Hunde sollen vom Charakter her möglichst perfekt zu ihrem Besitzer oder ihrer Arbeitsaufgabe passen. Grund genug für die Wissenschaft, die Hundepersönlichkeit genau unter die Lupe zu nehmen. Es ist vor allem die Kontinuität, die das Konzept der den Charakter ausmacht. «Persönlichkeit ergibt sich aus individuellen Verhaltensunterschieden, die zeitlich und in verschiedenen Kontexten relativ stabil sind», erklärt Verhaltensbiologin Stefanie Riemer von der Vetsuisse Fakultät der Universität Bern. Die Eigenschaften, die zu den Persönlichkeitsmerkmalen gezählt werden können, sind mannigfaltig. Geselligkeit, Verspieltheit, Angstfreiheit, Aggressivität, Trainierbarkeit und Sozialverhalten stehen im Vordergrund. Auch Frustrationstoleranz zähle zu den Persönlichkeitseigenschaften, wie Riemer im Rahmen ihrer Arbeit nachwies.

Nicht minder zahlreich sind dementsprechend die Entstehungsgründe solcher Charaktereigenschaften. Wie beim Menschen beeinflussen Gene, Umwelt und Erfahrungen den Charakter unserer Vierbeiner. Rassebedingte Unterschiede im Verhalten sind laut Riemer zu einem grossen Teil genetisch bedingt. Gleichzeitig schränkt die Wissenschaftlerin aber ein: «Die Charakterzüge anhand der Rasse voraussagen können wir jedoch nicht.» Weder sei es möglich von der Rasse auf den Charakter noch vom Charakter auf die Rasse zu schlies­sen. «Zwar sind gewisse Eigenschaften bei bestimmten Rassen im Durchschnitt stärker oder geringer ausgeprägt als bei anderen – aber jeder Hund ist ein Individuum», erklärt Riemer.

Die Gene ergeben nur eine gewisse Veranlagung – deren Ausprägung wird massgeblich von Umweltfaktoren bestimmt. «Wann und welche Gene ab- oder angeschaltet werden, ist unter anderem abhängig von individuellen Erfahrungen oder sogar von den Lebensumständen der Vorfahren», sagt Riemer. Hiermit befasst sich die noch junge Wissenschaft der Epigenetik, die zeigt, dass auch Erfahrungen vererbt werden können.

Fürsorgliche Mutter erwünscht
Insbesondere Angst und Stress scheinen ausschlaggebende Faktoren zu sein, bei denen sich laut der Verhaltensbiologin sogar das Gehirn verändert. Von besonderer Bedeutung sei dies im zweiten Drittel der Trächtigkeit, einer besonders wichtigen Phase für die Gehirnentwicklung. «Erlebt eine Mutter zu diesem Zeitpunkt starken Stress, führt das häufig zu einem verstärkten Stressempfinden bei ihrem Nachwuchs.» Ein Grund, warum viele Welpen von Stras­senhunden misstrauisch gegenüber Menschen sind. Die Vierbeiner haben es sozusagen «in die Wiege» gelegt bekommen. Aus evolutionärer Sicht ist dies durchaus sinnvoll: Der Nachwuchs ist bestens für die Umgebung gewappnet, in der er wahrscheinlich aufwachsen wird.

Entscheidend sind zudem frühe nachgeburtliche Einflüsse. Fürsorgliche Muttertiere, die ihre Jungtiere viel umsorgen und belecken, hätten meist stressresistenteren Nachwuchs als nachlässigere Mütter. «Dass in diesem Fall die Fürsorge der Mutter – und nicht genetische Faktoren – ausschlaggebend sind, weiss man aus Studien, in denen die Jungen fürsorglicher und nachlässiger Mütter vertauscht und von einer fremden Mutter aufgezogen wurden», erklärt Riemer. 

Spätere Erfahrungen während der Sozialisierungsphase wirken sich allerdings stark auf den Charakter des Hundes aus, sodass individuelle Verhaltenseigenschaften im Alter von wenigen Wochen kaum vorhergesagt werden können. Von Persönlichkeitstests in dieser Zeitperiode wie dem «Puppy-Test» hält die Wissenschaftlerin daher wenig. «Das ist nur ein Schnappschuss an einem einzelnen Tag.» In ihrer eigenen Studie konnte lediglich eine einzige Eigenschaft im Alter von sechs Wochen vorhergesagt werden. «Welpen, die viel Erkundungsverhalten zeigten, taten das auch im Erwachsenenalter noch.» 

Nicht immer ist Herrchen schuld
Aus eigener Forschung weiss die Verhaltensbiologin zudem, dass der Charakter bereits im Alter von sechs Monaten stabile Züge annimmt. «Auch wenn sich die Persönlichkeit mit dem Älterwerden noch etwas verändert, bleiben Verhaltenseigenschaften im Vergleich zu den Altersgenossen relativ stabil», sagt Riemer. «Hunde, die mit sechs Monaten ängstlicher sind als ihre Artgenossen, zeigen diese Tendenz auch noch mit 18 Monaten.» Ebenso seien extrovertierte Welpen im selben Alter auch noch gerne mit anderen zusammen. Vorausgesetzt, die Umwelt bleibt stabil. Dennoch können einschneidende Erlebnisse selbst zu einem späteren Zeitpunkt noch zu Persönlichkeitsänderungen führen.

Weiterhin spielen auch Hundehalter und Artgenossen eine Rolle. Beide beeinflussen mit ihren individuellen Verhaltensweisen die Persönlichkeit eines Hundes. So zeigte die ungarische Forscherin Borbála Turcsán, wie andere Hunde im Haushalt die Charaktere ihrer Artgenossen mitformen: Einzeln gehaltene Hunde ähnelten ihrem Besitzer in ihrer Persönlichkeit, während sich die Hundepersönlichkeiten im Mehrhundehaushalt ergänzten. 

Eine ebenfalls ungarische Studie von Anna Kis fand heraus, dass neurotische Halter beim Hundetraining ihren Tieren weitaus häufiger Kommandos geben als andere. Extrovertierte Hundehalter wiederum gehen beim Training eher mit Lob grosszügig um. Stefanie Riemer warnt jedoch vor zu schnellen Rückschlüssen: «Es ist nicht immer und an allem das andere Ende der Leine schuld.» Es sei eher die Kombination mehrerer Faktoren, die gerade im Entstehen von ungewünschten Charakterzügen eine Rolle spielen, relativiert die Wissenschaftlerin. «Dennoch können wir die Persönlichkeit unseres Hundes zu einem gewissen Mass beeinflussen», sagt Riemer. Sie empfiehlt, bei Hunden vor allem Optimismus zu fördern. Es ist wie bei uns Menschen: Je mehr positive Erlebnisse ein Hund im Alltag eigenständig verbucht, desto optimistischer blickt er in die Zukunft.

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