Wenn Corinna Pfeifenberger spazieren geht, kommt sie in der Regel nicht weit. Gefühltermassen bleibt ihr Beagle-Rüde Henry alle zehn Meter stehen, um das Beinchen zu heben. «Als dominanter Rüde markiert er eben sehr oft», sagt sie. Im Grunde wäre es für die Tierfreundin auch kein Problem, doch einige Male musste sie sich von Haus- oder Ladenbesitzern schon arg beschimpfen lassen. Pfeifenberger ist überzeugt, dass Henry mit dem ewigen Markieren anderen Hunden vermitteln will, wie gross und stark und wichtig er ist.

So einfach ist die Sache aber nicht. Markierverhalten ist komplex. Verhaltensexperten wie Günther Bloch, der bei seinen Wolfsforschungen das Markieren genauer unter die Lupe genommen hat, verblüffen mit spannenden Erkenntnissen. Bloch unterscheidet fünf verschiedene Formen des Harnmarkierens.

Vom Ritual bis zum Imponiergehabe
Die mit Abstand häufigste Form des Markierens ist das Ritualpinkeln. Hunde machen es in lockerer Körperhaltung und ohne jede Aufregung. Diese Art des Markierens hat weder mit Dominanz noch mit Aggressivität zu tun. Hunde hinterlassen auf diese Art schlicht und einfach Informationen und sammeln mit der Nase selbige von den Kollegen. Es handle sich um eine Kommunikation, die schon bei Wölfen studiert wurde. «Durch einen kleinen Atemzug weiss ein Wolf nicht nur, wer vor ihm da war, sondern auch, wie lange das her ist, welches Geschlecht derjenige hat, wie es um seinen Fortpflanzungsstatus bestellt ist oder welchen sozialen Status er hat», erklärt US-Expertin Barbara Handelman in ihrem Buch «Hundverhalten».

Wenn zwei Hunde abwechselnd mehrmals an ein und derselben Stelle markieren, wird das als Bindungspinkeln bezeichnet. Hierbei geht es nicht darum, wer mehr Geduld aufbringt und das Spielchen länger spielen kann, sondern um den Aufbau eines gegenseitigen Vertrauens.

Eine sehr bekannte und recht verbreitete Form des Markierens an speziellen Orten bezeichnet Bloch als Revierpinkeln. Hitverdächtige Plätze sind Gartenzäune, Mauerecken oder Begrenzungssteine. Auch Blumenkübel vor Hauseingängen werden gern genutzt – nicht immer zur Freude der Menschen. «Der wichtigste Grund zur Markierung von Territorien ist es, Konflikte und das Risiko körperlicher Schäden zu vermeiden», erklärt Handelman. Es geht also hauptsächlich darum, Konflikte oder gar heftige Streitereien zu verhindern.

Wer ist vorher hier vorbeigekommen?
Zum Ärger vieler Hundebesitzer markieren die Vierbeiner gelegentlich auch Futterschüsseln, Spielzeug oder Liegedecken. Am allerliebsten tun sie das, wenn sich ein Artgenosse in der Umgebung befindet. Mit diesem sogenannten Ressourcenpinkeln signalisieren sie: Das gehört mir! Halte dich besser davon fern! Auch hier dient das Markieren der Vermeidung eines Konflikts.

Zu Dominanzpinkeln hingegen kommt es den Forschern zufolge nur äusserst selten. Es ist gekennzeichnet durch Imponiergehabe und Wichtigtuerei. Es darf auch mal geknurrt und verwarnt werden. Weil Hunde eine sehr steile Hierarchie im Rudel pflegen, kommt dem Chef nur selten jemand zu nahe.

Markieren kann also vieldeutig sein: Als Provokation von Artgenossen oder sogar Menschen, es werden Revieransprüche angemeldet oder es wird klargestellt, welche Ressourcen wem gehören. Es kann aber auch simpel zur Kommunikation eingesetzt werden. Der schnüffelnde Hund bekommt Informationen über die Fitness, das Alter oder den Gesundheitszustand desjenigen, der markiert hat. Für einen Hund ist es offenbar wichtig, genau zu wissen, wer vor ihm eine bestimmte Strecke gegangen ist. Und wann.

Für Hundebesitzer wie Corinna Pfeifenberger kann das permanente Pinkeln ziemlich lästig sein. Zulassen müssen Hundebesitzer das Markieren keineswegs überall. Wer den Hund an der Leine weiterführt und mit strengem Nein ermahnt, verursacht nicht an jeder Eingangsdekoration eine gelbe Pfütze. Allerdings ist es dabei wichtig, das Markieren sicher vom notwendigen Wasserlassen unterscheiden zu können. Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal: Für ein Entleeren der Blase wird vorher die Stelle nicht so genau beschnüffelt wie beim Markieren.

In seltenen Fällen kommt es vor, dass Hunde plötzlich in der Wohnung markieren. In diesen Fällen ist intensive Ursachenforschung angesagt. Aus der Balance geratene Hormone können beispielsweise der Grund sein. Auch Probleme mit der Rangordnung, Unsicherheiten oder eine veränderte Umgebung sind mögliche auslösende Faktoren. Ebenso kann ein neuer Hund in der Nachbarschaft territorialen Stress verursachen. Den Grund herauszufinden ist nicht immer leicht, denn Markieren im Wohnraum darf nicht mit dem Pinkeln aus Angst, aus Unterwürfigkeit oder Aufregung verwechselt werden.

Rechts- und Linksmarkierer
Wie man das unerwünschte Markieren in der Wohnung therapiert, hängt jeweils von der Ursache ab. Bei einer hormonellen Entgleisung kann eine Kastration deutliche Erleichterung bringen, bei Rangordnungsproblemen wiederum ist ein Training zur Herstellung einer gesunden Struktur im Rudel Hund-Mensch notwendig. Und neue benachbarte Hunde sollten einmal begrüsst werden dürfen, damit sich der Stress abbaut. In ganz seltenen Einzelfällen, in denen keine Verhaltenstherapie weiterhilft, können Medikamente helfen, das unerwünschte Verhalten abzustellen.

Pfeifenberger hat sich für Henry einen Hundetrainer genommen, der ihr helfen soll, das zahlreiche Markieren bei zügigen Spaziergängen sanft und liebevoll zu reduzieren. Ganz unterbinden will sie es freilich nicht. Aber es soll speziell im bewohnten Gebiet nicht an jeder Ecke sein. Henry wird das gewiss rasch lernen, da ist sie sich sicher.

Übrigens markieren nicht nur Rüden. Weibchen machen es aber weniger auffällig, eher hockend. Trotzdem hört man immer wieder Besitzer von Hündinnen erzählen, dass auch ihr Liebling das Beinchen hebt. Wissenschaftler gehen davon aus, dass weibliche Hunde, die im Mutterleib zwischen zwei männlichen Geschwistern lagen, durch einen höheren Testosteronwert im späteren Leben ebenfalls dazu tendieren, beim Markieren das Bein in die Höhe zu strecken. Dabei haben Männchen wie Weibchem beim Markieren eine bevorzugte Seite, sie sind quasi Rechts- oder Linksbeiner. Wer genau hinschaut stellt gelegentlich fest: Hunde fallen manchmal sogar um, wenn sie das falsche Beinchen in die Höhe strecken. Wackelig stehen sie allemal da.