Wer bereits Pferdezuchtbetriebe besucht hat, dem fällt schnell auf, dass Hengste meist vom Rest der Herde abgetrennt sind. Sichtkontakt ist das Einzige, was den männlichen Tieren zu ihren Artgenossen aus Sicherheitsgründen gewährt wird. Dabei handelt es sich allerdings keineswegs um eine natürliche Haltung. In freier Wildbahn leben Hengste nämlich fast immer in Gruppen zusammen. Selbst wenn sie kein Harem um sich scharen, schliessen sie sich zu Junggesellen- oder sogenannten Bachelorgruppen zusammen, um sich gemeinsam auf die Suche nach Stuten zu begeben.

«Hengste benötigen demnach ebenso Sozialkontakte wie Stuten und Wallache», sagt Sandra Schaefler, die beim Schweizer Tierschutz STS die Fachstelle Heimtiere und Pferde betreut. Sie ist zudem die Projektleiterin der STS-Recherche «Hengsthaltung – eine Herausforderung». Dass Hengsthalter dem Bedürfnis ihrer Tiere in vielen Fällen nicht immer gerecht werden, hat einen einfachen Grund, wie Schaefler erklärt: «Hengste zeigen bei gleichzeitiger Anwesenheit von paarungsbereiten Stuten und anderen männlichen Artgenossen hormonell bedingt ein starkes Sexual- und damit Konkurrenzverhalten.»

Die «Einzelhaft» ist daher eine logische Lösung, aber keine gute. Die fehlenden sozialen Interaktionen und der oftmals mangelnde Auslauf sind Stressfaktoren, die das Wohlbefinden und die Gesundheit des Hengstes beeinträchtigen und sich auch im Umgang mit dem Menschen negativ bemerkbar machen. Umso wichtiger ist es für Schaefler und den STS darauf hinzuweisen, dass es auch möglich ist, Hengste artgerecht mit Sozialkontakten zu halten und die Sicherheit für die anderen Pferde zu garantieren. 

[IMG 2]

Positive Erfahrungen von Profis
Voraussetzung dafür ist allerdings eine gehörige Portion Fachwissen und Pferdesachverstand. Wie das in der Praxis funktionieren kann, demonstriert das Schweizer Nationalgestüt in Avenches VD. Es hielt nach einem Forschungsprojekt zur Gruppenhaltung von Deckhengsten von 2009 bis 2019 jeweils nach Abschluss der Decksaison erfolgreich eine Gruppe von durchschnittlich acht seiner Zuchthengste auf einer rund vier Hektar gros­sen Weide mit Witterungsunterständen. 

Diese Hengstgruppe befand sich an einem relativ abgelegenen Ort ohne Stuten in der Nähe. Das Nationalgestüt beurteilt diese Art der Haltung nach der mehrjährigen Erfahrung als gut möglich. Es stellt aber auch klar, dass dafür spezifische Faktoren erfüllt sein müssen. Dazu gehöre eine ausreichend grosse Weide, das Fernhalten von anderen Pferden und sichere Zäune. Die Hengste sollten zudem keine Hufeisen tragen.

So weit, so gut. Vor Problemen stehen aber die zahlreichen Pferdehalter, die auch Stuten und Wallache in ihren Ställen beherbergen. Für sie ist es in solchen Situationen kaum möglich, einen Hengst in der Herde oder Gruppe zu halten. «Sind Hengste in Boxen eingestallt, sollte man ihnen nebst täglichem Auslauf und Weidegang den Sozialkontakt ermöglichen, zum Beispiel in halboffenen Boxen oder in Sozialboxen», fordert Schaefler und nennt mit Fredy Knie jun. ein prominentes Vorbild. Im Winterquartier des Schweizer Nationalzirkus Knie leben rund 50 Hengste, in diesem Fall aber distanziert von Stuten. Jeder davon hat eine Einzelbox zur Verfügung, oft verbunden mit einem angrenzenden Auslauf. 

Vor etwa zehn Jahren hat der Circus Knie die Wände zwischen jeweils zwei Hengstboxen zur Hälfte geöffnet. Dadurch können die Pferde sich nicht nur sehen und beschnuppern, sondern auch direkten Körperkontakt miteinander aufnehmen. Das System funktioniert wie folgt: Statt einer geschlossenen Wand sind vertikale Stangen im Abstand von 30 Zentimetern angebracht, durch welche die Pferde den Kopf zum Nachbarspferd hindurchstrecken und sich gegenseitig beschnuppern können.

[IMG 3]

Doch auch hier gilt es einen wichtigen Punkt zu beachten: Die Nachbarn müssen miteinander auskommen. «Stark dominante Hengste sollte man nicht nebeneinander aufstallen», warnt die Expertin Sandra Schaefler. Auch bei Hengsten, die sich gut verstehen, könne es vor allem vor der Fütterung zu Reibereien kommen. Fredy Knie jun. hat bei seinen Sozialboxen deshalb den unteren Teil der Kontaktwand geschlossen. Er liess zudem an der halboffenen Wand ein hochklappbares Gitter anbringen, um auch den offenen Teil, wenn nötig, temporär schliessen zu können.

Sensible Machos mögen es sanft
Mit der artgerechten Unterbringung allein ist es aber nicht getan. Unerlässlich seien auch ausreichend Bewegung und Abwechslung, betont Schaefler. Dazu gehören nicht nur das regelmässige Ausreiten und genügend Weidegang. Mehrfach täglich angebotenes Heu, beispielsweise in korrekt angebrachten Netzen zur Verlängerung der Fress-zeiten, sei eine gute Beschäftigungsmöglichkeit. Ebenfalls nicht zu unterschätzen ist laut Schaefler die Beziehung zum Menschen. Die Bezugsperson müsse auf den Charakter des Hengstes eingehen und trotz sanftem Umgang der Chef bleiben. 

Das sieht auch Fredy Knie jun. so, der jeden Hengst individuell behandelt und auf das sensible Wesen der vermeintlichen «Machos» verweist. Wenn man zu einem Hengst grob werde, dann komme dies auf einen zurück, sagt der Pferdefachmann. Ein sorgsamer Umgang ist also das Fundament für eine gute Mensch-Tier-Beziehung. Und wem die vielen Herausforderungen der Hengsthaltung zu anspruchsvoll sind, dem empfiehlt der STS die Kastration. Als Wallache lassen sich die männlichen Pferde nämlich besser vergesellschaften. Die Halterinnen und Halter können ihnen so mit weniger Angst begegnen, was sich für beide Seiten positiv auswirkt.

www.tierschutz.com/pferde/hengsthaltung/