Die Maine Coon gilt als intelligent, verspielt, kontaktfreudig und verschmust, die Siam als gesprächig, anhänglich und eifersüchtig. Ob solche Eigenschaften bei allen Vertreterinnen einer Rasse zu finden und somit in deren Genen verankert sind, ist derzeit noch nicht ausreichend erforscht. Katrin Schuster, Tierpsychologin aus Mettlen TG, hält zumindest einige Verhaltenstendenzen generell für erblich. «Es gibt zum Beispiel klare Zusammenhänge zwischen Optik und Verhalten. Rassen mit sehr gedrungenem Körperbau wie die Perser haben einen ruhigen, fast phlegmatischen, in sich gekehrten, stoischen und gelassenen Charakter.»

Katzen mit orientalischem Einschlag, sehr zierlichem Körperbau und ausgeprägt kantigem Kopf wiederum gelten als aussergewöhnlich gesprächig. Diese Plauderfreudigkeit ist, laut Schuster, sicherlich vererbt, andere Eigenschaften der Orientalen haben immerhin mit hoher Wahrscheinlichkeit einen genetischen Einfluss. «Sie sind oft unermüdliche Energiebündel, extrovertiert, gesellig und menschenbezogen, fast schon aufdringlich. Dies führt mit Katzen anderer Rassen häufig zu starken Konflikten.» Daher gelten die Tiere als eifersüchtig. 

Vererbtes Trauma 
Selbst die Fellfarbe könnte verschiedenen Theorien nach eine Rolle bei der Verhaltens­ausprägung einer Rasse spielen. «Melanin geht in der Synthese einen ähnlichen Weg wie Adrenalin und andere Botenstoffe. Mit der Veränderung der Fellfarben wird daher auch am Erregungssystem des Tieres geschraubt.» Insbesondere in puncto allgemeiner Erregbarkeit, der Neigung zu aggressiven Ausbrüchen, Fluchttendenz sowie Individualdistanz sieht Schuster einen genetischen Einfluss.

Während Hunde jahrzehntelang aufgrund ihrer Nutzung auf Verhalten gezüchtet wurden, konzentriert sich Rassekatzenzucht bisher auf Aussehen. Nur wenige Studien haben sich bisher mit der Vererbbarkeit von Verhalten bei Katzen beschäftigt. So schrieben vor kurzem finnische Forscher Verhaltensweisen der Maine Coon, Ragdoll und Türkischen Van wie Aggressivität, Scheu und Kontaktfreudigkeit in bis zur Hälfte aller Fälle der Vererbung zu. Konkret bedeutet dies: Rund jede zweite Katze hat ein bestimmtes Verhalten von einem Elternteil vererbt bekommen. 

Bei der normalerweise kontaktfreudigen Maine Coon sehen die Wissenschaftler eine teils erblich bedingte Scheu. Eine mögliche Erklärung hierfür sieht Schuster in der Epigenetik. «Vor allem bei Rassen mit geringem Genpool, der zu speziellen Ausprägungen im Verhalten führen kann, können diese familiär bedingt weitergegeben werden.» Spezielle Erfahrungen, die für das betroffene Tier traumatischen Charakter hatten, führen zu einer Anpassung der Alarmreaktion. «Dies auch auf Gen-Ebene.»

Umstrittene Ergebnisse 
«Verhaltensweisen wie Aggressivität oder Kontaktfreudigkeit sind weiträumige Begriffe, die genau umschrieben werden müssten», stellt Schuster die Ergebnisse der genannten finnischen Studie in Frage. Zudem kann ein Verhalten bereits in frühesten Tagen vom Muttertier erlernt werden. Oftmals interpretieren Halter gerade in Problemfällen das Verhalten ihrer Katze auch schlichtweg falsch. Ergibt sich bei der Auswertung eine rassetypische Verhaltensweise, sollte nach Meinung Schusters dies mit entsprechender Vorsicht betrachtet werden. So ging aus der Studie die Türkische Van – ebenfalls konträr zu ihrem Rasseprofil – als genetisch vererbt aggressivste Rasse hervor. 

Abdullah Kaya erstaunt dies jedenfalls enorm. Der Veterinärmediziner ist seit sieben Jahren Leiter des türkischen Forschungsinstitutes für Van-Katzen. Er sagt: «Van-Katzen sind weder aggressiv noch scheu.» Kaya sollte es wissen, züchtet das Institut doch jährlich 200-fachen reinrassigen Nachwuchs mit seinen 250 Katzen. «Die Van geht eine sehr innige und treue Beziehung zu ihrem Besitzer ein, ist trotz ihres freundlichen und anpassungsfreudigen Wesens daher auch eifersüchtig.» Anderen Katzen gegenüber sei sie dominant. Beide Verhaltensweisen könnten laut Kaya von Haltern fälschlicherweise als aggressiv eingestuft werden. Auch seien die Tiere äusserst aktiv, neugierig und höchst intelligent.

Kühne Väter, mutige Kitten
Nach einem unangenehmen Tierarztbesuch sei daher beim Folgebesuch mit heftigem Wiederstand zu rechnen. «Diese Aggressivität ist jedoch erworben und nicht vererbt», sagt Kaya. Sicherlich genetisch manifestiert ist hingegen die Wasserliebe der Rasse. «Türkische Vans gelten im Allgemeinen als nicht wasserscheu und gute Schwimmer», sagt Tierpsychologin Schuster.

Neben den Genen einer Rasse fallen folglich noch andere individuelle Faktoren ins Gewicht. «Die Vererbbarkeit ist nur ein Puzzleteil des Verhaltens. Die Aufzucht, die aktuelle Lebenssituation und verschiedene Erfahrungen im Laufe des Lebens spielen eine erhebliche Rolle bei der Ausprägung des Verhaltens», sagt Schuster. Auch die Tierärztin und ehemalige Ragdoll-Züchterin Sabina Büttner aus Ulmiz FR bezweifelt, dass die Erblichkeit eines Verhaltens konkret von anderen Faktoren abgegrenzt werden kann. Ihre eigenen Katzen entsprechen zwar der Rassebeschreibung. «Neben der reinen Vererbung spielt aber beim Verhalten auch die Sozialisation durch die Umgebung und durch die Mutter eine Rolle.»

Inwieweit genetische Aspekte bei der individuellen Katze überhaupt zum Tragen kommen, hängt letztlich ebenfalls von der Aufzucht und den Erfahrungen ab. Dies hatten verschiedene Züchterstudien gezeigt, als sie den Einfluss väterlicher Gene auf den Charakter ihrer Kitten in puncto Freundlichkeit untersuchten. Es stellte sich heraus, dass kühne Kater zwar oftmals mutige Kätzchen zeugen. Solche sind leichter mit Menschen zu sozialisieren und verhalten sich später Menschen gegenüber freundlicher als schlecht sozialisierte Tiere. Doch solange die restlichen Kitten frühzeitig gut sozialisiert werden, entwickeln selbst scheue Tiere einen freundlichen Charakter. Ursprüngliche Tendenzen sind laut Schuster in der Regel allerdings immer erkennbar. «So wird ein Perser wohl nur mit Mühe für einen kleinen Katzen-Agility-Parcour zu begeistern sein, während ein Siamese dabei kaum zu bremsen wäre.»