Sibylle Aschwanden, 42, ist Verhaltens-biologin mit Zusatzausbildung zur Hunde-instruktorin. Sie führt die Hundeschule Focus-Canis in Winznau SO und ist Mitglied im Trainer-Netzwerk «Trainieren statt Dominieren». Sie lebt mit ihrem Mann und den beiden Toller-Retrievern Chai und Nougat im letzten Solothurner Strohdachhaus in Rohr.

Frau Aschwanden, verstehen wir unsere Hunde?
Nicht immer. Klar, wir merken vieles instinktiv. Aber ich erlebe immer wieder, dass Hundebesitzerinnen oder Hundebesitzer die Signale des Hundes übersehen und danach erstaunt ausrufen: «Das habe ich nicht kommen sehen, das hat er noch nie gemacht!» Gerade Stresssignale des Hunde zu erkennen, ist enorm wichtig. Denn nur so lassen sich Konflikte vermeiden. 

Beobachten wir zu wenig? Oder wissen wir zu wenig?
Das Problem ist, Hunde kommunizieren sehr subtil. Manchmal sind es nur die Pupillen, die sich weiten. Oder die Ohren bewegen sich einen Millimeter. Hunde merken so etwas sofort. Doch für uns Menschen ist es oft nicht einfach zu sehen. Ich finde es jedoch enorm wichtig, dass sich jeder Hundebesitzer damit befasst, wie der Hund kommuniziert, und sich entsprechend informiert oder schult. Schliesslich haben wir eine ethische Verantwortung, zu verstehen, wie der Hund sich fühlt. 

Wie lernt man am besten «hündisch»?
In guten Hundeschulen lernt man, die Signale des Hundes richtig zu deuten. Man findet mittlerweile auch viele Informationen im Internet und es gibt viele Bücher zum Thema.

Hat sich das Wissen punkto Hundekommunikation verändert? 
Die Dominanztheorie ist zum Glück überholt. Moderne, gut ausgebildete Trainer wissen das und arbeiten nach neuesten verhaltensbiologischen Grundsätzen. Leider tummeln sich aber immer noch viele falsch informierte Trainer auf dem Markt. Dabei weiss man, dass Hunde keine Rangordnung kennen. Selbst das Wolfsrudel ist entgegen früherer Ansichten nicht streng hierarchisch organisiert. 

Apropos Wolf; inwiefern hat sich die Kommunikation unserer Haushunde im Vergleich zu den Wölfen verändert? 
Da ist zunächst einmal das Bellen, das als Anpassung an den Menschen zu werten ist, denn Wölfe bellen bekanntlich nicht. Dann die Kooperationsbereitschaft, die Menschenbezogenheit, dieser «will to please» (gefallen wollen; Anm. d. Red). Bei Hütehunden ist dies besonders ausgeprägt. Sie wurden auf Kooperation gezüchtet. 

Wie viel Kommunikationsverhalten ist dem Hund noch angeboren?
Gewisse Verhaltensweisen sind noch die gleichen, wie der Wolf sie verwendet. Zum Beispiel das Lecken der Lefzen als Beschwichtigungsgeste. Das ist angeboren. Aber eben längst nicht alles. Hundewelpen müssen ganz viel lernen punkto Kommunikation. 

Wie lernen sie dies?
Zum Teil vom Muttertier, aber auch im Aufwachsen mit den anderen Welpen. Deshalb ist die Sozialisierung so wichtig, dort lernen die Junghunde die hündische Kommunikation. Wichtig ist dabei, dass sie mit anderen Rassen in Kontakt kommen, denn eine Bulldogge hat eine andere «Sprache» als ein Schäferhund. 

Man hört, dass Bulldoggen oder Möpse oft gebissen werden. 
Ja, die Kurznasigen haben ja kaum Mimik, haben Falten im Gesicht, machen so komische Grunzgeräusche und die Zähne stehen hervor. Wie soll das ein Schäferhund verstehen? Er deutet die Signale möglicherweise als Aggression und reagiert entsprechend darauf. 

