Voller Vorfreude wartet Julchen auf ihren Geliebten. Der trappelt auf flinken Beinen zu ihr, im Mund eine langstielige rote Rose, die er seiner Herzdame zu Füssen legt. Das Publikum ist entzückt, auf vereinzelte «Jöööh!»-Rufe folgt Applaus. 

Die geschilderte Szene stammt nicht etwa aus einer Neuinszenierung von Shakespeares «Romeo und Julia». Julchen ist eine Dackeldame, ihr Verehrer hört auf den Namen Buffy, ist ebenfalls ein Rauhaarzwergdackel und in Wirklichkeit ein Sohn von Julchen. Die Rosenübergabe ist ein kleiner Teil der Show namens «Dackelzauber», aufgeführt von acht Männern und Frauen mit ihren neun Dackeln, zuletzt an der Hundefachmesse in Winterthur Anfang Februar («Tierwelt online» berichtete von der Hundemesse).

Hunden kann man bekanntlich allerlei Tricks beibringen. Dass nun aber statt gefallsüchtigen Bordercollies oder Labradoren ausgerechnet Vertreter einer Jagdhunderasse auf der Bühne gemeinsam eine Nummer nach der anderen präsentieren, überrascht selbst das hundeaffine Publikum. 

Hundemesse Winterthur mit Dackelzauber

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Goofy hält Fuchs und Wolff auf Trab
Für Karina Wolff, die den «Dackelzauber» vor sieben Jahren ins Leben gerufen hat und leitet, sind die Fähigkeiten der kurzbeinigen Jagdhunde wenig überraschend. Die 57-Jährige kennt die Rasse schon aus ihrer Kindheit in Berlin. Als Zehnjährige ging ihr Wunsch nach einem eigenen Hund in Erfüllung – mit einem Rauhaardackel, benannt nach dem Disney-Hund Goofy. 

Während die Zeichentrickfigur seinem Namen alle Ehre machte – «goofy» heisst so viel wie dusselig, dümmlich –, sei ihr Dackel blitzgescheit gewesen, ausserdem selbstbewusst und freiheitsliebend. «Ich weiss noch, wie verzweifelt ich war, als er eines Tages plötzlich weg war», erzählt Wolff. Zwei lange Tage später brachte ihn der Zeitungsausträger zurück. Dessen Hündin war läufig, als er mit ihr zusammen seine Runde machte. «Goofy fand anscheinend, dass er es ja mal probieren könnte, auch wenn die Schäferhündin vier Mal so gross war wie er.»

Dackel haben einen unverwechselbaren Humor.

Karina Wolff

Auch an einen Spaziergang im Berliner Grunewald kann sich Wolff noch lebhaft erinnern, als Goofy in einen Fuchsbau verschwand. Stundenlang rief sie nach ihm, doch der Dackel wollte nicht folgen. Erst als sie völlig verzweifelt Hilfe holen wollte und Goofy ihre Stimme nicht mehr hörte – Wolff vermutet, dass er ihre Rufe wahrscheinlich als Anfeuerung interpretiert habe –, stand er mit erwartungsvollem Blick neben ihr. «Mit solchen Aktionen wird deutlich: Dackel haben einen unverwechselbaren Humor.» 

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Wieso sie als zehnjähriges Mädchen ausgerechnet auf die Jagdhunderasse kam, sei mehr Zufall gewesen. «Ich wollte ja eigentlich einen Sennenhund», erzählt Wolff. Ihre Mutter aber winkte ab: zu gross! Viel lieber wäre ihr ein Pudel gewesen. Doch da hatte die Tochter etwas dagegen: «Bloss nicht!», erinnert sich Wolff an ihre Worte, «Pudel sind doch nur was für alte Damen.»

Nach der Bank ist vor dem Hund
Dass Dackel später gegen exakt das gleiche Image kämpfen müssen, versteht sie bis heute nicht. Sie hält die Hunderasse für stark unterschätzt. Zwar gebe es durchaus Zuchtstätten, die Dackel weniger für die Jagd, sondern als Familienhunde züchten. «Doch auch sie wollen mental gefördert und ausgelastet werden.» 

