzt war, hat er in der Zwischenzeit noch mal Kontakt aufgenommen. «Sie haben mir versprochen, mich zu informieren, sobald sie einen geeigneten Hund für mich haben.» Bis dahin nimmt er die Hündin seiner Nachbarin leihweise mit auf Spaziergänge – und kann so schon mal etwas Hündelerluft schnuppern.

*Name geändert