Auf dem Sattelschrank in ihrem Islandpferdestall in Iffwil prangt eine Holztafel mit der Aufschrift: «Pferde sind nicht stur, sondern meinungsstark.» Petra Liggenstorfer, Präsidentin der Zuchtkommission der Islandpferde-Vereinigung (IPV CH) und selbst Islandpferdehalterin, bekräftigt das: «Islandpferde machen alles mit, wenn sie dein Partner sind. Passt ihnen aber etwas nicht, schalten sie den Schneesturm-Modus ein: Sie drehen dem Wind den Hintern zu und bleiben einfach stehen.» Islandpferde gelten als verlässlich und charakterstark. «Reiter müssen sie aber für ihre Seite gewinnen», erklärt Liggenstorfer. Ihr Zuchthengst Kolbakur frá Litla-Garði, den sie auch liebevoll Kolbi nennt, steht in der Auslaufbox, die wuscheligen Ohren gespitzt, und den Blick auf die Besitzerin gerichtet. Im bernischen Iffwil führt Petra Liggenstorfer ihren Islandpferdestall «Vindheimar» – was so viel bedeutet, wie windige Welt. Doch heute krümmt der Wind kein Mähnenhaar der 27 Pferde. Davon sind acht ihre eigenen und fünf weitere stehen noch auf Island. Von dieser Insel stammen die Kleinpferde ursprünglich. Über tausend Jahre lebten Islandpferde isoliert auf ihrem Heimatboden. Heute gelten sie als die älteste und zugleich reinste Pferderasse Europas. Jahrhundertelang waren sie auf Island das einzige Transportmittel und unentbehrliche Arbeitstiere – eine Rolle, die ihren Charakter geprägt hat: eigenständig, zäh und zuverlässig. Mit einem Stockmass von 135 bis 145 Zentimetern wären sie eigentlich Ponys. Doch auf Island gibt es keine andere Pferderasse – und somit auch kein Wort für Pony. «Hestar» bedeutet dort einfach: Pferd. Und tatsächlich können Islandpferde, je nach Körperbau und Training, auch erwachsene Reiter tragen. Ihre Lebenserwartung ist beeindruckend: Sie werden bis zu 30 Jahre alt.

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Petra Liggenstorfer stapft auf die letzte Weide in der Nähe eines Wäldchens. Dort dösen zwei Neuankömmlinge vor sich hin, die Rapp- und die Fuchsstute kamen erst vor Kurzem aus Island an. Die Insel, von der sie stammen, werden sie nie wiedersehen. Seit 1909 ist die Rückkehr dorthin verboten – zum Schutz der Rasse und zur Vorbeugung von Krankheiten. Island gilt bis heute als frei von Pferdeinfluenza.

Die strengen Regeln machen die Islandpferde nicht nur besonders robust, sondern auch genetisch einzigartig. Rund 80 000 Exemplare leben auf der Insel; bei einer Bevölkerung von knapp 400 000 Menschen kommt auf jeden fünften Isländer ein Pferd. 40 Prozent werden als Reittiere genutzt, der Rest dient auch noch heute als Fleischlieferant. Islandpferde sind karge Landschaften gewöhnt und leben im Sommer meist halbwild auf der rauen Insel.

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Über Island fliegen

Was Islandpferde besonders macht, ist ihr einzigartiges Gangwerk. Im Unterschied zu den meisten anderen Pferderassen beherrschen sie nicht nur Schritt, Trab und Galopp, sondern, je nach Veranlagung, auch den Tölt und den Pass. Der Tölt ist eine sogenannte Viertakt-Gangart: Mindestens ein Huf hat immer Bodenkontakt, was für eine besonders ruhige Bewegung sorgt. «Tölt ist super angenehm zu sitzen», schwärmt Petra Liggenstorfer. Noch rasanter wird es beim Pass. Dabei bewegen sich jeweils die beiden Beine einer Körperseite gleichzeitig – eine Gangart, die im schnellen Tempo, als sogenannter Rennpass, gezeigt wird. «Das fühlt sich an wie fliegen», beschreibt Petra mit leuchtenden Augen. «Und wenn’s richtig gut war, schlottern einem danach ein bisschen die Knie.»

Eine isabellfarbene Stute knabbert genüsslich Heu. Sie heisst Leira-Björk frá Naustum III. 2023 trat sie mit ihrem Juniorreiter für Island an der Weltmeisterschaft an – und gewann. Danach durfte sie nicht mehr zurück auf ihre Heimatinsel. Sie blieb im «Exil» und fand bei Petra Liggenstorfer ein neues Zuhause. Islandpferde-Turniere bestehen aus unterschiedlichen Gangprüfungen, unterteilt in Altersklassen und Niveaus. Bei Tölt-Prüfungen wird dieser Gang in unterschiedlichen Tempi geritten. In den sogenannten Viergangprüfungen zeigen die Pferde Schritt, Trab, Galopp und Tölt. Besonders herausfordernd sind Fünfgangprüfungen: Hier kommt der Rennpass als fünfte Gangart hinzu. Mit ihrem dunkelbraunen Hengst Kolbi startet Petra Liggenstorfer regelmässig an solchen Wettbewerben. Doch der sportliche Erfolg ist für sie zweitrangig: «Es geht mir nicht ums Gewinnen», sagt sie. «Viel wichtiger ist mir, gemeinsam mit dem Pferd auf etwas hinzu-arbeiten» ergänzt die Reiterin.

