Herr Hofer, die Kriminalstatistik der Kantonspolizei Bern zeigt in den letzten Jahren eine Zunahme an Fällen, die die Abteilung Tierdelikte bearbeitet. Werden mehr Straftaten an Tieren begangen?

Ich denke eher, dass die Bevölkerung heute genauer hinschaut als noch vor einigen Jahren. Tiere sind heutzutage zum Glück für viele nicht mehr «nur» eine Sache, sondern fühlende Lebewesen. Diese höhere Sensibilität in der Gesellschaft führt dazu, dass der Polizei mehr Fälle gemeldet werden, bei denen man früher eher einfach weggeschaut oder sie als Lappalie abgetan hätte. Wird einem Tier geschadet, dann wird zurecht der Anspruch an die Behörden gestellt, dass dies verfolgt und angemessen bestraft wird. Zudem hat die Schweiz ein sehr umfassendes Tierschutzgesetz, in dem klar definiert ist, dass die Würde und das Wohlergehen von Tieren zu schützen sind. Entsprechend schnell kommt man dann bei Zuwiderhandlungen in den strafbaren Bereich. Verstösse gegen das Tierschutzgesetz sind dabei sogenannte Offizialdelikte, das heisst, dass sie von Amtes wegen verfolgt werden müssen. Erhält die Polizei Kenntnisse von einer Tat an einem Tier, so fängt sie also auch an zu ermitteln, ohne dass jemand vorher eine Strafanzeige stellen muss.

Heisst das, wenn ich beobachte, dass zum Beispiel ein Tier misshandelt wird, dann kann ich die Polizei anrufen und die kümmert sich dann darum?

Wenn Sie wissen, dass ein Tier zum Beispiel vernachlässigt oder schlecht gehalten wird, dann ist das für Ihren Wohnsitz zuständige Veterinäramt Ihr Ansprechpartner. Diesem können solche Sachverhalte gemeldet werden, teilweise auch anonym. Vor Ort beurteilen die Mitarbeitenden des Amts dann, wie es den Tieren geht und ob ein Verstoss gegen das Tierschutzgesetz vorliegt. In dem Fall wird dann die Polizei informiert, um den Sachverhalt für ein entsprechendes Strafverfahren feststellen zu lassen. Das klingt jetzt vielleicht alles sehr technisch, aber im Prinzip kümmert sich das Veterinäramt darum, dass Tiere artgerecht gehalten werden, und arbeitet uns zu, wenn tatsächlich eine Straftat gegen Tiere vorliegt. Wir kümmern uns dann um die Verfolgung der Straftat. Falls Sie als Bürger jedoch mitbekommen, dass ein Tier akut an Leib und Leben bedroht wird, indem es zum Beispiel gerade misshandelt wird, dann können Sie die 117 wählen. Das gilt auch für alle anderen Situationen, in denen ein Tier zu Schaden kommt oder gekommen ist, wie zum Beispiel bei einem Wildunfall mit Fahrerflucht.

Wenn ich über die 117 einen Tierfall melde, werde ich dann zur Fachstelle für Tierdelikte durchgestellt?

Jeder Polizist und jede Polizistin der Kantonspolizei ist in Sachen Tierschutz geschult. Das heisst, dass die Einsatzzentrale gegebenenfalls sofort eine Patrouille schicken kann, um sich vor Ort ein Bild von der Sachlage zu machen. Das hat den Vorteil, dass Fälle rasch nach der Meldung aufgenommen und bearbeitet werden können. Ist der Sachverhalt komplizierter und erfordert zusätzliche Ermittlungsarbeit, dann kommt die Fachstelle Tierdelikte ins Spiel. Wir sind momentan vier Personen, die speziell bei Straftaten gegen Tiere ermitteln. Wir werden gerufen, wenn ein Fall den Arbeitsrahmen einer Patrouille sprengen würde oder mehr spezielles Wissen oder Techniken erfordert.

Zur Person
Hans Ulrich Hofer wuchs auf einem Bauernhof auf und lernte ursprünglich Landwirt. Es zog ihn jedoch bald in den Polizeidienst, wobei er nach seiner Ausbildung als kantonaler Wildhüter arbeitete. Kurz nach seiner Rückkehr zur Kantonspolizei Bern übernahm er Ermittlungen bei Tier- und Umweltdelikten und leitet seit 2017 die Fachstelle Tierdelikte. Auch in seiner Freizeit dreht sich bei Hofer vieles um Tiere. Er ist stolzer Halter eines Hundes, mehrerer Bienenvölker und von Kaninchen.

Können Sie ein Beispiel nennen, wie so ein Fall dann abläuft?

Wir hatten vor ein paar Jahren die Meldung eines Tierhalters, dass er im Gehege seiner Tiere eine Männerunterhose gefunden hat. Das kam ihm sehr seltsam vor, und er hat sich dazu entschieden, die Polizei zu informieren. Tatsächlich hat die Patrouille vor Ort nicht nur das Kleidungsstück, sondern zusammen mit dem Halter auch ein Tier mit Verletzungen gefunden. Genau wie bei Delikten an Menschen wird dann die ganze Maschinerie in Gang gesetzt. Die Kriminaltechnik sucht nach Spuren und damit nach Hinweisen auf einen Tatverdächtigen, mögliche Zeugen werden befragt, das Labor untersucht das Kleidungsstück auf DNA …

… also so ein bisschen wie «Tatort» für Tiere.

