In der Wirtschaftsgeflügelhaltung sind es lediglich einige Stunden, bevor der Profi erkennt, welches Geschlecht da aus dem Ei geschlüpft ist. Überlebenschancen, wenn auch selten lange, haben nur die weiblichen Tiere. In der Hobbyhaltung haben die meisten Hähne immerhin ein paar Wochen zu leben, ehe das Geschlecht feststeht und die meisten von ihnen ihr Leben lassen müssen. 

Wenn ein Hahn aber trotzdem das Geschlechtsalter erreicht, muss er sich seine Stellung als Alphahahn erkämpfen und diesen Rang auch immer wieder verteidigen. Doch die Anstrengungen eines solchen Kampfes lohnen sich. Natürlich immer vorausgesetzt, man geht als Sieger vom Platz. Wie Beobachtungen von Joseph Barber, Verhaltensforscher und Autor des Buches «Das Huhn» zeigen, bevorzugen Hennen bei der Paarung Hähne, die dominant auftreten und einen fleischigen Kamm haben. Häufiges Flügelschlagen scheint nach Barbers Studie ebenfalls eine attraktive Wirkung zu haben. 

Ein meist schmerzhaftes Vergnügen
Das Zusammenleben mit einem Hahn hat für die Henne durchaus seine Vorteile. Denn der Hahn ist derjenige, der eher Futter findet, Weibchen darauf aufmerksam macht und es so mit ihnen teilt. Das Liebesleben hingegen ist nicht nur ein Vergnügen, sondern birgt für beide Parteien gewisse Risiken. Kopulationen und Spermienabgaben sind für den Hahn mit potenziellen Gefahren verbunden. In dieser Zeit, wenn sie auch nur kurz ist, ist der Hahn den Angriffen von Herausforderern und Fressfeinden ausgesetzt. Auch sexuell übertragbare Parasiten sind nicht ungefährlich. 

Für die Henne bringt die Kopulation meist körperlichen Schäden mit sich. Denn oft klammert sich der Hahn mit dem Schnabel an den Kopffedern der Henne fest, während er auf ihrem Rücken balanciert. Wenn die Kloaken übereinanderliegen, wird das Sperma übertragen. Der gesamte Vorgang geht nur wenige Sekunden. Wenn sich die Henne danach aufplustert und sich mit dem Schnabel durch die Federn fährt, muss man feststellen, dass einige beschädigt sind oder gar fehlen. 

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Wie Joseph Barber schreibt, bevorzugen Hähne den Geschlechtsakt mit Hennen, die einen kräftig gefärbten Kamm aufweisen. Oft geben sie dann auch mehr Spermien ab, vor allem, wenn sie sich noch nie zuvor mit ihnen gepaart haben. Ein satt gefärbter Kamm sagt nämlich viel über den Zustand der Henne aus. Einerseits zeigt sie damit, dass sie gesund ist, andererseits weist es auf eine grössere Fruchtbarkeit hin. 

Hennen sind, im Gegensatz zu den Hähnen, bei der Paarung wählerischer. Sie schauen bei einem Hahn auf verschiedene äusserliche Merkmale: auf die Grösse der Sporen, der Ohrscheibe, auf das Gefieder und nicht zuletzt auf einen fleischigen gros­sen Kamm. Letzterer strahlt ein Zeichen von Dominanz und Stolz aus. Sind sich zwei Hähne ähnlich, wird derjenige bevorzugt, der öfters mit den Flügeln schlägt.

In der Regel sind die grösseren Hähne erfolgreicher bei den Hennen als kleinere. Es zählt jedoch nicht nur die körperliche Erscheinung, sondern auch der Werbetanz ist entscheidend. Auch die Art des Futters, das der Hahn beim Futterlocken verwendet, ist wichtig für den Erfolg oder Misserfolg. Gute Chancen hat, wer Mais, Insekten oder Würmer in Griffnähe hat. 

Sind mehrere Hähne in einer Herde, schaut sich die Henne ihre potenziellen Liebhaber erst genau an, bevor sie eine Entscheidung trifft. Fällt die Wahl nicht auf ein Alphatier, muss die Paarung heimlich stattfinden. Ein «Aussenseiter» macht das sehr schlau. Das Futterlocken oder andere Werbemassnahmen vollführt er lautlos und an einem Ort, an dem ihn der Alphahahn nicht sehen kann. Dank der sehr guten Sehkraft und dem Rundumblick der Hühner kann der Beta-Hahn den Aufenthalt des Alpha-Hahns immer im Auge behalten und bei Gefahr das Weite suchen. 

Aufzucht ist Hennensache
Die Hähne sind ausserhalb der weiblichen Hackordnung. Sie sind sowohl Beschützer wie auch Helfer bei Streitigkeiten unter den Hennen. In kleineren Gruppen haben die Hennen meist eine lineare Hackordnung. Das heisst, die Alpha-Henne bekommt immer, was sie möchte, während sich die rangniedrigste Henne immer in Acht nehmen muss, da jede andere Henne im Hühnerhof ihr gegenüber aggressiv werden kann. Alle anderen Hennen müssen ihr Verhalten anpassen, je nachdem, ob sie sich einer ranghöheren oder einer rang­niedrigeren Henne nähern. 

Ein Hahn hat oft eine Favoritin unter den Hennen. Mit dieser verbringt er dann auch die meiste Zeit. Dabei handelt es sich nicht zwangsläufig um die Alpha-Henne. Auch Hühner kennen Eifersucht. So kann es schon mal sein, dass bei der Abwesenheit des Hahnes seine Angebetete tyrannisiert und von den anderen Hennen gequält wird.

Die Aufzucht hingegen wird ganz den Hennen überlassen. Hierfür betreiben die weiblichen Tiere einen enormen Aufwand – vom Eierlegen über den Nestbau, das Ausbrüten bis hin zum Ernähren, Umsorgen und Lehren der wichtigsten Verhaltenseigenschaften. Die Hähne sind weder am Nestbau noch am Brüten oder Versorgen der Küken beteiligt. Indirekt sorgen sie aber für die Sicherheit der Glucke und ihrer Nachkommen und nehmen so die Rolle als Wächter und Beschützer ein.