Mäuse-Snack
Warum Katzen manche Beutetiere fressen – und andere liegen lassen
Katzen bringen ihre Beute nicht nur gerne mit nach Hause – sie scheinen auch sehr wählerisch zu sein, wenn es um den Verzehr geht. Was dahinter steckt? Wir haben uns auf die Suche nach Antworten gemacht.
Es fiepst an der Balkontür. Der grau getigerte Kater hat mal wieder eine Maus samt Grasbüschel gepackt und steht jetzt laut miauend vor der Glasscheibe. Eine Spitzmaus liegt schon komplett unangetastet auf dem Fussabtreter neben ihm – die hat er vor rund 30 Minuten gebracht. Die neue Beute legt er ebenfalls ab, schiebt Moos und Gras beiseite, dann frisst er sie unter Knochenknacken komplett auf.
Katzenhalter zu sein, ist manchmal wirklich nichts für schwache Nerven. Tote Mäuse, einzelne Organe, mal fehlt nur der Kopf, mal liegt nur noch ein Siebenschläferschweif oder ein zerfetztes Froschbein da. Rund ums Haus hinterlassen Hauskatzen ihre Jagdreste. Aber warum fressen sie überhaupt manche Beutetiere und andere nicht? «Das kann mit dem aktuellen Hungerstand zu tun haben, mit individuellen Vorlieben, aber auch mit negativen Eigenschaften bestimmter Beutetiere oder -teile», sagt der Katzenexperte und Verhaltensbiologe Dennis C. Turner aus Horgen. «Spitzmausarten haben beispielsweise eine Hautdrüsen-Ausscheidung, welche sie für Katzen und wahrscheinlich auch für andere Raubtiere unschmackhaft macht.» Wasser- und Sumpfspitzmaus haben sogar Giftdrüsen und werden deshalb nicht gefressen. Schaut man die Artverwandtschaften genauer an, sind Spitzmäuse gar keine Mäuse und nicht einmal Nagetiere, sondern Insektenfresser, die eher mit Maulwürfen und Igeln verwandt sind. Weil sie sich auf der Jagd aber auf den ersten Blick kaum von echten Langschwanz- und Wühlmausarten unterscheiden und leicht zu fangen sind, greifen Kater und Katze trotzdem zu – und verschmähen den vermeintlichen Leckerbissen erst bei genauerer Betrachtung.
Giftige Beute
Zahlreiche Insekten, Reptilien und Amphibien wie Eidechsen, Blindschleichen oder Frösche, Mäuse, Siebenschläfer, Eichhörnchen und nicht zuletzt Vögel stehen auf der Jagdliste von frei laufenden Katzen. Zwar gibt es in der Schweiz nur wenige giftige Tiere, bestimmte Käfer- und Wanzenarten bekommen Katzen dennoch nicht gut. Mai-, Juni- und Mistkäfer tragen ebenso wie Ohrwürmer etwa das für Katzen unverdauliche Chitin als Hauptbestandteil des Aussenskeletts in ihren Panzern, und Schwarzblaue Ölkäfer sowie Baumwanzen sondern bei Bedrohung giftige Sekrete ab.
In erster Linie seien Katzen Raubtiere. «Der Jagdtrieb wird durch Reize, wie etwa Bewegungen oder Geräusche, in Gang gesetzt, die eine potenzielle Beute ausgestrahlt», so Turner. Gejagt wird zunächst also erst mal alles, was kreucht und fleucht. Der Experte geht davon aus, dass das Wissen darüber, welche Krabbel- und Kleinsäugetiere schliesslich tatsächlich essbar sind, durch natürliche Selektion gefestigt wurde. Dass also evolutionär betrachtet nur diejenigen Tiere überlebt haben, die das Richtige assen und Giftiges verschmähten oder Mechanismen entwickelten, Letzteres wieder loszuwerden. «Vielleicht lernen dies Katzen zum Teil auch durch eigene Erfahrungen wie Bauchschmerzen nach dem Verzehr, wenn das Wissen überhaupt vorhanden sein sollte», sagt Turner.