So in etwa, aber mit zwei wesentlichen Unterschieden: Erstens gehen nicht nur ein oder zwei Ermittler den Spuren nach, sondern ein grösseres Team, oft aus mehreren Abteilungen. Das ist bei Delikten an Menschen natürlich auch der Fall. Und zweitens dauern kriminaltechnische Untersuchungen und Ermittlungen wesentlich länger als es im Fernsehen oft dargestellt wird. Es laufen aber bei Tierdelikten dieselben Prozesse wie bei Delikten, die Menschen betreffen. Und gerade Fälle wie diesen lassen einen auch schon mal Freizeit opfern.

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Was kam dann bei Ihren Ermittlungen raus?

Die Kriminaltechnik konnte auf der Unterhose tatsächlich die DNA eines männlichen Tatverdächtigen sichern. Gleichzeitig sind wir diversen Hinweisen nachgegangen und haben viele Personen überprüft. Mit einem DNA-Abgleich konnten wir schlussendlich den Täter überführen und der Staatsanwaltschaft übergeben. Die ganzen Ermittlungen haben aber fast zwei Jahre gedauert, da braucht man schon viel Ausdauer und Geduld. Aber schlussendlich hat es sich gelohnt.

Erfahren Sie jeweils, wie so ein Fall vor Gericht ausgegangen ist?

Selten. Manchmal teilt uns die Staatsanwaltschaft die Ergebnisse der Gerichtsverhandlungen mit, manchmal – gerade in wegweisen Fällen – fragen wir selber nach. Meistens ist für uns nur wichtig, ob unsere Arbeit ausreichend war, damit es zu einer Verurteilung kommen konnte. Aber wir konzentrieren uns primär auf die offenen Fälle und wollen diese möglichst schnell und gründlich bearbeiten. Dafür hat der Kanton Bern auch eine der höchsten Aufklärungs- und Verurteilungsquoten. In dem Fall oben wissen wir aber zum Beispiel, dass sich das Tier von den Verletzungen wieder erholt hat und dass der Täter verurteilt wurde.

Gibt es einen Fall, der Sie bis heute nicht loslässt?

Wir bekamen im November 2020 einen Anruf, dass jemand in einer Strassenunterführung eine Katze aufgehängt hatte. Das Tier konnte nur noch tot geborgen werden. Das war nicht nur ein äusserst schockierender Fall und für die Besitzer natürlich mit grosser Trauer verbunden, sondern auch besonders dreist, weil die Tat am helllichten Tag stattgefunden haben muss. Wir haben alles unternommen, was ging, um den Verantwortlichen zu finden, alle heutigen kriminaltechnischen Möglichkeiten ausgeschöpft und viele Überstunden geleistet – und trotzdem konnten wir des Täters nicht habhaft werden. Das frustriert mich sehr. Ungelöste Fälle werden aber keinesfalls ad acta gelegt, sondern immer wieder angeschaut und gegebenenfalls wird neuen Hinweisen nachgegangen. So etwas wie «Cold Cases», die irgendwo in einer Schublade verstauben, gibt es also nicht.

Wie gehen Sie mit Frustration wie in einem solchen Fall um?

Tierdelikte aufzuklären ist für mich eine Herzensangelegenheit, gerade weil ich selber Tierhalter bin und auch mit Tieren aufgewachsen bin. Manchmal gehen sie mir natürlich auch nahe. Ich und mein Team stecken viel Herzblut in jeden Fall. Doch trotz dieser intensiven Bemühungen muss man leider realistisch sein, dass nicht alle Fälle aufgeklärt und alle Verantwortlichen gefasst werden können. Aber alle Mitarbeitenden der Kantonspolizei nehmen ihre Arbeit sehr ernst und schlussendlich führen unsere Ermittlungen auch in vielen Fällen zum Erfolg. Diese Erfolge zeigen mir dann auch, dass wir unsere Arbeit gut machen. Ich bin gerne Polizist und setze mich dafür ein, dass Tierquälern das Handwerk gelegt wird. Nebst Misshandlungen sind Vernachlässigungen von Tieren die Fälle, die amhäufigsten auf unseren Schreibtischen landen. Dort sieht man dann auch, welche menschlichen Schicksale oft hinter solchen Fällen stecken. Wenn Menschen die Kontrolle über ihr Leben verlieren und sich weder um sich selbst noch um ihre Tiere richtig kümmern können, dann ist das wirklich tragisch. Das ist keine Entschuldigung, aber manchmal eine Erklärung. Man wünscht sich dann, dass solche Menschen früher Hilfe bekommen und die Situation gar nicht erst so dramatisch werden würde.

Gibt es noch etwas, was Sie sich für die Zukunft von der Gesellschaft wünschen würden?

Wir sind schon sehr froh, dass die Menschen hinschauen und sich auch melden, wenn sie etwas beobachten. Nur so können wir tätig werden und im Zweifelsfall auch Schlimmeres verhindern. Allerdings haben wir auch Anrufe, bei denen bewusst falsche Anschuldigungen gemacht werden, zum Beispiel im Rahmen von Nachbarschaftsstreitigkeiten. Dann fährt eine Patrouille vor Ort und muss feststellen, dass nichts an der Sache dran ist. Dadurch werden unnötig Kräfte gebunden, die vielleicht an anderer Stelle benötigt werden. Unser Versprechen ist, dass wir jeden Fall ernst nehmen! Und dieses Versprechen sollte man nicht missbrauchen. Aber wer uns ruft, weil er ein tatsächliches Delikt gegen ein Tier anzeigen will, der kann definitiv darauf zählen, dass sich die Polizei darum kümmert.