Ist jemand auf dem Land aufgewachsen und kommt plötzlich in die Grossstadt, fühlt er sich verloren: Untergrundbahn, Hochhäuser, Strassen, Lärm, alles völlig fremd. Ein Stadtmensch, der zeitlebens kaum je die Häuserfluchten verlassen hat und sich plötzlich mitten im Wald wiederfindet, ist gleichsam überfordert. Genauso haben es die Vögel. Eine Wasseramsel am Bach fliegt von einem Stein auf den anderen. Unvermittelt taucht sie ab, um unter Wasser ihre Nahrung zu sammeln. Nie würde sie aber auf einen Ast einer Weide am Bachufer fliegen und von dort aus in das Wasser spähen. 

Ein schilfumstandener Teich im Wallis, beidseitig ragen Berge in die Höhe. Warmer Wind bläst durch das Tal und durch den Röhricht. «Kryt glyt, kryt glyt», ruft es über dem Wasser. Farbige Bienenfresser haschen nach Fluginsekten. Sie fliegen pfeilschnell, flattern wie grosse, gelblich orange Schmetterlinge, um abrupt abzudrehen. Immer wieder landen sie auf den Spitzen auf aus dem Wasser ragenden Ästen oder an exponierter Stelle in Bäumen. Derweil jodelt der Pirol aus dem dichten Blätterdach einer Pappel. Nur einmal, als er über den Teich fliegt, sieht man ihn, denn der melodiös Pfeifende verschwindet sofort wieder im schützenden Blätterdach.  

Drei Beispiele einheimischer Vögel, die art-typisches Verhalten in konkreten, auf ihre Art zugeschnittenen Lebensräumen zeigen. Die Wasseramsel ernährt sich im seichten, flies­senden Wasser von Bachflohkrebsen, die am Grund unter Steinchen siedeln. Sie baut ihre Nester an Felswänden in Schluchten. Dabei scheint es ihr keine Rolle zu spielen, wenn es sich um Betonmauern in Vororten handelt. Bienenfresser spähen von Warten in die Luft, wo ihre Beutetiere, die Insekten, summen und schweben. Der Pirol hingegen liest Räupchen von Baumblättern ab, erhascht kleine Käfer und Spinnen im Blattwerk.

Den Lebensraum kopieren
Die beschriebenen Arten sind gute Beispiele, denn mit exotischen Vogelarten verhält es sich nicht anders. Auch sie sind bestens an ihre Lebensräume angepasst. Australische Sittiche werden oft in länglichen, spartanisch eingerichteten Volieren gehalten. Sie stammen aus Savannen und wüstenähnlichen, trockenen Landschaften. Dort sitzen sie auf teilweise kahlen Bäumen und sehen in die Weite. Ähnlich können sie es in kärglich eingerichteten Volieren halten. Doch auch in der Natur fallen sie in blattreiche Eukalyptusbäume ein. Darum sind an der Volierenwand angebrachte Tannen- oder Laubäste sinnvoll. Oft nehmen australische Sittiche in der Natur am Boden Grassamen auf. Auch auf sandigen Volierenböden halten sie sich regelmässig auf. 

Auch viele australische und afrikanische Prachtfinkenarten leben in trockenen Savannengebieten. Da sich die Winzlinge von Grassamen ernähren, leben sie hauptsächlich im unteren Bereich, verstecken sich in Büschen, nesteln in Falllaub und picken von Grasrispen. Grasstubben, Sandboden, eine Wasserstelle und dichtes Gestrüpp sind in ihrer Voliere ideale Voraussetzungen. Arten aus Schilfzonen wie etwa Binsenastrilde und Nonnen sollten auch in der Voliere reichlich Schilfhalme und hohe Gräser zur Verfügung gestellt werden.

Graupapageien sind Regenwaldbewohner. Kletteräste, Seile, baumelnde Wurzelstöcke und regelmässig frische Äste mit Laub entsprechen ihren Bedürfnissen. Von allen hier beschriebenen exotischen Arten weiss man, dass sie auch auf Steine fliegen. Darum sind Steine in der Vitrine oder Voliere sinnvoll. 

Manche Arten sind anpassungsfähig, wie unsere Amsel, die im Wald und in der Stadt lebt. Auch der Wellensittich ist, obwohl er ursprünglich aus trockenen Gebieten stammt, ein Opportunist. Er reagiert positiv, wenn er reichlich Nahrung vorfindet. Darum ist er so gut zur Haltung geeignet und konnte domestiziert werden. In Fachbüchern finden sich ausführliche Informationen, wie Vögel leben. Sie zu lesen ist wichtig, bevor eine Voliere oder Vitrine eingerichtet wird.