Die meisten Menschen halten ihre Zahnbürste in der rechten Hand. Papageien sind dagegen meist Linksfüssler. Bei Katzen halten sich Links- und Rechtspfoter ungefähr die Waage und sogar Tintenfische ziehen einen ihrer acht Arme vor. Die bevorzugte Verwendung einer bestimmten Hand, Pfote, Kralle oder Flosse für anspruchsvollere, feinmotorische Tätigkeiten nennt man Händigkeit.  

Beim Pferd spielt die angeborene Links- oder Rechtshändigkeit deshalb eine wichtige Rolle, weil sie das Bewegungs- und Lernverhalten beeinflusst und damit die Ausbildung und das Leistungsvermögen des Vierbeiners. Die meisten Pferde sind nach rechts schief. Sie fussen von Natur aus mit ihrem rechten Hinterbein aussen an der Spur des rechten Vorderbeins vorbei. 

Verlässt sich ein Pferd nur auf seine «gute Seite» und wird es von seinem Reiter nicht regelmässig auch auf der «schlechteren Seite» trainiert und gymnastiziert, kann es dadurch gesundheitlichen Schaden nehmen. «Schiefe» Pferde laufen unter dem Sattel takt- und schwungloser und springen im Parcours auf ihrer schlechteren Hand unsicherer. Seine Muskeln verspannen sich und verhärten, der ganze Bewegungsapparat mit Sehnen, Bändern und Gelenken wird einseitig und falsch belastet.

Wie man die Händigkeit erkennt
Es gibt ein paar Anzeichen, die dem Pferdebesitzer erste Hinweise auf die «Schokoladenseite» seines Vierbeiners liefern. Stellt das Pferd beim Grasen ein Vorderbein deutlich vor, betrachtet es ein unbekanntes Objekt bevorzugt mit einem bestimmten Auge, bricht es vor Hindernissen stets auf eine bestimmte Seite aus, wählt es beim Angaloppieren immer den Links- oder den Rechtsgalopp, dann liegen erste Anhaltspunkte auf eine bestimmte Händigkeit des Pferdes vor. 

Auch der Mähnen-Trick wird gerne angewandt: Fällt die Mähne nach rechts, ist das Pferd rechtseitig schief – und umgekehrt. Das trifft in der Mehrheit der Fälle zu, aber nicht immer. Das Gleiche gilt für die Drehrichtung der Haarwirbel, mit der irische Forscher vor ein paar Jahren die Händigkeit in Zusammenhang gebracht haben: Dreht sich der Haarwirbel auf seiner Stirn gegen den Uhrzeigersinn, bevorzugt das Pferd mit 75-prozentiger Wahrscheinlichkeit die linke Seite.   

Zuverlässig lässt sich die Händigkeit des Pferds allerdings nur unter dem Sattel beurteilen. Bereits nach ein paar einfachen Dressurlektionen wie Volten oder Schlangenlinien wird ein erfahrener Reiter beurteilen können, welches die bessere und welches die schwächere Seite des Pferdes ist.

Vorwärtsreiten und Geraderichten 
In zahlreichen Reithallen landauf, landab prangt deshalb der berühmte Satz «Reite dein Pferd vorwärts und richte es gerade» an der Wand. Er stammt vom 1885 verstorbenen Gustav Steinbrecht, der als Vater der modernen Reitlehre gilt. Er plädierte schon vor fast 150 Jahren dafür, mit richtigem Reiten der natürlichen Schiefe des Pferdes entgegenzuwirken. Das Geraderichten des Pferdes ist auch einer der sechs Punkte auf der «Skala der Ausbildung» der Deutschen Reiterlichen Vereinigung, welche die Ziele und Grundsätze der Dressurausbildung formuliert.