Welche Kommunikationsmittel sind für die Hunde am wichtigsten? Mimik, Gestik, Laute? 
Man muss das Gesamtbild betrachten. Der Hund kommuniziert hauptsächlich mittels Mimik in Kombination mit der Körpersprache. Die stimmliche Kommunikation spielt eher eine untergeordnete Rolle. Dafür ist die Körpersprache des Hundes umso nuancierter. Alleine das Wedeln mit dem Schwanz kann sehr viel Verschiedenes bedeuten ...

Ein wedelnder Hund ist also nicht einfach nur freudig?
Nein, das Wedeln zeigt lediglich eine gewisse Erregungslage an, es kann Freude, Aufregung, Unsicherheit oder Angst bedeuten. Auch Hunde, welche gleich angreifen, können mit dem Schwanz wedeln. Zum Deuten muss man darauf achten, wie sich die Rute bewegt. Bewegt sie sich kurz und eng, ist Vorsicht angesagt, bewegt sie sich weit ausschweifend, ist die Gemütslage freudig.  

Da gibt es wohl viele Missverständnisse? 
Ja. Missverständnisse beruhen zum einen darauf, dass wir gewisse Signale des Vierbeiners falsch deuten. Zum anderen gründen sie darauf, dass wir zu viel menschliches Denken in unsere Hunde hineinprojizieren. 

Zum Beispiel? 
Nehmen wir die Situation: Wir kommen nach Hause und entdecken, dass der Hund den Mistkübel auseinandergenommen hat. Wir schimpfen «was hesch wieder gmacht!», in vorwurfsvoller Tonlage. Der Hund zeigt sich demütig, beschwichtigend. Nun denken wir, der Hund wisse genau, dass er etwas Falsches gemacht hat, er habe ein schlechtes Gewissen. Falsch! Der Hund hat kein Gewissen, keine Moral im menschlichen Sinne.  

Weshalb reagiert er aber schuldbewusst?
Er reagiert auf unsere aus seiner Sicht bedrohlich wirkende Haltung und Tonlage. Das vorherige Ereignis, das Mistkübelverrupfen, kann er nicht mit unserer jetzigen Reaktion verknüpfen. Er verknüpft, was gerade im Moment passiert. Und da hat er eigentlich nichts gemacht.  

Gibt es weitere Missverständnisse?
Es gibt beispielsweise das sogenannte «Submissive grin», ein unterwürfiges Lächeln. Dabei zieht der Hund seine Lefzen nach hinten und zeigt Zähne. Das sieht ähnlich aus, wie wenn er drohen würde. 

Ist es denn auch ein Missverständnis, dass man aggressive Hunde mit Ausschimpfen brav bekommt? 
Ja, leider ist dieses falsche Wissen sehr verbreitet. Aggression fusst in den meisten Fällen auf Unsicherheit oder Angst. Eine bekannte Situation ist diejenige des kläffenden Hundes an der Leine, man nennt das auch «Leinenaggression». Der Hund hat keine Rückzugs- oder Ausweichmöglichkeit, deshalb reagiert er drohend – was notabene ein Teil des Verhaltensspektrums unter Hunden, also völlig normal ist. Man sollte in einer solchen Situation beruhigend auf den Hund einwirken, und ihn bloss nicht noch zusammenstauchen. Sonst wird es eben immer schlimmer.

Zum Schluss noch die Frage: Verstehen eigentlich die Hunde, was wir von Ihnen wollen?
Schwierig wird es für die Hunde, wenn wir widersprüchliche Signale aussenden. Zum Beispiel zum Befehl «Komm her!» den Körper bedrohlich vorbeugen. Das signalisiert dem Hund «Bleib weg!». Wichtig ist zudem, dass wir konsequent sind und jeweils dieselben Begriffe verwenden. Sonst verwirren wir den Hund. Und wenn der Hund nichts lernt, dann hat er uns nicht verstanden. Dann müssen wir unser Training überdenken.