Am Anfang verschwand die Katze immer wieder einmal einen Abend oder eine Nacht lang. Nach ein paar Wochen kam sie überhaupt nicht mehr nach Hause. Durchweinte Abende, eine quartierweite Flugblätteraktion und zahlreiche Hinweise später war klar, wo sich der kleine Tiger aufhielt: Er war ein paar Häuser weiter in eine Wohnung eingezogen. Was nach einem Happy End tönt, war der Anfang eines mühseligen Hin und Her. Es zeigte sich nämlich, dass die Besitzer der Wohnung das fremde Büsi den eigentlichen Eigentümern auf ihre Bitte hin zwar freundlich herausgaben. Gleichzeitig behielten sie die Balkontüre aber tagein, tagaus offen und stellten Futter bereit. Die Folge: So oft es ihm passt, spaziert der kleine Tiger in die fremde Wohnung und bleibt nicht selten tagelang dort.

Das Thema «Füttern fremder Katzen» sei beim Schweizer Tierschutz (STS) ein «Dauerbrenner», sagt Martina Schybli, Leiterin Fachstelle Heimtiere: «Wir erhalten immer wieder Anfragen von Tierhaltern oder Nachbarn.» Wegen des grossen Interesses hat der STS ein Merkblatt herausgegeben. Darin hält die Organisation fest, dass es für ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis nur eine Lösung gibt: «Niemand soll fremde Katzen füttern.» Was aber kann unternommen werden, wenn sich ein Nachbar trotz allem nicht an die Regeln hält?

Nicht generell verboten
«Das Füttern fremder Tiere ist weder durch das Tierschutzrecht noch durch das Strafgesetzbuch generell verboten», hält Antoine F. Goetschel fest. Der frühere Tieranwalt des Kantons Zürich ist jetzt Präsident des «Global Animal Law GAL Projects». Solange Nachbarkatzen nur gelegentlich und mit unschädlichem Futter verwöhnt würden, hätte der «Täter» keine gesetzlichen Konsequenzen zu fürchten. Wenn jemand aber fremde Haustiere regelmässig oder gar systematisch füttere, könne dies durchaus rechtliche Folgen haben und allenfalls gerichtlich verboten werden. Er habe vor Jahrzehnten einmal einen solchen Musterfall behandelt, der mit einem Vergleich geendet habe.

Falls eine Katze nur noch sporadisch oder während längerer Zeit überhaupt nicht mehr nach Hause komme, bedeute dies nicht nur einen wesentlichen Eingriff in die Gefühlswelt und Privatsphäre der Besitzer, sondern auch in ihre Stellung als Eigentümer ihrer Heimtiere, wozu das Recht gehöre, möglichst viel Zeit mit ihnen zu verbringen, erklärt Antoine Goetschel: «Durch das Weglocken ihrer Katze werden sie daher geschädigt.» Falls ein klärendes Gespräch nicht fruchte, könnte in einem nächsten Schritt ein Mediator beigezogen werden. Goetschel: «Erst wenn alles nichts hilft, sollte man entscheiden, ob man sein Recht auf dem Prozessweg einfordern will.»

Der Prozessweg kann bedeuten, dass der Katzenbesitzer eine Zivilklage oder eine Strafanzeige einreicht. Wobei Letzteres laut den Experten eher nicht zu empfehlen ist – oder um es mit den Worten von STS-Rechtsanwalt Lukas Berger zu sagen: «Eine Strafanzeige ergibt nur bei ganz extremen Situationen Sinn, wenn die Katze derart mit Futter und anderem an sich gebunden wird, dass sie überhaupt nicht mehr zum Besitzer zurückkehrt.» Das strafbare Verhalten in der Praxis nachzuweisen sei aber schwierig.

Die Einreichung einer Zivilklage ist laut Berger schon eher sinnvoll. Mit einer Zivilklage kann der Kläger (Tiereigentümer) das Rechtsbegehren stellen, dass der Richter dem Beklagten (Fremdfütterer) verbieten soll, die Katze des Klägers weiter zu füttern unter gleichzeitiger Strafandrohung gemäss Art. 292 des Strafgesetzbuches (StGB), falls sich der Beklagte nicht an das Urteil halten sollte. Siegt der Kläger und hält sich der Beklagte später nicht an das Urteil, kann der Kläger eine Strafanzeige einreichen. Die Strafe dafür ist eine Busse, beim erstmaligen Verstoss in der Höhe von ein paar Hundert Franken.

Hohe Kosten schrecken ab
Die Kosten für einen solchen Zivilprozess seien je nach Kanton unterschiedlich, sagt Berger. Er schätze die Gerichtskosten «sehr grob» auf 500 Franken, die Anwaltskosten pro Partei auf 1500 bis 3000 Franken. Wobei die unterlegene Partei alle Kosten übernehmen müsse. «Die meisten Tierhalter scheuen den Aufwand und die Kosten für eine solche Zivilklage», sagt Berger. Aber man könne eine solche Klage ja auch «nur» androhen: «Eine solche Drohung kann beim einen oder anderen durchaus dazu führen, dass er die Fremdfütterung einstellt.»

Ein gewisses Mass an Selbstgerechtigkeit kann eine Rolle spielen, wenn Menschen fremde Katzen füttern, wie der STS festhält. Dann nämlich, wenn der «Fremdfütterer» der Ansicht ist, er meine es ja nur gut und der Katzenbesitzer halte seine Katze schlecht. In anderen Fällen bieten Katzenhalter ihren Katzen das Futter offen zugänglich draussen an, sodass sich andere Tiere ebenfalls davon bedienen können. Oder ein Katzenbesitzer arbeitet tagsüber, worauf seine Katze an einem fremden Ort herzzerreissend miaut und den Eindruck erweckt, sie sei die Ärmste überhaupt. Und dies so lange, bis der umworbene Mensch einknickt und Futter gibt.

Im Fall des kleinen Tigers haben mehrere Gespräche zu keiner Lösung geführt. Die «Fremdfütterer» machen geltend, dass sie die Balkontüre offen halten müssen, damit ihr eigenes Büsi rein- und rauskann. Ein Katzentürchen mit Chip käme unter anderem aus Kostengründen nicht infrage und die fremde Katze konsequent vor die Türe zu stellen, brächten sie «nicht übers Herz». Die rechtmässigen Eigentümer denken über die Einreichung einer Zivilklage nach und halten den kleinen Tiger – vorübergehend und schweren Herzens – als Hauskatze.