Wo die Würze herkommt
Hingabe und Qualität: Dafür stehen die Toggenburger Kräuterfrauen
Auf einem kleinen Hof oberhalb von Ebnat-Kappel (SG) herrscht buntes Treiben: Mithilfe von Freiwilligen aus aller Welt bauen die Toggenburger Kräuterfrauen hier heimische Kräuter an, die mit viel Handarbeit geerntet und zu farbenfrohen Tee- und Gewürzmischungen zusammengestellt werden.
Fröhliches Gelächter durchbricht die morgendlich-andächtige Stimmung. Mit flinken Händen zupfen die Frauen wohlduftende Minzblätter von den Stängeln und erzählen sich dabei den neusten Tratsch. Zu hören ist der authentische Ostschweizer Dialekt, aber auch Englisch. Diese Woche sind besonders viele junge Reiselustige hier, um freiwillig mitanzupacken. Ein Inserat auf der Online-Plattform «WWOOF», welche weltweit Einsätze auf Bio-Höfen vermittelt, hat voll eingeschlagen. «Es ist das erste Jahr, in dem wir das mit den Wwoofern ausprobieren, und wir lieben es!», erzählt Nathalie Graf begeistert. Die quirlige Mutter von zwei Kindern leitet den Kräuteranbau und -vertrieb gemeinsam mit Aliena Gnehm. Beide hatten zunächst den Lehrerberuf im Blick. Doch nach einem Praktikum bei den Toggenburger Kräuterfrauen fanden sie dort ihre eigentliche Berufung. «Es ist erfüllend, Pflanzen vom Samen bis ins abgepackte Säckchen zu begleiten», schwärmt Gnehm, die ursprünglich Englisch studierte. «Ich hatte das Gefühl, beim vielen Sitzen vor dem Computer den Bezug zur Realität verloren zu haben», beschreibt sie ihr Studium. Die Zeit auf dem Hof Wintersb ergerdete sie wieder. «Du arbeitest mit den Händen und siehst sofort, was du geschaffen hast.» Nach nur drei Monaten stand für sie fest: Statt ins Klassenzimmer geht es dauerhaft zu den Kräuterfrauen.
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Ähnlich lief es bei Nathalie Graf, die während ihrer Ausbildung an der pädagogischen Hochschule bereits auf dem Hof wohnte. «In der Zeit, in der wir hätten lernen sollen, bin ich ständig auf dem Acker herumgehühnert», erzählt die gebürtige Ostschweizerin, die damals schon eine Gärtnerlehre abgeschlossen hatte. Die beiden Frauen sind das perfekte Team: Graf bringt das Fachwissen und viele Jahre Erfahrung mit, Gnehm hat ein Talent für das Administrative, organisiert und gestaltet gerne.
Vision bleibt erhalten
Nathalie Graf und Aliena Gnehm bilden die zweite Generation der Toggenburger Kräuterfrauen. Denn angefangen hat alles bereits vor 25 Jahren mit Birgit Kratt, die den jungen Frauen bis heute mit Rat und Tat beiseite steht. «Birgit hat das super gemacht und redet uns nicht rein, wenn wir etwas ändern wollen», erzählt Nathalie Graf.
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Am Grundgedanken wurde trotz Generationen-wechsel nicht gerüttelt: Kräuter möglichst naturnah anbauen – zum Würzen von Speisen oder für eine duftende Tasse Tee. Dahinter stecken viel Handarbeit und endlose Stunden Fürsorge. Nur so können die Kräuter im Sommerhalbjahr in grossen Mengen geerntet, getrocknet und abgepackt werden. Zeitintensiv ist vor allem das Jäten des Ackers und das Zupfen der Blätter. «Einen Teil der Kräuter lassen wir auch durch die Rebelmaschine», gesteht Graf. Diese trennt Blätter und Stiele nach dem Trocknen maschinell. «Sonst wären unsere Produkte noch teurer!», sagt sie lachend.
