Was hätten wohl Vasco da Gama, Christoph Kolumbus oder Fernando Magellan ohne sie gemacht? Vieles spricht dafür, dass ihre Entdeckungsfahrten ohne Schiffskatzen anders ausgesehen hätten – vielleicht auch anders ausgegangen wären. Tatsächlich haben Samtpfoten an Bord von Schiffen die ganze Welt bereist, auf den Planken, die jahrhundertelang die grosse weite Welt bedeuteten. 

Ihren Anfang nahm die Geschichte der Schiffskatzen, die über drei Jahrtausende reicht, im alten Ägypten: Trotz des strengen Ausfuhrverbots schafften es die Phönizier (aus der Gegend der heutigen Staaten Israel, Libanon und Syrien), Katzen ausser Landes zu schmuggeln – vermutlich auf dem Seeweg. Wie es dann genau weiterging, davon bleibt vieles im Dunkel der Geschichte verborgen. Wahrscheinlich kamen Katzen durch die Römer nach ganz Europa und fanden dort ihren Weg auch in die Häfen und auf die Schiffe. 

Hoch angesehene Besatzungsmitglieder
Wer das genauer weiss, ist Detlef Bluhm, Schriftsteller aus Berlin, der unlängst das weltweit einzige, systematisch recherchierte Buch über Schiffskatzen veröffentlicht hat. Fast eineinhalb Jahre ist er den Spuren der seefahrenden Katzen gefolgt, hat Expeditionsberichte, Logbücher, Aufzeichnungen aller Art studiert. «Keine leichte Aufgabe», erinnert er sich. «Denn offensichtlich waren über viele Jahrhunderte Katzen an Bord von Schiffen so selbstverständlich, dass sie selten explizit erwähnt wurden.» Was manchen Katzenfreund erstaunt, erklärt sich leicht: Die Samtpfoten hatten an Bord eine besondere Aufgabe. Sie sollten die Mäuse und Ratten vertilgen, die sich über die Lebensmittelvorräte der Menschen hermachten – ein wirklich lebenswichtiger Auftrag. Dementsprechend hoch angesehen waren die vierbeinigen Besatzungsmitglieder.

Sie waren meist nicht die einzigen Tiere an Bord. Je nach Ziel und Auftrag waren oft auch Pferde oder Schweine, Ziegen, Geflügel oder Hunde mit auf der Reise. Aber die Katzen hätten in der streng hierarchischen, teils brutalen Welt der Seefahrt immer eine spezielle Rolle gespielt, sagt der Schriftsteller: «Sie waren frei und ungebunden, selbstbestimmt. Und sie zeigten den Matrosen damit so etwas wie eine Gegenwelt zum harten Alltag auf dem Schiff.» 

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 Mrs. Chippy mit Perce Blackborow auf der Shackleton-Expedition.
 Bild: Scott Polar Research Institute/Gemeinfrei

Das Drama der Mrs. Chippy
Neun Bücher über Katzen, unter anderem auch eine Kulturgeschichte der Samtpfoten, hat Detlef Bluhm, bekennender Katzenfan, schon veröffentlicht. Nicht nur, weil er seit mehr als 30 Jahren eigene Katzen hat: Das vorläufig letzte einer langen Reihe von Büsis bei Familie Bluhm, der legendäre Paul, hatte bis zu seinem Tod eine eigene Facebook-Seite und Tausende von Fans, die seine geistreich-kätzischen Betrachtungen der Welt und der Literatur liebten. «Katzen und ihre Geschichte sind einfach auch ein faszinierendes Thema», findet Bluhm. So hat er denn auch mit detektivischem Spürsinn und Akribie vieles über berühmt gewordene Schiffskatzen, ihr Leben und Schicksal herausgefunden.