In der Praxis ist das mit dem Geraderichten allerdings gar nicht so einfach und ein Prozess, der das Pferd während seiner ganzen Ausbildung begleitet. Besonders beim jungen Pferd verstärkt sich die Schiefe unter dem Sattel zunächst, weil es die ungewohnte, zusätzliche Last des Reitergewichts ausbalancieren muss. Der Schwung geht vorübergehend verloren. In der Ausbildung wählt der erfahrene Ausbildner nun Übungen und Lektionen, die das Pferd symmetrisch trainieren. Das bedeutet nichts anders, als dem Vierbeiner beizubringen, sich selber auszubalancieren und sich auf beiden Seiten mit der gleichen Sicherheit fortzubewegen. 

Dazu beginnt man am einfachsten mit dem Reiten auf grossen gebogenen Linien, abwechselnd links und rechts herum. Das fördert die Geschmeidigkeit des Pferdes auf beiden Händen und dehnt die Muskulatur in beiden Körperhälften gleichmässig. Im Verlauf der Ausbildung und mit zunehmender Tragkraft von Rücken und Hinterhand können die Bögen kleiner geritten werden. Um die Lastaufnahme der Hinterhand weiter zu überstützen, sind das Reiten von grossen Volten und die verschiedenen Variationen von Schlangenlinien effektive Übungen. Ebenfalls hilfreich sind sämtliche Arten von Seitengängen, wie das Übertreten in Form von Schenkelweichen, Viereck verkleinern und vergrös­sern, Schulter vor und Schulter herein. 

Zum Überprüfen der Geraderichtung dienen optische Hilfsmittel wie der Spiegel in der Reithalle. Reitet man im Schritt, Trab oder Galopp auf den Spiegel zu, kann man kontrollieren, ob das Pferd gerade und «hufschlagdeckend» geht: Die Hinterhand sollte nicht an der Spur der Vorhand vorbeifussen. Das kann man selbst vom Boden aus bei anderen Reitern sehen, wenn man sich die Hufspuren ihrer Pferde im Reitplatzsand ansieht.

Ist das Pferd geradegerichtet, kann es in allen drei Grundgangarten sämtliche Übungen und Lektionen auf der rechten wie auch auf der linken Hand gleich gut ausführen. Der Reiter spürt, wie sich das Pferd auf beide Seiten gleich gut biegen und stellen lässt und gleichmässig an den Zügel herantritt. Im Gelände und beim Springen eines Parcours kann das Pferd alle Wendungen und das Anreiten von Hindernissen auf beiden Händen gleich gut ausführen. Auch optisch verändert sich das Pferd: Es hat nun auf beiden Seiten gleichmässig ausgebildete Muskeln, sein Körperbau wirkt harmonisch und schön. 

Auch auf den Reiter kommt es an
Ein noch nicht geradegerichtetes Pferd lässt auch seinen Reiter bis zu einem gewissen Grad schief sitzen. Es kann sogar vorkommen, dass der Reiter die Schiefe des Pferdes negativ verstärkt. Denn auch er hat eine stärkere und eine schwächere Seite, ist also entweder Links- oder Rechtshänder. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass es ungünstig ist, wenn Reiter und Pferd nicht die gleiche Händigkeit haben. 

So haben deutsche Wissenschaftlerinnen herausgefunden, dass rechtshändige Reiter linkshändige Pferde generell mit mehr Zügelspannung ritten und insbesondere mit ihrer rechten Hand mehr Kraft in beiden Richtungen aufwendeten. Sie schienen in beiden Richtungen insgesamt weniger gut koordiniert zu sein als auf rechtshändigen Pferden. Ihre Studie kommt zum Schluss, dass die Händigkeit von Pferden und Menschen, ebenso wie die Erfahrung und der Ausbildungsgrad des Reiters, deutlichen Einfluss auf die beim Reiten verwendete Zügelspannung habe. Die Zügelspannung sei bei Pferd-Reiter-Kombinationen mit derselben Händigkeit deutlich gleichmässiger. Das, so die Forscherinnen, ist «beim Training und der Ausbildung ebenso vorteilhaft wie für das Wohl des Pferdes insgesamt».