Roxy ist ein kleiner Hund. Etwa so schwer wie eine Katze. Normalerweise wuselt er mit seinen kurzen Beinchen am Boden umher. Doch Hündchen Roxy kennt die Welt auch aus der Vogelperspektive.

Ja, dieser Hund kann fliegen. Nicht ganz alleine, klar, sondern zusammen mit seinem Besitzer. Hunde und Gleitschirmfliegen sind zwei grosse Leidenschaften von Peter von Känel aus Frutigen im Berner Oberland. «Komm, Roxy!», ruft er, das Gurtzeug für den Vierbeiner in der Hand, den Gleitschirm bereits hinter sich ausgebreitet. Der Hund weiss offenbar genau, wie das geht, und scheint Gefallen daran zu finden – er schlüpft von selbst hinein. Zur Sicherheit befestigt der Gleitschirmpilot das Hundegurtzeug mit einer Bandschlinge an seinem eigenen. Und schon ist das ungewöhnliche Team startbereit.

Einmal gezielt an den Leinen gezogen und der Wind bläht den Schirm auf. Ein paar Schritte und los geht es in die Luft. Roxy, vorne in der Jacke ihres Herrchens, guckt neugierig umher. Die Dritte im Bunde ist Peter von Känels Ehefrau Karin. Auch sie fliegt gerne Gleitschirm. Doch als sie den jungen Roxy frisch bei sich hatte, konnte ihr Mann nicht mehr gemeinsam mit ihr fliegen, da immer jemand beim Hund am Boden bleiben musste. So kam die Idee auf, den Hund einfach in die Luft mitzunehmen.
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Gefallen am Fliegen

Eine andere Frage war, was der Vierbeiner dazu meinen würde. Um dies herauszufinden, wagten die beiden oberhalb ihres Wohnortes einen ersten Versuch. An einer Stelle, wo sie notfalls rasch wieder landen konnten, starteten sie mit dem Tandemschirm. Die Frau sass vorne mit dem Hund auf dem Schoss, der Mann kümmerte sich hinten ums Fliegen. Karin von Känel lacht noch heute, wenn sie daran zurückdenkt: «Roxy streckte sogleich ihren Kopf in den Wind und liess die Ohren flattern.»

Die beiden verfeinerten dann das System, um den Hund vor sich zu tragen, und können nun auch einzeln mit ihm fliegen. Die Kleine sei aber längst nicht auf jedem Flug dabei, sie sei nur eine gelegentliche Passagierin. Auf Streckenflüge nimmt Peter von Känel sie zum Beispiel grundsätzlich nie mit. Auch bei Kälte lässt er den Vierbeiner tendenziell eher zu Hause: «Um keine Bindehautentzündung zu riskieren, muss sie bei tieferen Temperaturen die Schnauze in meiner Jacke haben. Das mag sie nicht, sie will immer rausgucken.» Es sei für den Hund wohl ein wenig, wie beim Auto den Kopf aus dem Fenster zu strecken, vermutet Peter von Känel. «Ich glaube nicht, dass er realisiert, dass er fliegt. Er ist ganz nahe beim Zweibeiner und hat Wind um die Schnauze, das gefällt ihm.»

«Ich glaube nicht, dass der Hund realisiert, dass er fliegt.»

Nur mit genügend Flugerfahrung

Auch wenn ein fliegender Hund doch eher unüblich ist: Derjenige von Känels ist nicht der einzige. Im Netz sind diverse Bilder und Videos zu finden, teils tragen die Hunde sogar Brillen. Die Schweizer Firma «Flugsau» bietet sogar kommerziell Gestältchen an, in zwei Versionen: für kleine Hunde auf dem Schoss und für grosse bis ungefähr 35 Kilogramm, die zwischen den Beinen des Menschen mitfliegen. Das Flug-Gestältchen wird dabei individuell auf die Masse des Hundes gefertigt.

