«Das Kind zeigt noch keine Form von Hochmut … Es gesteht dem Tier ohne Bedenken die volle Ebenbürtigkeit zu», war bereits Sigmund Freud überzeugt. Zahlreiche Studien haben inzwischen seine Einschätzung belegt und gezeigt, dass die Haltung von Haustieren so manchen Vorteil bringt.

Auf das Kind gemünzt heisst das, dass sein Selbstvertrauen, sein Verantwortungsgefühl sowie seine sozialen, emphatischen und kommunikativen Fähigkeiten genauso dadurch gefördert werden, wie sein Bedürfnis nach Zuneigung und Zärtlichkeit ein Stück weit gestillt wird. Kein Wunder, dass uns das Interesse an Tieren in die Wiege gelegt wurde. Und dennoch gibt es Menschen, die sich nicht nach einem tierischen Freund sehnen und Tiere sogar quälen. Woran liegt das?

Grundsätzlich ist die Biophilie, also die Liebe zu allem Lebendigen angeboren, ein Urinstinkt, sodass jeder Mensch erst einmal eine Affinität zu Tieren hat. Kleinstkinder sollen sich sogar für nichts mehr interessieren als für Tiere. In welche Richtung sich diese Neigung entwickelt, hängt von ihrer Umwelt, ihren persönlichen Erlebnissen und ihren Vorbildern ab, sprich im Normalfall von den Eltern. Schrecken diese beispielsweise vor jedem Hund zurück, wird der Nachwuchs mit hoher Wahrscheinlichkeit auch eine Angst entwickeln. 

Auch die Medien haben einen gewissen Einfluss, zumal kaum ein Kinderbuch ohne tierische Protagonisten auskommt. Und die sind eben nicht nur lieb, sondern hin und wieder böse. Der Klassiker unter den Bösewichten ist die vermeintlich hinterlistige Schlange. Wer hat sich als Kind zum Beispiel nicht zumindest ein bisschen vor Kaa gefürchtet, die es im «Dschungelbuch» auf den kleinen Mogli abgesehen hat?

Eltern leben Interesse an Tieren vor
Allerdings hat die Zwillingsforschung gezeigt, dass vor allem die eigenen Erfahrungen eine grosse Rolle spielen. Kuschelt das eine Kind etwa gerade mit dem Familienhund, während seine Schwester beim Velofahren von einem zähnefletschenden Hund durch die Strasse gejagt wird, können sich die beiden trotz gleichem Erbgut punkto Tierliebe sehr unterschiedlich entwickeln. 

Aber es geht auch ohne so viel Dramatik. Wenn das Interesse an Tieren seitens der Eltern nicht gefördert wurde, in der Kindheit also keine Bindung zu einem Tier aufkam, kann es sein, dass der spätere Erwachsene sich wenig für die dunklen Kulleraugen erwärmen kann. Dennoch: Laut dem Verhaltensbiologen und Autor Kurt Kotrschal spüren ganz viele Erwachsene eines Tages, dass ihnen etwas fehlt, sodass der Wunsch nach einem Tier aufkommt. «Oft wird dieses Bedürfnis rationalisiert. Dann heisst es: Ein Hund ist ein guter Freizeitpartner, er ist gut für die Gesundheit, er ist gut für die Entwicklung der Kinder. All das ist richtig. Aber im Kern steht ein Bedürfnis fern der Ratio. Ein tiefer, instinktiver Wunsch.»

