Das Bedürfnis nach Sozialkontakt, das heisst, mit Artgenossen zusammen zu sein, ist auch für unsere Hauspferde enorm wichtig, fast so wichtig wie Futter und Wasser. Kein Mensch und kein anderes Tier können ein Pferd als Sozialpartner ersetzen», sagt Christa Wyss, Ingenieur-Agronomin ETHZ, spezialisiert in Ethologie und seit 14 Jahren als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Schweizer Nationalgestüt (SNG) von Agroscope tätig. Ihr Forschungsbereich umfasst nicht nur das Lern- und Sozialverhalten, sondern auch die Optimierung der Gruppen- und Einzelhaltung von Pferden.

Vorteile des Lebens in Gruppen

Das Leben in Gruppen bietet den Pferden in freier Wildbahn Schutz vor Fressfeinden. Die Rangordnung in der Herde beschreibt einfach die Beziehung der einzelnen Pferde zueinander. Kurz: Eine stabile Rangordnung festigt die sozialen Beziehungen und reduziert damit Streitereien. Gibt es weniger Streit, ist das Verletzungsrisiko kleiner und die Pferdegruppe macht Feinde nicht so schnell auf sich aufmerksam.

Natürliche Gruppenzusammensetzung

Natürlicherweise würden Pferde in Haremsgruppen zusammenleben: ein Hengst mit bis zu neun erwachsenen Stuten, mit ihren Fohlen und Jungpferden. Sobald diese nach zwei bis drei Jahren die Geschlechtsreife erreichen, werden sie vom Leithengst vertreiben und müssen den Harem verlassen. Junghengste, die ihre Familie verlassen müssen, schliessen sich sogenannten Junggesellen- oder Bachelorgruppen an. Die Gruppengrösse sei denn auch von der Nahrungsgrundlage und der Geburtenrate abhängig, erklärt die Agronomin. «Man bezeichnet räumlich nah beieinander lebende Gruppen, seien es Harems- oder Bachelorgruppen, als Herde», hält sie weiter fest.

Ständige Bewegung in freier Natur

In der Natur wurden bisher Wildpferdegruppen von 2 bis zu 35 Tieren untersucht. Diese sind während 16 Stunden ständig in Bewegung. Sei es zur Nahrungssuche, zum Trinken oder auch auf der Suche nach Schutz vor der Witterung – die Tiere sind dauernd in Bewegung. Die Hauptgangart: Schritt. Getrabt oder galoppiert wird nur in sozialem Kontext, bei Rangkämpfen oder beim Spiel – und natürlich auf der Flucht.

Missverständnisse über Dominanz und Aggressivität

Oft werde Aggressivität als Dominanz wahrgenommen. Die Agronomin erklärt aber, dass Aggressivität nicht gleich ein Zeichen von Dominanz sei. Dominanz zeige sich dadurch, dass sich ein Pferd entspannt und frei zu den Futterstellen und den Ruheplätzen bewegen könne – ranghohe Pferde hätten als erste Zugang zu limitierten Ressourcen; sie dürften zuerst trinken, fressen und würden dabei nicht von den anderen vertrieben werden. Dominanz sei weder von Grösse noch Gewicht abhängig. Das Alter des Tiers, die Persönlichkeit und wie lange es schon Teil der Gruppe ist, können ausschlaggebend für den jeweiligen Platz in der sozialen Organisation sein. «Natürlich haben grosse Pferde theo-retisch mehr Kraft als kleinere. Aber die Motivation, sich in einer Zweierbeziehung in einer spezifischen Situation durchzusetzen, hat häufig mit der Persönlichkeit oder den aktuellen Bedürfnissen zu tun», erläutert Christa Wyss.

Sichtbare Anzeichen von Dominanzkämpfen

Nun zu den sichtbaren Anzeichen von Dominanzkämpfen. Diese sind unter anderem: Ohren anlegen, Kopf in die Richtung des Artgenossen schwingen, verfolgen, beissen und schlagen. Das Tier, welches eher zurückweicht, ist subdominant, also rangtiefer. Sind die sozialen Beziehungen einmal definiert, sind dominante Gesten subtiler. Ohren anlegen, kurzes Drohen mit dem Kopf oder Bein heben, um einen Schlag anzudeuten, reichen oft aus, um klar zu kommunizieren. Christa Wyss erklärt, dass es aber schwieriger sei, rangtiefe Pferde zu erkennen. Diese würden sich wegdrücken lassen, mit dem Fressen und Trinken warten sowie den ranghöheren Tieren ausweichen.

Gruppe, aber nicht für alle

In der Natur, aber auch in Ställen sind immer wieder Pferdefreundschaften zu beobachten: Sie fressen zusammen, ruhen gemeinsam und verbringen sehr gerne Zeit miteinander. Interessanterweise sind diese Beziehungen nicht vom Rang der einzelnen Tiere abhängig. So können auch rangtiefe mit ranghöheren Pferden befreundet sein. Es gibt aber nicht nur Freundschaften: «Genauso können auch deutliche Abneigungen zwischen zwei oder mehreren Tieren vorkommen», sagt die Agronomin.

Freundschaften und Abneigungen in der Pferdegruppe

Bei der Pferdehaltung gibt es grundsätzlich zwei Haltungsformen: Einzel- oder Gruppenhaltung, die aber jeweils unterschiedlich aussehen können. Christa Wyss erklärt, für welche Tiere die Gruppenhaltung infrage kommt: «Grundsätzlich ist die Gruppenhaltung für alle Pferde möglich. Bei sensiblen Hochleistungspferden, Zuchtstuten kurz vor und einige Tage nach der Geburt ihres Fohlens, bei Deckhengsten oder bei Pferden mit möglicherweise traumatischen Erlebnissen kann die Gruppenhaltung aber erschwert oder unmöglich sein.»

Einzel- und Gruppenhaltung bei Pferden

Gruppentauglichkeit hänge stark vom einzelnen Pferd und den Pferden ab, die schon in der Gruppe leben. Die Strukturierung des Gruppenstalls mache auch viel aus. Viel Platz, Trennwände und andere Strukturelement wie Hecken können eine scheinbare Distanz schaffen. Mehrere Ruhebereiche, in denen auch die rangniedrigen Pferde schlafen können, seien wichtig. Eine Fütterung mit keinen oder nur kurzen Fresspausen vermindere die Aggressionen zwischen Gruppenmitgliedern jedoch am meisten.

Die Gruppendynamik kann ändern

Die Rangordnung der Gruppe ist vor allem durch ihre Zusammensetzung bestimmt. Ein dominantes Pferd ist nicht in jeder Gruppenzusammensetzung dominant. Schon beim kleinsten Wechsel innerhalb der Gruppe, also bei einem Neuzugang oder auch Weggang, muss die Rangordnung neu bestimmt werden. Zudem sollte die Integrationsphase von neuen Pferden klar durchdacht sein: Integrationsboxen sind daher sinnvoll und können den geschützten Kontakt zu den anderen Pferden in der Gruppe ermöglichen.

Stressanzeichen
Christa Wyss beschreibt, welche Anzeichen es für Stress bei Pferden gibt:

• Ständig die Umgebung kontrollieren
• Übermässige Aggressivität
• Sich nicht hinlegen
• Abseits der Gruppe stehen
• Keinen besten Freund haben
• Häufig vom Futter aufsehen
• Im schlimmsten Fall: depressionsähnliche Stimmung und abmagern