Der Schweizer Tierschutz jedoch teilt auf Anfrage mit, dass er das Gleitschirmfliegen mit Hund als «überflüssig» erachtet: «Der Hund wird unnötig einer Gefahr ausgesetzt, etwa bei unsanften Landungen, und möglicherweise auch überfordert oder in Angst versetzt.» Allerdings könnten gewisse Diensthunde mit dem entsprechendem Training unter fachkundiger Leitung an Gleitschirmflüge gewöhnt werden und dabei gelassen bleiben.

Auch Peter von Känel empfiehlt das Fliegen mit Hund nicht allen, die mit dem Gleitschirm unterwegs sind. «Wichtig ist, dass jemand genügend Flugerfahrung hat, um sich nebst dem Steuern des Schirms auch um den Hund kümmern zu können», sagt er. Das war auch der Grund, weshalb sie den ersten Versuch mit dem Zweiplätzer machten – seine Frau war dabei ganz für den Hund da.

Für Peter von Känel sind die bisherigen Erfahrungen aber so positiv, dass er mit dem Gedanken spielt, auch mal den noch jungen Schäferhund seiner Tochter, den er regelmässig hütet, zum Fliegen mitzunehmen. Bislang habe er das aber noch nicht gemacht. Es sei nicht nur eine Frage der Grösse, sondern auch des Wesens des Hundes.

Roxy, ein Bolonka Zwetna, ist ein zutrauliches Tier und mit fast 13 Jahren noch immer ausgesprochen lebhaft. Der Schäferhund sei ebenfalls zutraulich, aber auch sehr feinfühlig. Mit ihm macht Peter von Känel Übungen für Lawinenhunde, er steht in engem Kontakt zur Hunderettungsstaffel der Region. Vielleicht wird dieser Hund auch nie in die Lüfte abheben, erzwungen werden muss es nicht.

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Deutlich sicherer als Base-Jumping

Wo ist die Grenze, was passt für welchen Hund, was nicht? Das ist die grosse Frage, die wohl für jeden Fall einzeln beantwortet werden muss. Dazu braucht es nicht nur Tierliebe, sondern auch einen gesunden Menschenverstand.

Viel zu diskutieren gab 2014 ein Video des Extremsportlers Dean Potter. Mit seiner Hündin Whisper auf dem Rücken sprang er mit dem Wingsuit vom Grat des Eigers. Potter liebt seinen Hund, keine Frage. Doch Base-Jumping ist eine gefährliche Sportart. In einem Interview mit dem «Climbing Magazine» sagte Potter, er nehme den Hund nur zu den sichersten Sprüngen mit. Trotzdem kamen ihm selber Zweifel, nachdem in jenem Jahr zahlreiche Base-Jumper verunglückten: «Wenn ich gründlich darüber nachdenke, weiss ich nicht, ob es richtig war, mit Whisper zu fliegen.» Dass die Extremsportart zahlreiche Gefahren birgt, bewies er selbst auf tragische Weise; 2015 verunglückte Potter.

Im Vergleich zum Base-Jumping ist Gleitschirm-fliegen viel sicherer. Die Versicherungen stufen diese Tätigkeit nur bei sehr ungünstigen Windverhältnissen als Wagnis ein. Bei solchen Bedingungen geht Peter von Känel weder mit noch ohne Hund in die Lüfte. Sowohl als Gleitschirmpilot für Passagierflüge als auch als Bergführer ist er sich gewohnt, verantwortlich zu handeln.

Wenn er abhebt, wirkt Roxy an der Brust des Meisters zufrieden. Und wieder am Boden, rennt das Hündchen wie zuvor umher. Ausser wenn sein Mensch «Päng» sagt: Dann stellt es sich tot. Nach ein paar Sekunden springt Roxy wieder auf. Peter von Känel konnte seine Hündin während Tandemflügen sogar schon anderen Passagieren anvertrauen, so zutraulich ist Roxy.