Mit einem kurzen Signalton kündigt die Mailbox den Eingang des «Newsletters» von Rassekaninchen Schweiz an. Mit fetten Lettern weist der Verband auf die Impfpflicht für Ausstellungskaninchen hin. Er empfiehlt den Züchtern, vorsorglich gleich den ganzen Bestand impfen zu lassen.

Ein Hinweis, der bewusst Anfang Oktober erfolgte. Im Herbst und Winter häufen sich die Züchterbesuche, Vorbewertungen und Ausstellungen. Ein idealer Nährboden für eine Infektion, deren Krankheitsverlauf meistens tödlich endet: die Virale hämorrhagische Krankheit (VHK), im Volksmund «Chinaseuche» genannt. Für den Menschen ist das Virus ungefährlich, dem Kaninchen bringt es binnen 24 Stunden nach Ausbruch der Krankheit meistens den sicheren Tod.  

Die VHK ist denn auch eine der meistgefürchteten Kaninchenkrankheiten. Es gibt sie seit Anfang der 1990er-Jahre; sie überträgt sich durch ein Calicivirus mit dem Namen RHDV-1a. Seit 2010 ist eine weitere Variante mit dem Virus RHDV-2 im Umlauf. Der neue Typ ist noch fieser: Waren gegenüber den bisherigen VHK-Infektionen Kaninchensäuglinge bis zu einem Alter von vier Wochen durch die Muttermilch geschützt, rafft es bei einem Krankheitsausbruch auch die Jüngsten dahin. Die VHK verläuft qualvoll: Sie beginnt mit Teilnahmslosigkeit, Fieber, Atemnot, Koordinationsstörungen und Zittern – und endet mit Krämpfen, Blutungen und dem Tod. 

Rassekaninchen Schweiz führte die Impfpflicht für Ausstellungen im Jahr 2015 erneut ein. Der Verband beobachtet die Anzahl Ausbrüche und beurteilt jährlich, ob die Impfpflicht nach wie vor notwendig ist. Dieses Jahr wurden dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) bereits 15 Fälle gemeldet. Eine Impfung ist der beste Schutz gegen die gefürchtete Krankheit. Sie muss jedoch jährlich wiederholt werden.

Australien: Verbot, dann Auflagen
Während die Impflicht für Ausstellungen in den meisten europäischen Ländern gilt, sehen sich die USA noch nicht zu diesem Schritt veranlasst. Bis jetzt gab es gemäss dem Amerikanischen Kaninchenzuchtverband noch keinen Krankheitsausbruch bei einem organisierten Kaninchenzüchter, bei Heimtierhaltern hingegen schon. Die VHK gilt in den Vereinigten Staaten als sogenannte «ausländische Seuche». Bei einem Krankheitsfall ordnet der Staat die Vernichtung sämtlicher Ställe des betroffenen Züchters an, eine Desinfektion genügt nicht.

In Australien stehen Kaninchenzüchter der VHK völlig schutzlos gegenüber. Der Grund dafür liegt über 150 Jahre zurück: Europäische Auswanderer brachten damals Wildkaninchen nach «Down Under» – und liessen zu Jagdzwecken im Jahr 1859 einige dieser Tiere westlich von Melbourne frei. Es war der Anfang einer enormen Kaninchenplage auf dem Kontinent. Die Folge: Ohne staatliche Bewilligung durften in Australien keine Kaninchen mehr gehalten werden. Zuwiderhandlungen wurden mit bis zu sechs Monaten Freiheitsentzug bestraft. 

Erst ab 1958 begannen die sechs australischen Bundesstaaten diese Richtlinien zu lockern. Als erster liess 1980 Victoria die Haltung von bis zu zehn Hauskaninchen ohne und bis zu 30 mit einer Sondergenehmigung zu. Andere Staaten folgten – jeder mit anderen Bedingungen. Queensland ist bis heute der einzige Bundesstaat, in dem die Kaninchenhaltung nach wie vor illegal ist. Wer sich nicht an die Bestimmungen hält, muss mit einer Busse von bis zu 30 000 Australischen Dollar rechnen. 

«Im Tornado der VHK»
Die Lockerungen erlaubte auch den Import von Rassekaninchen aus Europa. Die Einfuhrerlaubnis beschränkte sich jedoch auf sechs Rassen; diese legten den Grundstein für die organisierte Kaninchenzucht in Australien. Die Freude währte nicht lange. Während die Züchter zu Beginn ihre Bestände gegen die Myxomatose schützen mussten – dieser Erreger wurde vom Staat zur Dezimierung der Wildkaninchen eingesetzt –, folgte später die viel effektivere VHK. 1995 «entkam» das RHDV-1a-Virus von einem angeblich sicheren Insel-Testgebiet, etwa vier Kilometer vor der Küste Südaustraliens. Bald wurde es benutzt, um die Wildkaninchen gezielt zu infizieren. Die Rassekaninchen blieben nicht verschont; zudem wurde ein erneutes Importverbot angeordnet, welches bis heute in Kraft ist. 

In «Down Under» Rassekaninchen zu züchten, erfordert deshalb viel Herzblut und Durchhaltewillen. Davon kann John Porritt, aus Melton, Victoria, viel erzählen. Der 82-Jährige züchtet seit 70 Jahren Rassekaninchen, zu Beginn in Grossbritannien. 1974 wanderte der Züchter und Kaninchenexperte mit seiner Familie zuerst nach Neuseeland, danach nach Australien aus. 

Porritt lebt mitten im «Tornado der VHK», wie er seine Situation schildert, in der immer wieder ein Ausbruch droht. «Wir sind definitiv mittendrin», sagt er – besorgt, aber nicht mutlos. Er trifft viele Massnahmen, damit sich seine Kaninchen nicht anstecken: Unter anderem ist er vorsichtig bei der Wahl des richtigen, nicht kontaminierten Heus. Zudem desinfiziere er täglich seine Schuhe und die Kleidung. 

Laut Porrit handhabt jeder Staat die Freigabe des Erregers zu Wildkaninchen-Tötungszwecken anders. Die Mehrheit kontrolliere die Abgabe, zwei Staaten jedoch gäben das Virus frei und unkontrolliert an jedermann ab. Obwohl die Kaninchenzucht darunter leide, verstehe er, dass die australische Landwirtschaft die durch Wildkaninchen verursachten Schäden in der Höhe von jährlich 200 Millionen Australischen Dollar nicht einfach so akzeptiere. Die Freisetzung gelte als eine wichtige Massnahme zur Bekämpfung der Wildkaninchenpopulationen.

Es sei zwar ein Impfstoff für Hauskaninchen verfügbar, doch wirke dieser nur gegen den ursprünglichen Virus Typ RHD-V1. RHD-V2-Impfstoffe, die in anderen Ländern verwendet werden, sind in Australien nicht erhältlich. Sie wären möglicherweise auch nicht wirksam, denn das Virus habe sich bereits angepasst, sagt Porritt. Momentan herrsche die Ruhe vor dem Sturm – der Tornado baue sich jedoch wieder auf: «Das koreanische Virus RHD-K5, das Anfang 2017 entwickelt wurde und seither in weiten Teilen Australiens im Einsatz ist, bereitet mir die grösste Sorge», betont der erfahrene Züchter. Mit Bestimmtheit werden wiederum viele australische Kaninchenzüchter ihre Bestände verlieren. Ob es der Genickbruch der Kaninchenzucht in Australien sein wird, wagt John Porritt nicht zu beurteilen.