Lässt man einen Katzenfreund die Eigenschaften aufzählen, die ihm an den Samtpfoten besonders gefallen, nennt er unter anderem garantiert «deren Eigenständigkeit». Ja, auch dafür wird die Katze geliebt: Weil sie sich nichts vorschreiben lässt, weil sie Erziehungsbemühungen mit Eleganz ignoriert, weil sie – im Gegensatz zu Hunden – nichts Unterwürfiges an sich hat. Im Gegenteil, die Katze macht eher den Menschen zum Untertan. Und der lässt es sich gefallen, weil irgendwo in seinem Hinterkopf die Angst hockt, sie könnte ihn sonst verlassen.

Das mag etwas übertrieben sein, aber es kommt tatsächlich immer wieder vor, dass eine Freigängerkatze abwandert, wenn es ihr zu Hause nicht mehr wohl ist. «Eine Katze tut sich schwer mit Veränderungen», sagt Gloria Isler, tierpsychologische Beraterin mit eigener Praxis in Baar ZG. Ein Umzug, ein Baby, Frauchen oder Herrchen ist plötzlich nicht mehr Single oder bringt ein neues Tier nach Hause – alles Neue verunsichert die Katze, stresst sie.

Vorbeugen ist besser als heilen
Besonders einschneidend sei für sie der Umzug an einen neuen Wohnort, in ein neues Revier, und deshalb auch einer der Hauptgründe für das Abwandern von Katzen, sagt Isler. Manche kehren an den alten Ort zurück, vor allem, wenn dieser relativ nah beim neuen ist. «Oft machen Menschen den Fehler, sich in der neuen Wohnung ganz neu einzurichten – neues Sofa, neuer Kratzbaum, neues Katzenkistli.» Für die Katze sei dann alles Vertraute weg, «sie ist total orientierungslos». Deshalb solle man bei einer Züglete keinesfalls alles wegschmeissen, sagt die Tierpsychologin. Es helfe schon, wenn die Katze ein paar bekannte Sachen vorfindet, wie etwa die Decke, auf der sie jeweils geschlafen hat, den alten Kratzbaum, ihren Lieblingssessel. Man könne diese Dinge später ersetzen, wenn sich die Katze eingelebt hat. Ausserdem empfiehlt Isler, sich beim Tierarzt oder bei einer tierpsychologischen Fachperson nach einem geeigneten Beruhigungsmittel zu erkundigen, das man der Katze bereits vor dem Zügeln verabreichen kann. Davon existieren zahlreiche in verschiedenen Formen.

Das Motto «Vorbeugen ist besser als heilen» gilt übrigens für alle Veränderungen, von denen man weiss, dass sie bevorstehen: «Wird die Katze auf das Neue vorbereitet, reagiert sie viel weniger gestresst darauf», sagt Isler. Auf die Ankunft des Babys beispielsweise, indem sie schon während der Schwangerschaft an einen neuen Schlafplatz ausserhalb des künftigen Kinderzimmers gewöhnt wird (siehe «Tierwelt» Nr. 31/2014). Oder auf den neuen Lebenspartner, indem dieser sie immer füttert, wenn er zu Besuch ist und konsequent auch die erste Zeit nach seinem Einzug. «Es geht darum, positive Verknüpfungen herzustellen.» Bis die Katze echte Zuneigung zu ihrem «Rivalen» entwickelt hat, braucht es Geduld – und viele Streicheleinheiten.

Noch schwieriger kann es sein, eine bisherige Einzelkatze mit einem Artgenossen zu vergesellschaften. «Viele Menschen glauben, die Katze sei ein soziales Tier und fühle sich wohler zu zweit oder in einer Gruppe.» Abgesehen von der reinen Wohnungskatze, die nicht allein gehalten werden sollte, sei das ein Irrtum, sagt die Tierpsychologin. «Es kann sein, dass sich die Katzen mögen, aber es kommt auch oft vor, dass das Zusammenleben nicht funktioniert.» Fälle, mit denen sich Isler in ihrer Praxis häufig beschäftigt. «Es gibt Therapien, um Katzen zusammenzuführen, das kann jedoch bis zu einem halben Jahr dauern – und das Resultat ist nicht die grosse Liebe, aber gegenseitige Toleranz.» Wer an seiner Katze hängt, muss jedenfalls nicht einfach akzeptieren, dass sie abwandert, sondern kann etwas dagegen tun. Entscheidend ist, seinem geliebten Tier den Druck zu nehmen, der es von zu Hause wegtreibt.

Die lieben Nachbarn
Ein grosses Problem sind allerdings Nachbarn, die die im Quartier herumziehende Katze immer wieder bei sich aufnehmen, ihr regelmässig Futter hinstellen. «Das mag gut gemeint sein, unterstützt jedoch die Katze beim Fremdgehen – bis sie gar nicht mehr heimkehrt», sagt Gloria Isler. Und dann? «Diese Nachbarn müssten dann eigentlich die Verantwortung für das Tier übernehmen, dazu sind sie sogar gesetzlich verpflichtet.» Das Gesetz verbietet denn auch, fremde Katzen ohne Einwilligung des Besitzers zu füttern. Wer es trotzdem tut, kann haftbar gemacht werden.

«Aber klar, kaum einer will Streit mit seinen Nachbarn», sagt Isler, «schon gar nicht einen gerichtlichen.» Deshalb empfiehlt die Tierpsychologin, miteinander zu reden. Wem eine Katze zuläuft, der sollte den Besitzer ausfindig machen und das weitere Vorgehen mit ihm besprechen. Und wer bemerkt, dass seine Katze immer wieder beim Nachbarn fremdgeht, sollte diesen ebenfalls darauf ansprechen. Bei Uneinsichtigen dürfe man sich auch mit einer Notlüge behelfen: Etwa, dass die Katze ein Nierenproblem habe und darum zwingend Spezialfutter brauche. «Letztlich geht es um das Wohl des Tiers, da ist so was schon mal erlaubt.»