Pflanzen haben, was Infektionen betrifft, ähnliche Sorgen und Nöte wie Mensch und Tiere. Auch sie werden von Viren, Bakterien, Pilzen und Parasiten heimgesucht. Sie haben kein Immunsystem wie wir; ihre Waffen gegen Eindringlinge heissen ätherische Öle, Phenolverbindungen, Saponine, Senföle, Fettsäuren. Diese und weitere Substanzen stören den Stoffwechsel des Eindringlings gleichzeitig auf mehreren Ebenen. Pflanzen feuern sozusagen eine volle Breitseite gegen die Angreifer ab, was es den Mikroorganismen verunmöglicht, Resistenzen zu entwickeln. 

Heilpflanzen und ihre antimikrobiellen Stoffe halfen den Menschen über Jahrtausende im Kampf gegen Infektionen, gerieten aber in den letzten Jahrzehnten zunehmend in Vergessenheit. Sie erhalten nun neue Aktualität. Konnte man sich nämlich bis vor einigen Jahren auf die sichere Wirkung von Antibiotika verlassen, haben die Bakterien zunehmend Strategien entwickelt, diese ins Leere laufen zu lassen. Resistenzen gegen Antibiotika verbreiten sich in besorgniserregendem Masse. Bereits sind Bakterienstämme aufgetaucht, denen alle gängigen Antibiotika nichts mehr anhaben können. Schuld ist der leichtfertige Umgang mit der einstigen Wunderwaffe. Fast reflexartig greifen Human- und Tiermediziner bei allen möglichen Krankheiten nach Antibiotika, ohne die Anwendung zu hinterfragen oder Alternativen zu prüfen. 

Ätherische Öle können sogar mehrfach resistente Bakterien in Schach halten
Weil Mikroorganismen einander Resistenzgene weitergeben, sind einmal entwickelte Resistenzen kaum mehr aus der Welt zu schaffen. In dieser Situation kommen nun die Heilpflanzen zu neuen Ehren. Ihre Wirkstoffe und deren Einsatz gegen Infektionskrankheiten standen im Zentrum der Jahrestagung der Schweizerischen Medizinischen Gesellschaft für Phytotherapie (SMGP). Die Referenten zeigten, welches Potenzial in den Pflanzen liegt. Ätherische Öle beispielsweise bekämpfen Keime besonders effektiv – sie machen auch vor multiresistenten Bakterienstämmen nicht halt. 

Doch nicht nur die Duftstoffe der Pflanzen sind nützlich: Kapuzinerkresse, vielen Leuten als Zierpflanze bekannt, enthält Senföl und hilft gegen Grippeviren. Gerbstoffe – etwa aus der Eichenrinde – setzen Enterobakterien, Candida-Pilze und den Eiterrerreger Staphlyokokkus aureus ausser Gefecht. Knoblauch hemmt Streptokokken und Pilze. Süssholz stoppt Hepatitis-C-Viren. Oregano wird bereits seit einigen Jahren mit gutem Erfolg als Leistungsförderer in der Tierhaltung eingesetzt. Das zeigt einen Nachteil der Intensivierung der Landwirtschaft, in der artenreiche Naturwiesen den heutigen Kunstwiesen geopfert wurden, deren einzige Eigenschaft hoher Ertrag ist. Ihnen fehlt die kräuterreiche Würze, all die Wirkstoffe, dank denen die Tiere mit dem Futter gleich noch eine Portion Gesundheit aufnahmen.

«Heilpflanzen enthalten biologisch geprüfte und optimierte Substanzen, die im Lauf der Evolution als Abwehrstoffe entwickelt wurden», brachte es Professor Matthias Melzig von der Freien Universität Berlin an der Tagung auf den Punkt. Es sei höchste Zeit, dass wir uns dieses Schatzes wieder bewusst würden und ihn nutzten, bevor all das Wissen um die Heilpflanzen verloren gehe. Ein ermutigender Ansatz dazu war die Masterarbeit der Pharmazeutin Monika Disler. Sie trug mehr als 500 Hausmittel zusammen, die in Schweizer Bauernbetrieben seit mehreren Generationen überliefert und im Stall angewendet werden. Sie war damit so erfolgreich, dass weitere Arbeiten in diese Richtung geplant sind. 

Mehr Infos unter www.smpg.ch