Viele Hunde scheinen zu wissen, wann ihr Besitzer nach Hause kommt. So wie Mischlingshündin Jaytee, die Anfang der 1990er Jahre in rund 100 videoüberwachten Testläufen zeitig erahnte, dass ihre Besitzerin bald nach Hause kommen würde. Kaum hatte sich ihre Halterin auf den Heimweg gemacht, bezog Jaytee aufmerksam ihren Warteplatz.

Es sieht also ganz danach aus, als ob die Vierbeiner ein Zeitgefühl besitzen. «Ob Hunde allerdings Zeit in unserem menschlichen Verständnis messen, ist fraglich», sagt Hundetrainerin und Tierpsychologin Cinzia Lo Giusto aus Zürich. Für sie leben Hunde viel mehr «im hier und jetzt» als wir Menschen, obgleich sie  ihren eigenen Lebensrucksack mit sich herumtragen.

Zeit riechen, messen und einordnen
Als Mantrailing-Trainerin setzt sich Lo Giusto viel mit der zeitlichen Wahrnehmung von Vierbeinern auseinander. «Der Hund differenziert Gerüche in eine frische und eine ältere Spur, wobei der zeitliche Unterschied nur wenige Sekunden sein kann.» Geruchsinformationen werden somit vom Hund in einen zeitlichen Zusammenhang gestellt.

Möglich ist also, dass Hunde Zeit riechen: Gerüche könnten dem Hund in seinem Alltag als indirekter Zeitmesser dienen, stellt Hundeforscherin Alexandra Horowitz in ihrem Buch «Hund-Nase-Mensch» eine These auf. Anhand des immer geringer werdenden Geruchlevels in der Wohnung könnten die Vierbeiner bestimmen, wann es Zeit für die Rückkehr ihres Besitzers sei. 

Auch Cinzia Lo Giusto kann sich ein odorologisches Zeitgefühl vorstellen. «Da Hunde hauptsächlich in der sogenannten Nasenwelt leben, könnte es gut sein, dass sie die für uns Menschen genannte ‹Zeit› durch geruchliche Veränderungen als ‹zeitunterschiedlich› wahrnehmen.» In der Tat können Hunde über ihren Geruchssinn feststellen, wie lange ein Ereignis zeitlich zurückliegt. Dabei gilt: Je schwächer der Geruch, desto mehr Zeit ist verstrichen.

Selbst Zeitintervalle können Hunde messen. Dies fanden kürzlich Forscher um den Neurowissenschaftler Daniel Dombeck  von der Cornell Universität in den USA heraus. Bereits zuvor war entdeckt worden, dass die Gehirnregion namens Medialer Entorhinaler Cortex bei Säugetieren als eine Art Hauptuhr fungiert. In dieser Region senden laut Dombeck bisher unbekannte Neuronen Signale aus, sobald das Tier auf etwas wartet. Ähnlich wie eine Stoppuhr seien diese «Zeitzellen» beim Warten auf Sendung und stoppten, sobald das Tier in Aktion träte. Dombecks Ergebnisse könnten erklären, warum Hunde sich stärker über die Rückkehr ihres Halters freuen, je länger dieser fort war.

Hungergefühl kommt automatisch
Wissen in einen zeitlichen Kontext einzuordnen verlangt jedoch Fähigkeiten, die lange Zeit nur Menschen zugeschrieben wurden: ein episodisches Gedächtnis. Erst vor kurzem konnte eine weitere Studie zeigen, dass auch Hunde über ein solches verfügen. Die Vierbeiner konnten sich nicht nur an einen Geruch erinnern, sondern auch daran, wo und wann sie ihn wahrgenommen hatten. Ganz allgemein scheinen Hunde ein besseres Gedächtnis zu haben als wir. Schon in der antiken Saga erkannte Jagdhund Argos nach zwanzig Jahren seinen Herrn Odysseus noch. «Hunde können sich an Situationen erinnern und diese, aufgrund der jeweiligen Erfahrung, als positiv oder negativ abspeichern», fügt Lo Giusto hinzu. Dieses basale Zeitgefühl ist Voraussetzung, um in einem sozialen System zu funktionieren.

Hunde nehmen Zeit jedoch nicht ausschliesslich über den Geruch wahr, sie können diese anhand des Sonnenstands oder anderer Anhaltspunkte verfolgen. «Die innere Uhr, der sogenannte Biorhythmus, oder Hinweise von Menschen spielen eine Rolle», sagt Hundetrainerin Cinzia Lo Giusto. Anhand von Gesten wie Hände waschen, anziehen oder unbewusst verwendete gleichbleibende Floskeln, können die Vierbeiner erkennen, was bald passieren wird – und danach die innere Uhr stellen.

Auch ihr Körper lernt, biologische Vorgänge an diese sich wiederholenden Erfahrungen anzupassen. «Füttere ich meinen Hund immer um dieselbe Zeit, meldet sich auch pünktlich das Hungergefühl», erklärt Lo Giusto. Dass es gleich Futter geben wird, erkennen Hunde also nicht an ihrem Wissen, dass es jetzt Futterzeit ist, sondern eben daran, dass sie ganz einfach Hunger haben.