So beliebt Katzen in unseren Breitengraden auch sind, als Forschungsobjekte wurden sie bisher – auch im Vergleich zum Hund – stiefmütterlich behandelt. Insbesondere zu ihren kognitiven Fähigkeiten liegen wenig Daten vor. Das liegt auch daran, dass Katzen keine einfachen Versuchsobjekte sind. «Katzen kapieren schnell», sagt Immanuel Birmelin, vom Deutschen Verein für Verhaltensforschung bei Tieren. Die grosse Herausforderung sei aber, die Katze zum Mitmachen zu bringen: «Katzen geben einem den Zeitpunkt vor, wann sie arbeiten wollen. Das ist zwar sympathisch und nett – für eine wissenschaftliche Arbeit aber ein bisschen schwierig.» 

So habe er beispielsweise lernen müssen, dass Katzen einen gewissen Rhythmus hätten: «Wenn eine am Abend um 19 Uhr eine Übung gut meistert, tut sie dies am nächsten Abend um 19 Uhr mit grosser Wahrscheinlichkeit auch wieder. Aber am Morgen kann sie plötzlich nichts mehr und wirft die ganze Statistik über den Haufen.» Ausserdem seien Katzen Minimalisten. «Sie machen keinen Pfotenhieb zu viel.»

Trotz aller Schwierigkeiten hat der Verhaltensbiologe und Autor des Filmes «Wer ist klüger, Hunde oder Katze?» nachgewiesen, dass Katzen bis vier zählen können beziehungsweise in der Lage sind, Futterschalen, die mit ein bis vier Punkten gekennzeichnet sind, Tönen zuzuordnen. Tönt beispielsweise die Glocke drei Mal, geht die Katze zu der Schale mit drei Punkten, bei einem Glockenschlag zur Schale mit einem Punkt. «Eine kognitive Leistung, die Katzen Hunden voraushaben», sagt Birmelin dazu. Womöglich bräuchten Katzen die Fähigkeit zu zählen, wenn sie ihre Jungen in eine neues Nest tragen würden. 

Interessantes Detail: Bei dem besagten Versuch waren die verschiedenen Futterschalen mit einem Karton abgedeckt. Darauf die jeweiligen Punkte. Während Hunde mit dem Zählen überfordert waren, aber den «Deckel» problemlos von der Schale hoben, nahmen die Katzen Schale und Deckel als etwas Ganzes wahr und mussten zuerst lernen, den Deckel abzuheben. 

Was geschieht im Kopf der Katze?
Welche Forschungsarbeiten in den letzten Jahren durchgeführt wurden, haben die Verhaltensbiologinnen Kristyn Shreve und Monique Udell von der Oregon State University USA in ihrer im Fachmagazin «Animal Cognition» veröffentlichten Arbeit «Was geschieht im Kopf Ihrer Katze?» zusammengestellt. Demnach wurden bereits verschiedene Studien mit Katzen zum Thema «Objektpermanenz» durchgeführt. Diese meint die kognitive Fähigkeit, zu verstehen, dass ein Objekt weiterhin existiert, auch wenn es sich ausserhalb des Sichtfelds befindet. Gerade ein Jäger wie die Katze sollte über diese Fähigkeit verfügen. Verschwindet eine potienzielle Beute in einem Versteck, hat die Katze einen Vorteil, wenn sie sich an die Stelle erinnert, wo die Beute war, bevor sie verschwand. Tatsächlich schnitten die Katzen in den entsprechenden Tests gut ab. Dies allerdings nur, wenn die Katzen sehen konnten, wie das Objekt verschwand. Wurde das Objekt der Begierde (etwa ein Leckerli) hingegen versteckt entfernt, waren die Katzen überfordert. 

Bei einem dieser «schwierigeren» Tests wurde den Katzen beispielsweise eine durchsichtige Box mit einem Leckerli gezeigt. Dann wurde die Box hinter eine Wand bewegt und dort geleert. Anschliessend wurde die nun leere Box wieder in Sichtweite der Katze bewegt. Das Versuchstier sollte nun sehen, dass die Box leer ist, begreifen, dass das Leckerli hinter der Wand entnommen wurde und hingehen und das Leckerli hinter der Wand suchen. Ein Grossteil der Forschung dieser Art kam zum Schluss, dass Katzen mit dieser Übung überfordert sind. 