Das hat Wolff mit ihren Hunden gemeinsam. Auch ihre Wissbegierigkeit kennt kaum Grenzen. Nach einer Lehre als Bankkauffrau in Berlin zog es sie mit 20 Jahren fürs Studium der Betriebswirtschaft an die Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften sowie Internationale Beziehungen HSG nach St. Gallen. Goofy blieb in dieser Zeit bei Wolffs Mutter in Berlin. «Wir haben uns aber regelmässig in den Ferien wiedergesehen und das sehr genossen.» 

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Bis sie selber wieder Zeit für einen eigenen Hund fand, sollte es aber noch dauern. «Als Bankerin ist es schwierig, einen Hund mit zur Arbeit nehmen zu können.» Nach dem Doktorat in Betriebswirtschaft und einem berufsbegleitenden Psychologiestudium zog sie sich vor 15 Jahren aus der Bankenbranche zurück. Darauf folgten acht Jahre Geschäftsführung einer gemeinnützigen Organisation in Zürich. Seither ist sie als Dozentin für Wirtschaftspsychologie an Fachhochschulen tätig und kann sich endlich wieder ihrer Leidenschaft widmen: den Hunden. 

So holte sich Wolff 2007 Rauhaardackeldame Julchen zu sich. Schnell erkannte sie die vielfältigen Talente in ihrer Hündin, legte mit ihr mehrere Begleithunde- und Fährtenhundeprüfungen sowie weitere Ausbildungen ab. Im März 2010 durfte sie mit Julchen und ihrer Zuchtstätte «vom Wolfszauber» den ersten Wurf feiern. Seit 2016 gehört auch Julchens Enkelin Daylight zum Rudel, die wiederum, wenn alles gut geht, Ende Jahr zum ersten Mal Nachwuchs erwarten dürfte. «Wie das so ist: Wenn mich etwas interessiert, dann will ich Bescheid wissen und verstehen.» Also absolvierte sie die Ausbildung zur zertifizierten Hundetrainerin, zur Hundepsychologin mit Spezialisierung auf Hundeverhaltenstherapie und zur zertifizierten Ernährungsberaterin für Hund und Katze. 

Hunde und Menschen funktionieren neurobiologisch sehr ähnlich.

Karina Wolff

Liebevolle Konsequenz als Schlüssel
Hinter der Gründerin und Leiterin des «Dackelzaubers» steckt also nicht nur eine Hundetrainerin und -züchterin, sondern auch eine Bankkauffrau, eine Doktorin der Ökonomie, eine Diplompsychologin und Dozentin. Der Unterschied sei nicht so gross, ob sie nun angehende Unternehmensführer in strategischem Management und Leadership unterrichte oder Hundehalter im Umgang mit ihren Tieren. «Hunde und Menschen funktionieren neurobiologisch sehr ähnlich, haben nahezu die gleichen Emotionen, Hormone und Gehirnstrukturen», sagt Wolff. Dadurch seien die Grundlagen bei der Arbeit mit Menschen und Hunden letztlich dieselben: «Sowohl als Dozentin als auch als Hundetrainerin geht es darum, das Gegenüber und dessen Bedürfnisse wahrzunehmen und ihm mit liebevoller Konsequenz zu begegnen.» 

Die Dackel zeigen, was sie können

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Dass das funktioniert, zeigen nicht nur ihre Studenten, sondern auch die fälschlicherweise als unerziehbar verschrienen kleinen Jagdhunde beim «Dackelzauber». Einmal pro Woche trainieren sie mit ihren Herrchen und Frauchen unter Anleitung von Wolff verschiedene Tricks und Kunststücke. «Die besten Nummern sind die, auf die die Hunde von alleine kommen», erzählt Wolff. 

So gehört denn auch der Applaus an den verschiedenen Showauftritten in Alters- und Pflegeheimen, an Hochzeiten oder eben der Hundemesse ganz den Dackeln, die mit jedem gezeigten Trick ein kleines Stück über sich hinauswachsen. So auch Julchen, die die Rose, die sie von ihrem Verehrer Buffy erhielt, längst ihrer ganz persönlichen Herzdame weitergereicht hat: Karina Wolff.

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