Zahnfleisch und Mundschleimhaut sind stark gerötet, die Katze riecht schlecht aus dem Mund und speichelt. Mit fortschreitendem Verlauf magert die Katze ab und sieht struppig aus, weil sie sich wegen den starken Schmerzen im Mund- und Rachenraum auch nicht mehr putzen kann. «In diesem Stadium sehen die Tiere sehr krank aus», sagt Stefan Grundmann, Leiter Abteilung Zahnheilkunde am Zürcher Tierspital. Schuld daran ist die sogenannte chronische Gingivostomatitis (Entzündung des Zahnfleisches, der Backenschleimhaut sowie des Rachens), die laut Grundmann unter den Zahnerkrankungen sehr häufig und auf seiner Abteilung entsprechend omnipräsent ist. Sie komme auch in nicht spezialisierten Praxen häufig vor und werde «sehr oft unterschätzt».

Warum eine Katze erkrankt, ist nicht restlos geklärt. Aktuell gehe man von drei Ursachenkomplexen aus, die eine wichtige Rolle spielen würden, sagt Grundmann. Nummer eins sind demnach Viren wie etwa das Calici-Virus. Aggressive Virenstämme können generalisierte, das ganze Tier betreffende Beschwerden auslösen. In milderer Form können sie für den Gingivitis-Stomatitis-Komplex mitverantwortlich sein.

Alle Arten von Immunschwächen (die körpereigene Abwehr ist reduziert) und Autoimmunkrankheiten (körpereigenes Gewebe wird angegriffen) kommen als zweiter Ursachenkomplex hinzu. Die häufigsten Auslöser seien in dieser Gruppe Leukose (FeLV) und das sogenannte Katzenaids (FIV). Und drittens sind laut Grundmann nicht zuletzt alle Formen von Stress schuld daran, dass die Gingivostomatitis ausbricht. «Es ist immer wieder interessant, wie lange das System Krankheit/Immunabwehr in Balance sein kann, bis eine kleine Veränderung dafür sorgt, dass die Erkrankung ausbricht», sagt er. Wobei mit «Stress» etwa Umgebungsveränderungen wie Umzug, Tierheimaufenthalt oder das Hinzukommen beziehungsweise Wegbleiben eines «Gschpänlis» gemeint ist.

Weil die Entstehung der chronischen Gingivostomatitis nicht abschliessend geklärt ist, beschränkt sich ihre Behandlung auf die Bekämpfung der Symptome, also der Entzündungen. Als wichtigstes Medikament komme Cortison zum Einsatz, sagt Grundmann: «In den allermeisten Fällen geht die Entzündung tatsächlich zurück. Leider kommt sie aber nach Absetzen des Medikamentes meistens wieder.» Ausserdem habe Cortison ernsthafte Nebenwirkungen wie etwa Diabetes.

Letzte Lösung: Zähne ziehen
Eine weitere Behandlungsmöglichkeit sei, die reduzierte Immunabwehr zu stärken, etwa mit Interferonen. Das sind körpereigene Proteine, die in der natürlichen Immunabwehr des Körpers eine wichtige Rolle spielen und die Ausbreitung viraler Infektionen begrenzen. Bei leichten Entzündungen im Zusammenhang mit Gingivostomatitis könnten Erfolge erzielt werden, sagt Grundmann: «Bei schweren Symptomen kommt der Körper trotz der Hilfe nicht mit der Krankheit zurecht.» Ausserdem sei Interferon teuer. Zum «einfach einmal Probieren» eigne sich die Behandlung darum eher nicht.

So bleibt als letzte und entsprechend radikalste Lösung die Extraktion der Zähne. Ein Eingriff, der für Grundmann Alltag ist. Wenn man davon ausgehe, dass es sich bei der chronischen Gingivostomatitis um eine Autoimmunerkrankung handle, die die Zähne der Katze angreife, helfe man dem Körper, indem man die Zähne rausnehme. In der Regel lasse man beim ersten Eingriff die vier Eckzähne drin – weil bereits die Entfernung der Backenzähne viel bringe.

Eine Garantie auf Erfolg besteht aber auch bei dieser radikalen Lösung nicht. In über einem Drittel der Fälle führe die Extraktion aller Zähne zum Erfolg, in einem weiteren Drittel der Fälle gehe es der Katze nachher deutlich besser und beim letzten Drittel bringt der Eingriff keine Verbesserung.

Können die Beschwerden mit der Entfernung der Zähne gelöst werden, steht einem zwar zahnlosen, aber dennoch glücklichen Katzenleben nichts mehr entgegen. «Katzen können problemlos ohne Zähne leben», so Grundmann. Hauskatzen müssten ja keine Beute mehr jagen und diese auch nicht mehr zerbeissen: «Fertigfutter ist vorgefertigt und muss nicht intensiv gekaut werden.»

Eine wirksame Prophylaxe von Gingivitis-Stomatitis sei bis heute nicht bekannt, sagt Grundmann weiter. Wichtig sei, dass man beim jährlichen Impftermin jeweils auch Zähne und Zahnfleisch kontrollieren lasse.

Zahnstein ist ein häufiger Grund für Gebissanierungen
Die häufigste Ursache von Zahnfleischentzündungen ist die Bildung von Zahnstein. Er entsteht durch die Verkalkung des Zahnbelags und führt zu Entzündungen des angrenzenden Zahnfleisches. Die Behandlung besteht darin, die Entzündung medikamentös zu behandeln und den Belag zu entfernen. In fortgeschrittenen Fällen muss der betroffene Zahn mitsamt Wurzeln entfernt werden. Spezialfutter kann Zahnstein vorbeugen.

FORL (Feline ordontoklastische resorptive Läsionen, heute nur noch RL genannt) ist eine weitere häufige Erkrankung, die für die Entstehung von Zahnfleischentzündungen verantwortlich ist. Dabei werden zuerst die Wurzeln und dann der Zahn vom Körper abgebaut. Die Ursachen sind weitgehend ungeklärt. Hier können die Beschwerden erst durch die Entfernung des Zahnes gelöst werden.