Verständnis für physikalische Gesetze
Allerdings könnte dies auch an der Versuchsanordnung liegen. Zu diesem Schluss ist der kanadische Entwicklungspsychologe Claude Dumas gekommen. Auch in seiner Untersuchung wurden Katzen damit konfrontiert, dass eine Leckerei ausserhalb ihres Sichtfelds verschwindet. Statt sich, wie in den früheren Versuchen, daran erinnern zu müssen, wo die Box mit den Leckerei gestanden hatte, ging es bei Dumas aber darum, sich vorzustellen, wo die Leckerei hingekommen sein könnte. Diese Form der Herausforderung entspreche der Natur der Katze besser, vermutete Dumas. Tatsächlich meisterten ein Grossteil der Versuchstiere die Übung problemlos. 

Eine Gruppe von englischen Wissenschaftlern untersuchte mit «Schnur-zieh-Tests», inwiefern Katzen das physikalischen Prinzip von Ursache und Wirkung verstehen. Verschiedene Boxen waren so konstruiert, dass die Versuchstiere – wenn sie an der richtigen Schnur ziehen – Futter bekommen. Bei nur einer Schnur ergatterten die Katzen die Belohnung problemlos. Bei zwei Schnüren, bei denen nur an einer Futter hing, schaffte es aber bereits kein Versuchstier mehr zuverlässig. Bei zwei gekreuzten Schnüren zog eine Katze konstant an der falschen Schnur, während die anderen zufällig richtig oder falsch lagen. Insgesamt ergab sich kein Hinweis darauf, dass die Katzen die physikalischen Zusammenhänge verstanden hätten. Wobei eine der an der Studie beteiligten Wissenschaftlerinnen zu bedenken gab, dass die Katzen womöglich das blosse Ziehen an den Schnüren bereits als genug spannend empfunden hätten – ob am anderen Ende nun eine Belohnung hing oder nicht. 

Eine 2016 von einem japanischen Forscherteam publizierte Studie kam zum Schluss, dass Katzen sehr wohl ein gewisses Verständnis für physikalische Gesetze haben. So waren die Versuchstiere unter anderem erstaunt (schauten länger hin), wenn aus einer offenen Büchse, die umgedreht wurde, nichts herauskam – obwohl zuvor Schüttelgeräusche zu hören gewesen waren. Das deutet einerseits darauf hin, dass Katzen verstehen, dass die Existenz eines Gegenstands mit dem Schüttelgeräusch zusammenhängt (wenn nichts tönt, ist nichts drin). Anderseits schienen die Katzen zu verstehen, dass – wenn die Büchse umgedreht wird – der sich darin befindliche Gegenstand auf den Boden fällt.

Noch zu häufig falsch eingeschätzt 
Die Frage, ob Katzen unterschiedliche Zeitspannen unterscheiden können und über eine Art innere Uhr verfügen, wurde erst ansatzweise untersucht. Viele Katzenbesitzer sind davon überzeugt, dass ihr Tier genau weiss, wann sein Besitzer heimkommt, es Futter gibt oder Zeit zum Spielen ist. Laut John Brad­shaw, Experte für Tier-Mensch-Beziehungen und Autor des Buchs «Cat Sense», gewöhnen sich Katzen daran, wenn ein bestimmtes Ereignis jeden Tag um dieselbe Zeit stattfindet. Dennoch gebe es keinerlei Hinweise darauf, dass sich Katzen an ein Ereignis erinnern und unterscheiden können, ob dieses vor ein paar Stunden, Tagen oder Wochen stattgefunden hat. Was man aber sagen könne sei, dass Katzen ein gewisses Grundgefühl für den Tagesrhythmus hätten. 

Zwei Neuropsychologen von der Universität Kopenhagen zeigten in ihrer Studie von 1976 auf, dass Katzen zwischen Zeitspannen von 5 und 8 Sekunden unterscheiden können. Für die beiden Verhaltensbiologinnen Shreve und Udell steht allerdings fest, dass noch viel Forschung nötig ist, um ein besseres Verständnis der Tiere zu bekommen, mit denen «viele Menschen ihren Haushalt und so gut wie alle ihre Strasse teilen». 

Auch Immanuel Birmelin hält es für sehr wichtig, mehr darüber in Erfahrung zu bringen, wie Tiere denken und fühlen. Tiere würden noch viel zu oft völlig falsch eingeschätzt. Daraus resultiere viel Tierleid, das leicht zu verhindern wäre. Intellektuell am meisten verblüfft haben den Verhaltensforscher aber nicht die Katzen – und auch keine Hunde, sondern: Vögel.