Manchmal bleibt Luna tatsächlich in einer Ecke «stecken». Dann scheint die 13-jährige Katzendame auf einmal vergessen zu haben, wie man mit Hindernissen wie einer Wand umgeht. Eilt ihr jemand zu Hilfe, reagiert sie irritiert, faucht oder dreht sich um und rennt verängstigt aus dem Zimmer. Dass ihr einst so zufriedenes Büsi heute überwiegend verängstigt und gestresst wirkt, ist für Besitzerin Simone Münger aus Allschwil BL schlimm. Immer wieder muss sie zudem in der Nacht aufstehen, weil Luna aus nicht ersichtlichen Gründen irgendwo steht und anhaltend miaut. 

Nach verschiedenen Untersuchungen bei ihrer Tierärztin ist inzwischen klar, warum sich Luna derart seltsam verhält: Schuld sind Veränderungen in ihrem Gehirn. «Substanz von Nervenzellen und ihren Hüllen, Ablagerungen und Gefässveränderungen», wie Frank Steffen, Abteilungsleiter Neurologie der Vetsuisse Fakultät der Universität Zürich präzisiert. Die Alterung des Gehirns betreffe nämlich sämtliche Säugetiere. Und weil dank medizinischem Fortschritt nicht nur Menschen, sondern auch Haustiere eine immer höhere Lebenserwartung haben, kommt Demenz eben auch bei Katzen immer häufiger vor. 

Frühe Stadien oft nicht erkannt
Streng genommen werde der einer breiten Öffentlichkeit bekannte Begriff «Demenz» (mit Defiziten in kognitiven, emotionalen und sozialen Fähigkeiten) bei Tieren nicht als Diagnose verwendet, weil dieser aus der Psychiatrie stamme, sagt Steffen. Die strukturellen Veränderungen am alten Gehirn und die mit dem sogenannten «kognitiven Dysfunktionssyndrom» einhergehenden Probleme seien bei Mensch und Tier durchaus vergleichbar. 

Die von Münger beschriebene Desorientierung ist laut Steffen ein typisches Anzeichen einer kognitiven Dysfunktion. Ein veränderter Schlaf-Wach-Rhythmus und Unsauberkeit treffe er in der Praxis ebenfalls häufig an sowie eine veränderte Interaktion der betroffenen Katze mit ihren Besitzern, anderen Haustieren oder der Umgebung. Auch eine verstärkte Ängstlichkeit und Ruhelosigkeit gehörten oft zum klinischen Bild. 

Der Verlust des Erinnerungsvermögens hingegen – beim Menschen ein Frühzeichen der Erkrankung – kann bei der Katze nur schwierig untersucht werden. Aus diesem Grund würden frühe Stadien wohl regelmäs­sig nicht erkannt. «Die meisten alten Tiere mit Verhaltensstörungen sehen wir erst, wenn ihr Verhalten die Lebensqualität der Besitzer – und nicht der Tiere selber – stört», sagt Steffen. Etwa wenn das nächtliche Miauen den Menschen ihren Schlaf raubt.

Ab 15 ist die Hälfte betroffen
Verunsicherten Besitzern empfiehlt er einen Tierarztbesuch, wenn die Lebensqualität reduziert scheint. Schmerzen hätten die Patienten nicht – mit Ausnahme des sogenannten automutilativen Verhaltens, bei dem sich die Tiere durch Beissen etwa am Schwanz selber verletzen. 

Mit 13 Jahren ist Luna zwar nicht in der Altersgruppe der häufigsten Demenz-Patientinnen. Gemäss aktuellen Studien sind in der Alterskategorie 11 bis 15 Jahre aber rund 28 Prozent der Katzen von altersbedingten Kognitionsstörungen betroffen. Bei den Über-15-Jährigen steigt der Prozentsatz markant auf über 50 Prozent. Tatsächlich dürfte die Zahl der betroffenen Katzen deutlich höher sein. So geht Steffen davon aus, dass Kognitionsstörungen in der Realität eher unter- als überdiagnostiziert werden.

Um eine Diagnose zu stellen, stützt sich die Tierärztin beziehungsweise der Tierarzt auf eine Kombination von klinischen Beschwerden und Ausschluss medizinischer Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen ab. Für die bereits erwähnten typischen Probleme werden Punkte vergeben, um den Schweregrad der kognitiven Dysfunktion zu bestimmen. Damit kann das Krankheitsstadium – je mehr Punkte, desto fortgeschrittener die Krankheit – eingeschätzt werden. 

Tatsächlich ist es nicht einfach, eine etwaige Demenz von anderen Erkrankungen zu unterscheiden. Laut Steffen kann bei älteren Katzen beispielsweise eine krankhafte Schilddrüsenüberfunktion oder chronisches Nierenversagen zu Bluthochdruck und der wiederum zu einer Störung der Gehirnfunktion führen. Kognitive, verhaltensbedingte und motorische Störungen können durch Tumore verursacht werden, die auf das Hirngewebe drücken.  Eine kognitive Dysfunktion kann laut Steffen nicht geheilt werden. Durch Medikamente und spezielle Diäten, welche den Stoffwechsel des Gehirns positiv beeinflussten, könnten aber der Krankheitsverlauf verlangsamt und die klinischen Probleme gemildert werden. Allerdings sei das Angebot wissenschaftlich gut untersuchter Medikamente und Futtermittel für Katzen im Vergleich zu Hunden geringer. Es gebe aber eine Reihe von Erlebnisberichten, wonach sich die Wirkstoffe auch bei Katzen positiv ausgewirkt hätten. 

Futternäpfe an mehreren Orten
Eine weitere gute Möglichkeit sei auch, die Gehirnfunktion der betroffenen Katze über das Verstecken von Futter oder intensives Spielen mit Gegenständen zu aktivieren: «Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Patient überhaupt noch auf diese Reize reagiert – was in fortgeschrittenen Stadien nicht der Fall sein dürfte.»

Münger hat auf Anraten ihrer Tierärztin damit begonnen, an mehreren Orten in der Wohnung Futter- und Wasserbehälter sowie Katzenkistchen aufzustellen – damit die Chance grösser ist, dass Luna zufällig daraufstösst. Eine Medikation steht noch zur Diskussion.