Old Billy, eine Kreuzung aus Shire Horse und Welsh Cob, gilt nicht nur als ältestes Pferd aller Zeiten, er soll auch ungewöhnlich lange gearbeitet haben. 1760 kam das Arbeitspferd im britischen Woolston zur Welt, schleppte mehr als 50 Jahre lang Frachtkähne, wurde 1819 pensioniert und starb nicht lange danach im unglaublichen Alter von 62 Jahren. Sein Schädel wird bis heute im Universitätsmuseum von Manchester ausgestellt. 

Die meisten Pferde werden nicht einmal halb so alt wie die Ausnahmeerscheinung Old Billy und könnten schon gar nicht mehrere Jahrzehnte lang schwere Lasten schleppen. Ihre aktive Karriere – egal ob als Turnier- oder Freizeitpferd – beenden viele Pferde schon im Alter von 15 bis 20 Jahren, einige weitaus früher. «In welchem Alter ein Pferd reif für die Rente ist, lässt sich pauschal nicht beantworten, dafür hängt die Entscheidung von zu vielen Faktoren ab», sagt Ruth Herrmann, Tierärztin und diplomierte Verhaltensmedizinerin aus Olten SO.

Ponys und Kleinpferde einiger Robustpferderassen, darunter Fjord- und Islandpferd, sind bekannt dafür, oftmals bis ins hohe Alter fit zu bleiben. Ruth Herrmann hat selber so ein Exemplar im Stall, ein 34-jähriges Welsh Mountain Pony, bei dem von Ruhestand noch keine Rede sein kann. «Sandor wird noch regelmässig von einem Mädchen geritten und ab und zu spannt mein Mann ihn vor der Kutsche ein. Wir haben das Gefühl, dass er diese Aufgaben immer noch sehr geniesst.» 

Alterswehwehchen gut zu behandeln
Abgesehen von der Rasse und genetischen Faktoren, sind die Haltungsbedingungen, Aufzucht und Nutzung ausschlaggebend. So kommt ein Pferd, das einige Jahre intensiv auf der Rennbahn eingesetzt wurde, in der Regel früher ins Pensionsalter als ein spät eingerittenes und sorgsam eingesetztes Freizeitpferd. Ein Vierbeiner, der in seinen ersten Lebensjahren nicht genug Nährstoffe und Bewegung bekommen hat, leidet früher unter Knochenproblemen als einer aus artgerechter Aufzucht. 

Man darf aber Krankheit nicht mit Alter verwechseln. Ein Tier, das nur noch unter Schmerzen geritten werden kann, aber problemlos und zufrieden im Herdenverband lebt, ist unabhängig vom Alter in einer betreuten Weidehaltung sicher besser aufgehoben. «Wenn ein Pferd aber mit Anfang 20 noch fit ist, spricht nichts dagegen, es weiter zu reiten, zu fahren oder an der Hand zu arbeiten – natürlich angepasst an seine individuellen Möglichkeiten», sagt Herrmann. Dabei dürfe man nicht vergessen, dass auch der Einsatz als Ausreitpferd eine gewisse Grundkondition und Muskulatur erfordere.

Wichtig, und das gilt für Rentner genauso wie für rüstige Oldies, die weiter geritten werden, ist eine gute medizinische Betreuung. Denn mit den Jahren kommen fast zwangsläufig diverse Alterswehwehchen. Zahnkontrollen sollten häufiger stattfinden. Bei gerittenen Pferden, deren Muskulatur sich im Alter verändert, muss gegebenenfalls der Sattel neu angepasst werden. Einige Senioren hören und sehen nicht mehr so gut – ein Umstand, auf den man im täglichen Umgang und bei Ausritten Rücksicht nehmen sollte.

Auch das Risiko, dass ein Pferd Arthrose bekommt, steigt im Alter. Bei den typischen Alterskrankheiten müsse man individuell, gemeinsam mit dem Tierarzt schauen, wie stark das Pferd beeinträchtigt ist, rät Herrmann. Je nach Lokalisation und Art der Arthrose sei ausreichende und angepasste Bewegung hilfreich. «Wie das Pferd gehalten wird, kann hier einen grossen Einfluss haben.Die Aufwärmphase dauert zum Beispiel etwas länger und muss sorgfältig gestaltet werden», erklärt die Expertin. 

Relativ häufig tritt das Equine Cushing Syndrom auf. Diese Hormonstörung kann mit schwerwiegenden Erkrankungen wie Huf-rehe einhergehen. Heilbar ist sie nicht, aber in vielen Fällen gut zu behandeln. Auch das hochbetagte Pony der Verhaltensmedizinerin hat seit einigen Jahren ein diagnostiziertes Cushing Syndrom und schon etliche Zähne verloren – dank speziellem Futter, Mash und eingeweichten Heucobs sei aber auch das kein Problem. «Geraffelt verweigert er die geliebten Rüebli, lieber nagt er sie mit den Vorderzähnen ab», erzählt Herrmann.

Rente auf der Weide
Ein Pferd, das zwar noch leicht geritten werden kann, aber nicht mehr fit genug für anspruchsvolles Dressurtraining, lange Wanderritte oder Springturniere ist, bringt viele Reiter in einen Gewissenskonflikt. Auf der einen Seite wollen sie sich um ihr Pferd kümmern, auf der anderen wollen sie aber auch ihre reiterlichen Ambitionen erfüllen. Und einen Oldie und ein neues Zweitpferd zu halten, ist für die meisten zeitlich und finanziell nicht machbar. «In dieser Situation sollte man ganz ehrlich zu sich selber sein und eine passende Lösung für das Pferd suchen», empfiehlt Ruth Herrmann. Jeder Pferdehalter müsse sich, auch wenn es schwerfällt, zudem mit dem möglichen Tod des geliebten Tieres beschäftigen. «Hat das Pferd noch eine gute Lebensqualität oder leidet es unter chronischen Schmerzen?»

Ist die Entscheidung gefallen, das Pferd in Rente zu schicken, denken viele Reiter automatisch an die Altersweide. Tatsächlich kann eine Haltung im Herdenverband eine gute Lösung sein – vorausgesetzt, das neue Tier wird sorgfältig in die Herde integriert. Eine gute Beobachtung durch die Betreuer ist zentral, damit Fress- und Ruhebedürfnisse aller Tiere erfüllt werden. Es kann nötig sein, einzelne Pferde separat zu füttern, weil sie mehr Zeit zur Futteraufnahme benötigen. Wer sein Pferd als Beistellpferd abgibt, sollte auch hier sicher sein, dass es medizinisch weiterhin gut betreut wird.

Spricht aus gesundheitlicher Sicht nichts dagegen, kann ein älteres Pferd aber auch ein wunderbarer Partner für einen Nachwuchsreiter sein. Passen die beiden zusammen, kann ein Kind von den Erfahrungen des älteren Pferdepartners profitieren. Und dem Pferd kommt zugute, dass ein Kind weniger wiegt und in der Regel auch weniger fordert als ein Erwachsener. «Ich kenne Pferde, die dabei einen sehr zufriedenen Eindruck machen. Aber auch hier gilt, dass man sich den Einzelfall anschauen muss», sagt Herrmann. «Sind die Bedürfnisse nach Futter, Bewegung, Ruhe und guten sozialen Beziehungen erfüllt, wird der Senior ein zufriedenes Leben führen können.»