Merlot fiel schon früh durch sein Verhalten auf. In vielen Situationen reagierte der Golden Retriever mit Stress, war angespannt, kribbelig und zappelig und benahm sich völlig verdreht. «Die SKG-Leiterin der Welpenspielgruppe hätte uns sofort an einen Verhaltenstierarzt verweisen müssen», kritisiert seine Besitzerin Susanna Bugmann aus Davos GR. «Wir wussten nicht, dass es für Tiere Verhaltensmediziner gib.» Erst im Alter von zwei Jahren sei bei Merlot von einer Verhaltenstierärztin ADHS diagnostiziert worden. Der Hund stammt aus einem Wurf mit zehn Welpen. «Es könnte sein, dass Merlot aufgrund fehlender Erziehung durch seine Mutter und zu intensiver Sozialisierung durch seine Züchterfamilie ein ungestümer und wilder Welpe mit einem kleinen Tick geworden ist», vermutet Bugmann.

Maya Bräm Dubé ist Verhaltensmedizinerin am Tierspital Zürich, an der Clinique du Vieux Château in Delsberg JU und auch in der Region Basel tätig. «Wir wissen zu wenig über ADHS bei Hunden, um eindeutige Parallelen ziehen zu können. ADHS als Diagnose wie im Humanbereich wird nicht einheitlich beschrieben», sagt sie.

In französischen Lehrbüchern spricht man von HS/HA (Hypersensibilität/Hyperaktivität). Der Hund ist nicht in der Lage, sich selbst zu kontrollieren. Methylphenidat (Ritalin), welches für die Behandlung für ADHS bei Kindern eingesetzt wird, kann Hunden ebenfalls verabreicht werden, und in echten Hyperaktivitätsfällen führt es auch bei Vierbeinern zu einer paradoxen Beruhigung.

Gestresste und überreizte Hunde
Die Verhaltenstierärztin warnt aber vor voreiligen Diagnosen. Das Wort «Hyperaktivität» werde häufig zu schnell verwendet. «Es ist vielmehr ein Symptom als eine Diagnose. Es sind die Ursachen, auf die man sich konzentrieren sollte», sagt sie. Das Symptom «Hyperaktivität» kann viele Ursachen haben, so seien solche Hunde häufig überreizt und gestresst. Als Erstes empfiehlt sie Haltern mit Hunden, die nicht mehr zur Ruhe kommen, einen Tierarzt aufzusuchen. «Der erste Schritt ist die Abklärung, ob dem Verhalten eine medizinische Ursache zugrunde liegt, so können Schmerzen, Stoffwechselstörungen oder neurologische Erkrankungen zu einer veränderten Aktivität führen. Ein körperliches Leiden bedeutet für den Hund einen Stressfaktor, mit dem er umgehen muss.» Kann ein körperliches Problem ausgeschlossen werden, sei ein Besuch bei einem Verhaltensspezialisten notwendig. Es stellt sich die Frage, warum der Hund nicht zur Ruhe kommt, was ihn  stresst und was er mit diesem Verhalten kommuniziert. «Was für uns Menschen ein normaler Zustand ist, kann bei Hunden Stress auslösen. Zum Beispiel die Umgebung, Gerüche und Geräusche im eigenen Haus.»

Es würden in manchen Fällen sicherlich auch die genetischen Faktoren eine Rolle spielen, sagt Bräm. Ein zu grosser Wurf und eine überforderte Mutterhündin, wie es in «Merlots» Fall gewesen sei, könne als Ursache für ADHS nicht ausgeschlossen werden. Studien lägen aber nicht vor. «Aber auch zu wenig Welpen sind wegen des fehlenden Kontakts zu anderen Hunden nicht ideal. Die Sozialisierung durch die Mutterhündin, durch den Züchter und den Halter spielt für das spätere Leben des Hundes eine tragende Rolle.»

Auf Medikamente greift Maya Bräm nur dann zurück, wenn sie notwendig sind. «Wichtig ist es, erst die Ursache für das Verhalten herauszufinden, und ebenso wichtig ist es für den Hund, dass es ihm möglich ist, sich zu entspannen», bringt es die Verhaltensspezialistin auf den Punkt. Manchmal braucht der Hund Hilfe beim «Herunterfahren». Sie wende dafür Phytotherapie und die Canine- Bowen-Technik an. Letzteres ist eine sanfte manuelle Therapieform. Die Tierärztin ist aber auch offen für andere Methoden, wie Tellington Touch, Homöopathie und Osteopathie.

Energetisches Gleichgewicht
Ursula Weisgram ist Tiertherapeutin und Kinesiologin für Menschen und Tiere mit eigener Praxis in Gipf-Oberfrick AG. Seit acht Jahren arbeitet sie auf ihrem Beruf. In dieser Zeit habe sie vier Hunde behandelt, bei denen ein Tierarzt ADHS diagnostizierte. «Ob das wirklich ADHS ist, ist fraglich», sagt sie. Sie finde es traurig und erschreckend, wenn Menschenkrankheiten auf Tiere projiziert werden. «Viele Hunde sind schlicht im Dauerstress und meist hat eine Sozialisierung gar nicht stattgefunden.» Hunde würden viel schlafen. Ihre Aktivität während des Tages könne nicht mit der eines Menschen verglichen werden. «Ein Hund muss auch am Tag zur Ruhe kommen können. Er muss nicht dauerbeschäftigt werden», sagt die Kinesiologin.

In der Kinesiologie geht es darum, die Hunde wieder energetisch ins Gleichgewicht zu bringen, den Stress abzubauen und ihnen ein artgerechteres Leben zu ermöglichen. «Schon während der Behandlung kann der Halter sehen, wie sein Hund ruhig wird», sagt Ursula Weisgram. Die Rückmeldungen der vier betroffenen Hundehalter würden ihr auch aufzeigen, dass das hyperaktive Verhalten reduziert werden könne. Aber nur mit Kinesiologie ist dem Hund nicht geholfen. «Es ist ein Zusammenspiel zwischen der Kinesiologie und einer Veränderung im Alltag und des Verhaltens des Hundebesitzers.» Denn oft sei erst durch das Verhalten des Besitzers das ADHS des Hundes entstanden.

Hartnäckigkeit und Liebe
Weisgrams Therapie wird mit homöopathischen Mitteln und Schüsslersalzen unterstützt. Auch das Futter sei ein wichtiger Punkt. Viele Futtermittel enthielten Zusätze in höheren Dosen, die für einen überaktiven Hund schwer abzubauen seien. Sie setzt darum auf die natürliche Rohfleischfütterung.

Auch Susanna Bugmann hat einen Weg gefunden, Merlot wieder bis zu einem gewissen Punkt in die Spur zu bringen. «Wir hatten viel Geduld mit Merlot. Dank Hartnäckigkeit und Liebe ist aus ihm trotz ADHS ein fast perfekter Gentleman mit vielen positiven Eigenschaften geworden.» Merlot litt an einem Milztumor und musste kürzlich im Alter von zehneinhalb Jahren eingeschläfert werden. Er war ein Grund, warum die Familie die Non-Profit-Organisation «Best Friends & Partner» ins Leben rief. Die Organisation hat sich auf individuelle Beratung in Hundefragen spezialisiert. Dies in enger Zusammenarbeit mit einem Team bestehend aus qualifizierten Fachleuten wie Hundetrainern, Präventionsspezialisten, Tierärzten, tierpsychologischen Beratern, Tiertherapeuten, Verhaltensmedizinern und Züchtern.