Da ist zum Beispiel die berühmte wie tragische Geschichte von «Mrs. Chippy». Der Kater mit dem irreführenden Namen begleitete den irisch-stämmigen britischen Polarforscher Ernest Shackleton auf dessen Antarktis-Expedition, bei der er als Erster den Kontinent von Küste zu Küste über den geografischen Südpol hinweg durchqueren wollte. Am 8. August 1914 stach die «HMS Endurance» in See mit Mrs. Chippy als Schiffskatze, die sich bei der Mannschaft sehr grosser Beliebtheit erfreute. Der Kater ging sogar einmal über Bord, wurde aber von der Besatzung gerettet. 

Im Oktober 1915 zerbrach das Schiff im Packeis und Shackleton entschied sich, mit drei Beibooten eine rettende Insel anzusteuern. Dabei wurde nur das Lebensnotwendige mitgenommen – sowie die Hunde, die die Schlitten ziehen konnten. Mrs. Chippy durfte auf Anweisung Shackletons nicht mit. Sie wurde erschossen. Vom Schiffszimmermann, Henry McNish, der die Katze an Bord gebracht hatte, wird berichtet, dass er Shackleton Mrs. Chippys Tod nie verzieh.

«Ja, die Geschichte der Schiffskatzen ist nicht immer schön», sagt dazu Detlef Bluhm. «Es ist eine Geschichte voller Dramatik, denn mancher vierbeinige Matrose ist bei Stürmen oder durch Unfälle über Bord gegangen.» So beschreibt auch der britische Polarforscher Robert Falcon Scott, wie bei seiner Südpolexpedition der Schiffskater Nigger beim Versuch, einem Hund aus dem Weg zu gehen, in die eiskalte See stürzte. «Zum Glück», erzählt Detlef Bluhm, «konnte sich der Kater schwimmend über Wasser halten und gerettet werden.» Der Schriftsteller, dessen Liebe zu Katzen einmal mit zwei griechischen Streu­nerkätzchen begonnen hat, kennt auch vollkommen unwahrscheinlich scheinende Geschichten wie die von Oskar, der zu dem Beinamen «unsinkable Sam» kam. 

Diesen Namen hat der Kater der historisch belegten Tatsache zu verdanken, dass er drei Schiffsuntergänge überlebte. Am 27. Mai 1941 war er an Bord der «Bismarck», einem deutschen Kriegsschiff, das von den Briten versenkt wurde. Über 2100 Menschen fanden dabei den Tod, nur 116 Matrosen und Oskar überlebten. Danach heuerte Oskar auf einem britischen Zerstörer an, der vor Gibraltar von einem deutschen U-Boot versenkt wurde. Der Kater wurde lebend aus dem Meer gezogen. Und schliesslich, kaum zu glauben, überlebte Oskar auch noch den Untergang des Flugzeugträgers Ark Royal, auf dem er Dienst tat. Wie es sich für einen derart tapferen Veteranen gehört, konnte der Kater, der inzwischen den Namen «unsinkable Sam» trug, dann aber sein Leben friedlich beenden. «Er starb in hohem Alter 1955 in einem Seemannsheim in Belfast», erzählt Detlef Bluhm.

Heute als vierbeinige Freunde dabei
Bei so viel Dramatik ist es fast schade, dass die Schiffskatzen in der modernen Seefahrt kaum noch eine Rolle spielen. Als Mäuse- und Rattenfänger haben sie heute keine Aufgabe und damit auch keine Bedeutung mehr. Wenn sie auch auf manchem Boot oder Schiff noch die Weiten der Ozeane durchkreuzen, dann hat das mehr mit der Freundschaft zwischen Mensch und Tier zu tun als mit Notwendigkeit. Bluhm verweist in seinem Buch zum Beispiel auf den Weltumsegler Bernt Lüchtenborg, der fünf Jahre lang unterwegs war, einen grossen Teil davon in Begleitung von Kater Socke. Dieser kann sich wirklich rühmen, ein Globetrotter zu sein. Hat er doch die Ozeane von der Antarktis bis Australien und vom Kap der Guten Hoffnung bis nach Deutschland kennengelernt.

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