Kotrschal leitet nicht nur die Konrad-­Lorenz-Forschungsstelle in Österreich und ist Mitbegründer des dortigen Wolf Science Centers, sondern hat auch Literatur zum Thema verfasst und gilt mittlerweile als Koryphäe auf diesem Gebiet. Er muss also wissen, warum sich aus einst tierfreundlichen Kindern Tierquäler entwickeln und sagt: «Ein gewisses Mass an explorativem Quälen ist für kleine Kinder normal. Wenn ältere Kinder Tiere quälen, steckt meist eine Soziopathie dahinter. Gottlob ist das ziemlich selten.» Damit meint er, dass das Motiv von kleinen Kindern eine natürliche Neugier ist. Handelt es sich allerdings um ältere Kinder, ist es eher pathologischer Art. Darauf müsse man rasch und angemessen reagieren, zumal aus tierquälenden Jugendlichen manchmal sadistisch mordende Erwachsene werden würden. 

Kaiser Nero als Negativbeispiel
In seinem Buch «Einfach beste Freunde. Warum Menschen und andere Tiere einander verstehen» gibt Kotrschal den römischen Kaiser Nero dafür als Prototypen an. Schliesslich habe er schon als Kind Hunde bei lebendigem Leibe zerschnitten und sich später am Abfackeln von Menschen belustigt. Die Quintessenz des Autors: «Fast alle Serien-Frauenmörder ‹übten› ihre grausigen Rituale an Tieren. Jeder nicht gefasste Täter ist daher eine tickende Zeitbombe.»

Handelt es sich nicht um einen Soziopathen, ist die kindliche Motivation meist im familiären Umfeld zu finden. Denn Tiere fungieren als Blitzableiter, als Ersatzobjekt. Die Aggression gilt zwar letztlich einem bestimmten Menschen, aber einem kleinen Hund oder einer Katze zu schaden, ist doch weitaus einfacher und praktikabler, als sich gegen Vater oder Mutter aufzulehnen. «Tierquälerei durch Kinder ist meist ein Hinweis, dass etwas im System Familie nicht stimmt», sagt Rainer Wohlfarth vom Freiburger Institut für tiergestützte Therapie. Ein besonders häufiges Motiv ist eine gestörte oder fehlende Vaterbeziehung, was auch erklärt, dass Tierquälereien im Regelfall von Jungs begangen und oft von anderen kriminellen Machenschaften wie Brandstiftung oder Verhaltensauffälligkeiten wie Einnässen begleitet werden. 

Manchmal war es ebenso Rache am Tier selbst, da es sich in den Augen des Kindes falsch verhalten hatte. Häufig ging es schlichtweg um Unterhaltung, darum, im Mittelpunkt zu stehen, oder darum, ein Tier mittels körperlicher Züchtigung zu beherrschen. Und nicht zu vergessen natürlich der Sadismus, also das Vergnügen, einem Tier grundlos wehzutun, es leiden zu lassen und es schliesslich zu töten.

Tiere werden instrumentalisiert
Das alles kommt jedoch nicht von ungefähr. Laut Kurt Kotrschal leben wir in einer extrem anthropozentrischen Gesellschaft. Soll heis­sen: Der Mensch steht im Mittelpunkt, alle anderen Lebewesen sind nebensächlich und werden instrumentalisiert. Als Beispiele führt er die massenhaften Tötungen von Streunerhunden sowie die Massentierhaltung und den enormen Fleischkonsum an; Indikatoren für den mangelnden Respekt vor Tieren.

«Grausamkeit gegenüber Tieren geht mit Gewalt gegen Menschen einher, sie suggeriert vor allem den Kindern, dass Gewaltanwendung in Ordnung ist. Solche Gewaltereignisse stumpfen Kinder ab», schlussfolgert der Wissenschaftler und plädiert dafür, dass Kinder möglichst von klein auf mit sozialen Tieren aufwachsen.

Literaturtipps:
Kurt Kotrschal: «Einfach beste Freunde. Warum Menschen und andere Tiere einander verstehen», Verlag: Brandstätter, ISBN: 978-3-85033-814-1, ca. Fr. 32.–

Ulrich Gebhard: «Kind und Natur. Die Bedeutung der Natur für die psychische Entwicklung», Verlag: Springer VS, ISBN: 978-3-658-01805-4, ca. Fr. 43.–