Island im Lead

«Pferde mit dem Genotyp AC vererben den Tölt», sagt Petra Liggenstorfer. «AA-Pferde sind typische Fünfgänger, AC-Pferde sind Viergänger, während Pferde mit dem Genotyp CC nur die klassischen drei Grundgangarten haben – sie eignen sich wunderbar als Schulpferde.» Neben Zucht und Turnieren betreibt die passionierte Islandpferdenärrin auch eine kleine Reitschule. Vier ihrer eigenen Pferde laufen dort im Schulbetrieb, der Rest ihrer Reitschülerinnen kommt mit den eigenen Pferden. Petra Liggenstorfer hat das Reiten auf Grosspferden gelernt, doch ihre Faszination galt schon früh dem Norden. Während ihres Landwirtschaftsstudiums auf Island verliebte sie sich Hals über Kopf in die temperamentvollen Kleinpferde und blieb ihnen seither treu. In der Schweiz gründete sie vor 25 Jahren mit zwei Freundinnen ihren ersten Islandpferdehof. Vor acht Jahren zügelte sie mit ihrem Mann nur einen Betrieb weiter. Heute nimmt die Rolle als Lehrmeisterin den grössten Teil ihres Alltags ein. Petra bildet Pferdefachfrauen/-männer EFZ mit Schwerpunkt Gangpferde aus. Ihre ehemalige Lernende Liv Heinemann, inzwischen Studentin, hilft noch regelmässig mit. Routiniert schlingt sie Kolbis Strick um die Anbindestange und zieht den Knoten fest. Auch die jüngste Lernende packt an – sie greift sich zwei Stricke und macht sich auf den Weg zur Weide, um die Neuankömmlinge zu holen.

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Als Präsidentin der Zuchtkommission züchtet Petra Liggenstorfer selbst Islandpferde, sowohl in der Schweiz als auch in Island. «Grosse Zuchterfolge hatte ich noch keine», sagt sie schmunzelnd. «Aber es waren immer gute Pferde.» Ihr Augenmerk liegt auf Leichtrittigkeit, klarer Gangtrennung und Nervenstärke. «Zucht ist ein Glücksspiel», meint sie – man könne viel planen, aber am Ende entscheide doch die Natur. Alle Islandpferde sind in der internationalen Datenbank WorldFengur registriert. Dort lassen sich Bewertungen, Gesundheitsdaten und Vererbungsstatistiken nachlesen – ein wichtiges Werkzeug für Züchter und Käufer. Die Zuchtkommission, der sie vorsteht, ist Teil der Schweizer Islandpferde-Vereinigung IPV CH, die der internationalen Organisation FEIF angeschlossen ist. Diese wurde 1969 gegründet. Heute vereint sie 23 Mitgliedsstaaten.

Jedes Jahr trifft sich Petra mit den Präsidentinnen und Präsidenten der anderen Zuchtkommissionen, um gemeinsame Standards und Ziele festzulegen. Island selbst gibt dabei traditionell den Takt vor. Islandpferde gibt es in 40 Farben, in bis zu 100 verschiedenen Variationen. Aber am Ende zählt für Petra Liggenstorfer nur eines: «Ein gutes Pferd hat keine Farbe.»

Einige exportierte Islandpferde haben mit Sommerekzem zu kämpfen, eine allergische Hauterkrankung, ausgelöst durch den Speichel von Stechmücken. Die betroffenen Tiere leiden unter starkem Juckreiz und kratzen sich teils wund. Auf Island selbst tritt die Krankheit jedoch kaum auf – das raue Klima hält die Insekten fern. «Deshalb wird das Sommerekzem in der isländischen Zucht oft gar nicht berücksichtigt», erklärt Petra Liggenstorfer. «In wärmeren Ländern kann es dann plötzlich auftreten – manchmal sogar erst nach mehreren Jahren.» Um ihre Tiere zu schonen, bringt sie sie während der Sommermonate für zwei Monate auf eine Alp in rund 2000 Metern Höhe. Dort ist es kühler und die lästigen Stechmücken bleiben fern.

Die beiden frisch importierten Stuten werden von den Lernenden gestriegelt. Gemeinsam zotteln sie auf einen Spaziergang davon. «Ich gebe ihnen am Anfang viel Zeit», sagt Petra Liggenstorfer. «Wir machen Bodenarbeit, lassen sie impfen – und nehmen sie dann erst einmal als Handpferd mit.» Sie und ihre Lernenden schätzen die Vielseitigkeit der Islandpferde – nicht nur in der Ausbildung, sondern auch im täglichen Miteinander. Liv Heinemann bringt es auf den Punkt: «Mich fasziniert ihre Vielfalt. Die Gänge, bei denen Tempo und Takt entscheidend sind. Aber auch ihr Charakter – es gibt ruhige und feurige Pferde.» Dazu sagt Petra Liggenstorfer: «Jedes Pferd bringt seine ganz eigenen Stärken mit, so wie auch jeder Mensch, der mit ihnen arbeitet. Und genau das macht sie so besonders.»

Im Tölt an die WM
Dieses Jahr findet die Islandpferde-Weltmeisterschaft (wc2025.ch) in der Schweiz statt. Vom 3. bis am 10. August treffen sich Islandpferdefans in Birmenstorf (AG), um die Weltspitze in Sport und Zucht zu sehen. 19 Nationen nehmen teil. Das Ganze findet unter dem Motto «The beat goes on» statt und soll nicht nur Sport- und Zuchtfans begeistern, sondern mit Konzerten, Essensständen und diversen Einkaufsmöglichkeiten zum regelrechten Pferdefest werden.