Handarbeit lohnt sich
Ein grosser Teil der Kräuter wird jedoch nach wie vor von Hand gezupft. Und das nicht nur aus Nostalgie: Auf diese Weise gehen viel weniger ätherische Öle verloren. Auch das aufwändige Jäten hat gute Gründe. «Bei den vielen unterschiedlichen Kulturen, die wir haben, geht das fast nur von Hand», kommentiert Graf. Zudem liegt der grösste Kräuteracker an sehr abschüssiger Lage. Hier, auf 850 Meter über dem Meeresspiegel, herrschen jedoch die idealen Bedingungen für den Kräuteranbau. Der grosse Temperaturunterschied vom Tag zur Nacht und die höhere UV-Einstrahlung fördern die Bildung der individuellen Aromen. So gedeihen von Verveine und Schafgarbenblüten über Estragon und Ysop bis zu Griechischem Bergtee die unterschiedlichsten Kräuter. Jede Pflanzensorte kann auch einzeln und ausnahmslos handgezupft gekauft werden.
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Natürlich angebaute, heimische Kräuter sind gefragt. Das spüren auch die Kräuterfrauen – besonders in der Grippesaison, wenn der «Rachenputzer»-Tee im Nu ausverkauft ist. Damit die Mischungen jederzeit erhältlich sind, verlassen sie sich nicht nur auf die eigene Ernte. Jeden Sommer liefern Bäuerinnen aus dem Toggenburg biologisch angebaute Kräuter und füllen damit das Lager. «So können wir Ausfälle ausgleichen – denn nicht jedes Kraut gedeiht jedes Jahr gleich gut,» erklärt Gnehm. «Auch den Austausch mit den Frauen schätzen wir sehr.»
Was ist mit den Männern?
Das Community-Gefühl ist tatsächlich in allen Bereichen des Betriebes spürbar. Ist es diese einzigartige Stimmung, weshalb die Frauen hier unter sich bleiben? «Wir wären offen für Männer», betont Aliena Gnehm. «Doch unsere Erfahrung hat gezeigt, dass sie es keinen halben Tag bei uns aushalten.» Sie erzählt von einem jungen Freiwilligen, der nach zehn Minuten jäten fragte, was heute sonst noch so anstehe. «Als ich sagte, dass wir den ganzen Morgen weiterjäten werden, ist – glaube ich – etwas in ihm gestorben», scherzt Gnehm. Sie kenne zwar durchaus Männer, denen diese Art von Arbeit nichts ausmachen würde, «aber diejenigen, die sich für die Landwirtschaft interessieren, möchten in der Regel nicht so filigrane Arbeit verrichten.» Und davon gibt es bei den Kräuterfrauen zuhauf. «Die krasseste Maschine, die wir regelmässig gebrauchen, ist der Rasenmäher», sagt Gnehm verschmitzt. Deshalb schreibe sie jedem Interessenten, dass es sich um Ausdauerarbeit handle und sie sich darauf einstellen müssen, stundenlang dasselbe zu machen. «Die Meisten bedanken sich für die Ehrlichkeit und sagen dann direkt wieder ab», erzählt sie.
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Wie viel Arbeit in einem einzelnen Kräutersäckchen steckt, wird vielen erst auf den ausführlichen Hof-Führungen bewusst, die neu auch privat gebucht werden können. «Wir möchten damit einen Einblick geben in eine Art von Landwirtschaft, die fast ohne Maschinen und nur mit viel Handarbeit funktioniert», erklärt die Zürcherin. Damit sich diese Arbeit auch lohnt, mussten die Toggenburger Kräuterfrauen ihre Preise kürzlich anheben. Immerhin reicht es nun, um sich selbst und den festen Mitarbeiterinnen den landwirtschaftlichen Mindestlohn zu bezahlen. «Viele Stammkunden haben uns liebe Nachrichten geschickt und fanden es toll, dass wir für uns einstehen», erzählt Gnehm. «Letztlich war es nötig, damit wir davon leben können.»
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