Ein instinktiver Schutzmechanismus, den Katzen in solchen Fällen häufig nutzen und der ihnen vielleicht schon seit Jahrtausenden das Überleben sichert: Sie übergeben sich, um vermeintlich Verdorbenes oder Unverträgliches wieder aus dem Körper zu befördern. Das in Käferpanzern enthaltene Chitin soll ebenso wie das Sekret von Wanzen sogar einen Brechreiz bei Kater und Katze auslösen. Andere Gifte und Sekrete, wie das der Spitzmausarten und das des Schwarzblauen Öl-käfers, sollen einen so unangenehmen Duft verströmen, dass den Stubentigern der Appetit schon vor dem ersten Bissen vergeht. In der Regel müssen sich Katzenhalter also keine Sorgen machen. Bei Maulschwellungen, Dauerspeichelfluss, anhaltendem Erbrechen oder Atemnot sollte man aber dennoch einen Tierarzt konsultieren, um sicherzugehen, dass sich kein Insektenbein im Rachen verfangen hat und keine allergische Reaktion vorliegt.
Angeboren und unaufhaltsam
Mäuseteile, die häufig den Terrassenboden zieren, sind der saure Magen oder die bittere Gallenblase – nicht, weil sie giftig sind, sondern weil Stubentiger eben auch Feinschmecker sind. Forscher des wissenschaftlichen Forschungsinstituts Monell Center (USA) fanden 2015 heraus, dass sowohl Wild- als auch Hauskatzen sauer, salzig, bitter und umami unterscheiden können. Besonders Bitterstoffe sind laut den Forschenden häufig ein Warnsignal der Natur. Durch diese Geschmackswahrnehmung könnte «die Aufnahme giftiger Bestandteile von Beutetieren verhindert werden, wie sie bei einigen Reptilien und Wirbellosen vorkommen», so Forschungsleiter Gary Beauchamp gegenüber dem Fachmagazin «PLoS One».
Für Tierfreunde, die Katzenhalter ja meistens sind, sind die erlegten Beutetiere und ihre Überbleibsel ein bitterer Beigeschmack, den sie in Kauf nehmen müssen. «Katzen sind Karnivoren (Fleischfresser) und haben als Beutegreifer einen ausgeprägten Jagdinstinkt. Sie verbringen viel Zeit damit, über den ganzen Tag verteilt – mit viel Ausdauer und Geschick – kleine Tiere zu erbeuten, und sie verspeisen diese allein», heisst es in einem Informationsblatt der Schweizerischen Tierärztlichen Vereinigung für Verhaltensmedizin (STVV). Und Katzenexperte Dennis C. Turner sagt: «Das Jagdverhalten ist angeboren – davon abhalten kann man sie kaum bis überhaupt nicht.»
Mit nach Hause bringen Katze und Kater ihre Beute übrigens nicht, um – wie oft vermutet – ihren Haltern ein Geschenk zu machen. Muttertiere bringen Beutetiere lebend nach Hause zu ihren Jungen, um sie an das Jagen und Erlegen heranzuführen. Glaubt man deutschen und britischen Verhaltensforschern, wollen sie auch uns das Jagen beibringen. Vielleicht ist es auch der Wunsch, die Beute in Sicherheit zu bringen und diese dann allein verspeisen zu können, der Kater und Katze mit vollem Maul ins heimische Nest treibt. «Meistens bekommen die Katzen in solch einem Fall ja auch vermehrte Aufmerksamkeit durch die Halter», gibt zudem Dennis C. Turner zu bedenken. «Egal, ob positive oder negative Aufmerksamkeit – das bestärkt dieses Verhalten leider.»
Auch Stubentiger müssen jagenWeil Katzen diesen intensiven Jagdinstinkt in sich tragen, empfiehlt die STVV, die Fütterung reiner Wohnungskatzen spielerisch zu gestalten: «Die Gelegenheit, Futter zu ‹erbeuten›, die Mahlzeiten über den Tag zu verteilen und diese allein zu fressen, ist enorm wichtig für das Wohlergehen von Katzen und beugt nicht nur Verhaltensstörungen, sondern auch Über- und Untergewicht vor.» Futterpuzzles, aus welchen Stubentiger Futter hinausangeln müssen, Leckmatten für feuchtes Futter und Leckerli zu verstecken oder bei einem Klickertraining zu nutzen, sind einige praktische Tipps. «Ganz wichtig sind auch Objektspiele, etwa ein Korkzapfen oder eine Spielmaus an einer Schnur gezogen, damit Stubenkatzen ihren angeborenen Jagdtrieb ausleben können», rät Verhaltensbiologe Dennis C. Turner.
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