Es geht ums Überleben, um das Recht des Stärkeren, nur so überleben Tiere in freier Natur. Es ist ein Instinkt, der auch vor domestizierten Tieren keinen Halt macht und so manch schwachen Neugeborenen von Mamas Milchzitzen vertreibt. Es ist aber auch ein Verhalten, das bis ins Erwachsenenleben bleibt und sich in vielen Dingen äussert, beispielsweise in einem Rudel lebende Hunde zum Streit über Knochen, Schlafplätze oder die Aufmerksamkeit des Halters verleitet.

Der bekannte deutsche Zoologe und Verhaltensforscher Udo Ganslosser beschäftigt sich schon lange mit diesem Thema und ist sich sicher: «Ein extrem problematisches Verhältnis liegt oft zwischen Geschwistern des gleichen Geschlechts vor.» Dies basiere vor allem auf der Pubertät, einer Zeit, in der Hunde wie Menschen ihre emotionale Stabilität häufig verlieren und risikobereiter sowie weniger stressresistent sind. Seien beide Geschwister gleichzeitig in der Pubertät, «kann es oft zu so schweren Auseinandersetzungen kommen, dass sich die Streithähne nie wieder richtig vertragen», sagt der Privatdozent für Zoologie.

Ein extrem problematisches Verhältnis liegt oft zwischen Geschwistern des gleichen Geschlechts vor.

Udo Ganslosser
Zoologe und Verhaltensforscher

Sexualzyklus als Schlüssel
Während bei Rüden eine Kastration des ranghöheren oder emotional stabileren Geschwisters oft Abhilfe schaffen könne, sei die Sache bei Hündinnen um einiges komplizierter. «Aufgrund ihrer differenzierteren sozialen Beziehungen lässt sich nicht so ohne Weiteres vorhersagen, ob und, gegebenenfalls, bei welcher der Hündinnen die Kastration beziehungsweise die Wegnahme der Sexualhormone zu einer wesentlichen Beruhigung führt», erklärt der Verhaltensforscher. In solchen Fällen empfiehlt Ganslosser, beide Hündinnen mit einem Kastrationschip zu versehen, die Situation im Auge zu behalten und nach einiger Zeit erneut zu beurteilen. 

Der weibliche Sexualzyklus sei der eigentliche Schlüssel des Ganzen. Ganslosser berichtet von Situationen, in denen ranghöhere Hündinnen die Läufigkeit von Artgenossinnen unterdrückt oder sogar den Wurftermin verzögert hätten (lesen Sie hier mehr dazu), und über Beobachtungen davon, dass mehrere Hündinnen, meist verwandte, «ihre Östruszyklen synchronisieren und sich dabei an den Zyklus der Ranghöchsten anhängen». 

Dennoch scheinen solche Komplikationen nicht an der Tagesordnung zu sein. Zumindest laut Rommy Los vom Zürcher Tierschutz. Er verweist auf die enorme Bedeutung der Hierarchie unter normal sozialisierten Hunden. «Die Rangordnung ist nicht von linearer Struktur und besteht nicht aus starren Rangpositionen, sondern aus vielen einzelnen Zweierbeziehungen aller Mitglieder.» Sie sei daher zeit- und situationsabhängig und könne sich folglich je nach Umweltbedingungen ändern. «Prinzipiell basiert das Wesen der Hierarchie aber auf Respekt und nicht auf Gewalt», erklärt Los. 

Hunde müssen miteinander kommunizieren dürfen, deswegen sollte man nicht zu früh eingreifen.

Rommy Los
Zürcher Tierschutz

Hierarchie als Lösung
Das Problem liegt, wie man so schön sagt, häufig am anderen Ende der Leine: beim Halter. Denn Rivalität unter Hunden tritt normalerweise auf, weil der Mensch sich einmischt. Ihm tut es weh, zu sehen, dass Fiffi mal wieder das Nachsehen hat, während sich Rocky gleich mit beiden Kauknochen verdrückt, oder dass einer dem anderen das Stofftier wegnimmt. Doch genau darin liegt die Gefahr. Unter Hunden gibt es weder Demokratie noch Gleichberechtigung, sondern – je nach Situation – einen Anführer und einen, der sich unterzuordnen hat. Widersetzt sich der Mensch dieser Rangordnung, bringt er das Gleichgewicht ins Wanken. «Hunde müssen miteinander kommunizieren dürfen, deswegen sollte man nicht zu früh eingreifen», sagt Los. 

Die Rangordnung müsse von den Hunden selbst gefunden werden. «Aggressive Auseinandersetzungen gibt es meistens nur dann, wenn Positionen infrage gestellt werden oder wenn es um begrenzte Ressourcen geht.» Die einfache Lösung: Das Objekt der Begierde, sei es Futter, Spielzeug oder Aufmerksamkeit, in ausreichendem Masse zur Verfügung zu stellen. 

Wer sich dennoch Sorgen macht, die Rivalität unter den Geschwistern könnte ausarten, sollte seine Racker erst einmal beobachten. Wenn beide Parteien nach einer Jagd zurückkommen, anstatt sich zu verstecken oder davonzulaufen, und auch mal die Rollen tauschen, handelt es sich wohl um Spielerei. Aufschluss gibt zudem die Körpersprache: Plustert sich ein Hund auf, macht er sich gross, streckt er die Brust raus und stellt er Ohren und Rute auf, zeigt er Dominanz. Zittert der Schwanz dazu noch, steht er meist kurz vor dem Angriff. Macht er sich dagegen klein und legt Fell und Ohren an, ist er unsicher und ängstlich. Ein Rückendreher zeugt von totaler Unterordnung. Wedelt der Hund stattdessen leicht mit der Rute, heisst das, er möchte spielen.