Frau Wiedmer, der Schweizerische Verband für Pferdesport hat gemeinsam mit dem Schweizer Tierschutz 2022 die Broschüre «Wie viel Gewicht darf aufs Pferd?» veröffentlicht. Gibt es so viele übergewichtige Reiterinnen oder was machte diese Publikation notwendig?

Nein, dies war nicht ausschlaggebend. Uns war es wichtig, nicht etwa Einzelfälle in den Fokus zu stellen, sondern die Gewichtsbelastung von Pferden allgemein zu thematisieren. Dies unter Berücksichtigung der körperlichen Voraussetzungen der Reiter, aber auch jener des Pferdes sowie seiner Nutzung. Wir wollen mit dieser Broschüre sensibilisieren und die Pferdesportlerinnen zur Selbsteinschätzung motivieren, immer mit dem Fokus aufs Tierwohl.

Welche Faktoren gilt es denn zu berücksichtigen, um zu evaluieren, wie viel Gewicht ein Pferd oder Pony tragen kann?

Es kommen viele Faktoren zusammen, die bestimmen, wie viel Gewicht einem Pferd zugemutet werden kann. Zum Beispiel die Pferderasse, der körperliche Zustand des Pferdes, der Ausbildungsstand, die Ausrüstung sowie auch die Art und die Dauer der Nutzung. Wir stellen daher eine Grafik zur Verfügung, anhand derer eine Selbsteinschätzung und Beurteilung der eigenen Situation vorgenommen werden kann. Auch die Fitness des Reiters ist ausschlaggebend.

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Ein Pferd ist nicht als Lastenträger geboren. Wie kann es dazu trainiert werden, ohne Gesundheitsschäden einen Reiter zu tragen?

Indem man ihm genügend Zeit für seine körperliche Entwicklung lässt, es physisch kontinuierlich aufbaut und psychisch auf die Aufgaben vorbereitet. Beim Pferd muss dem Muskelaufbau im Bereich des Rückens sowie auch der Lastaufnahme der Nachhand besonders grosse Aufmerksamkeit geschenkt werden. Nicht zu vergessen, dass auch die Ausrüstung passen und laufend kontrolliert werden muss.

Wie kann die Tragfähigkeit eines Pferdes eingeschätzt werden?

Einen guten Eindruck der Tragfähigkeit erhält man beim Einschätzen der Breite der Lendenpartie sowie des Umfangs des Röhrbeins. Der Röhrbeinbelastungsindex (RI) bietet eine Methode zur Einschätzung der Stabilität des Fundaments. Auch beachtet werden sollte das Eigengewicht des Pferdes: Ist der Röhrbeinbelastungsindex zwar hoch, aber das Pferd übergewichtig, muss dies bei der Gewichtsbelastung unbedingt berücksichtigt werden.

Gibt es rassenspezifische Unterschiede zwischen Gewichtsträgern und Pferden oder Ponys, die nicht viel Gewicht tragen können?

Es gibt schon Pferde, die als sogenannte «Gewichtsträger» gelten und deren Röhrbeinbelastungsindex höher ist als bei eher filigran gebauten Pferden. Aber auch hier muss klar auf das einzelne Individuum eingegangen und dieses beurteilt werden. Ein Kaltblutpferd ist nicht einfach auf Grund dieser Klassifizierung ein Gewichtsträger.

Gibt es eine Faustregel, wie schwer eine Reiterin maximal sein darf?

Der SVPS empfiehlt als Faustregel ein Gewichtsverhältnis Mensch zum Eigengewicht des Pferdes von 15 Prozent. Bis zu einem Verhältnis von diesen 15 Prozent befindet man sich im grünen Bereich, auch dort gilt es jedoch bestimmte Kriterien wie den Ausbildungsstand des Pferdes, dessen Nutzung, die reiterlichen Fähigkeiten und die Ausrüstung zu berücksichtigen. Liegt der Wert über diesen 15 Prozent, dann empfiehlt der Schweizerische Verband für Pferdesport eine ehrliche Selbsteinschätzung und anschliessend entsprechendes Handeln.

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Ich sehe ein Pferd-Reiter-Paar, bei dem diese Faustregel haushoch überschritten scheint – wie soll ich reagieren?

Idealerweise wird die Person mit Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen auf das Missverhältnis angesprochen. Manchmal sind sich die Pferdesportler der eigenen Situation gar nicht richtig bewusst. Reitschulen oder Reitkolleginnen haben die Möglichkeit, gemeinsam die Selbsteinschätzung des SVPS auszufüllen und die Thematik in diesem Rahmen anzusprechen und Lösungen zu finden.

Die Broschüre «Wie viel Gewicht darf aufs Pferd» kann bei fnch.ch als PDF heruntergeladen oder kostenlos als Print-Version via info(at)fnch.ch bestellt werden.