Mit geübtem Griff öffnet Eva Gasy­nova das Maul des kleinen Katers und runzelt die Stirn. «Das sieht gar nicht gut aus. Sehen Sie? Das Zahnfleisch ist massiv entzündet», sagt sie und streicht Parson beruhigend über den Kopf. Während der Kater zufrieden zu schnurren beginnt, sorgen die Worte der Tierärztin der Tierklinik Aarau West bei der Katzenhalterin und Autorin dieses Textes für einen gehörigen Schrecken. Eben noch hatte alles gut ausgesehen. Die Bisswunde, der eigentliche Grund des Tierarztbesuches, war gut verheilt und die Katze schien rundum fit und munter. Und nun dies. In Parsons Maul war es offenbar innert kürzester Zeit zu einer bakteriellen Infektion des Zahnfleisches  – in der Fachsprache Gingivitis genannt – gekommen, welche bereits auf die Kieferknochen übergegriffen hat. Abgesehen von einer Entfernung der Zähne gebe es leider keine wirksame Behandlungsmöglichkeit, sagt die Tierärztin. Einzig Schneide- und Eckzähne könne der Kater behalten – und dies auch nur vorerst.

Die Diagnose und die damit einhergehende drastische und kostspielige Massnahme kommen komplett unerwartet. Schliesslich war das Gebiss des Katers beim Tierarztbesuch einen Monat zuvor noch weitgehend in Ordnung. Auch die Tierärztin scheint bei der jüngsten Untersuchung erstaunt über den schlechten Zustand des Gebisses und vergewissert sich noch einmal, ob der Kater wirklich erst vier Jahr alt ist. Gleichzeitig hält die Zahn-Expertin aber fest, dass der Verlauf einer Paradontitis unterschiedlich sein könne.

Häufige Zahnfleischentzündungen
Besonders anfällig seien Patienten mit einer Immunschwäche. Laut Gasynova können dabei verschiedene Viren – Calici, Herpes, Leukose, Immundefizienzvirus (FI) – eine Rolle spielen. Einen kurzfristigen Schutz gegen diese Viren bekommen Katzen nach der Geburt in Form von Antikörpern in der Muttermilch. Längerfristig müssen sie aber geimpft werden. Ein hundertprozentiger Immunschutz ist aber nicht möglich, weil es von jedem Virus verschiedene Varianten gibt.

Zahnfleischentzündungen seien bei der erwachsenen Katze die häufigste Krankheit überhaupt, sagt Gasynova. Die Mehrheit der Tiere habe einen gewissen Grad an Entzündung. Dies sei aber sehr individuell, weswegen das gesunde Tier mindestes einmal pro Jahr zur tierärztlichen Kontrolle und falls nötig zur Zahnreinigung (unter Narkose) kommen sollte. Die Entfernung des Zahnsteins sei wichtig, weil Bakterien auf seiner rauen Oberfläche ideale Wachstumsbedingungen vorfänden, was Zahnfleischentzündungen begünstige. Tatsächlich hatte Parson im Vergleich zur über zehn Jahre alten Zweitkatze im Haushalt sehr viel Zahnstein. Dieser Befund allein erklärt aber nicht, warum sich eine leichte Zahnfleischentzündung innert einem Monat zu einer akuten verlaufenden Paradonitis entwickeln konnte. 

Beeinträchtigtes Immunsystem
Laut Gasynova liegt die Ursache dafür nicht zwingend im Maul der Katze. Vielmehr könnten drei Bissverletzungen, wegen denen der streitlustige oder sozial ungeschickte Kater in den letzten Monaten chirurgisch und mit Antibiotika behandelt werden musste, schuld an dem fatalen Verlauf sein. «Stress kann das Immunsystem beeinträchtigen, sodass es etwa bei der Bekämpfung von Bisswunden zu einer Verschlechterung der Zahnfleischentzündung kommen kann», erklärt die Tierärztin. Dass Parson trotz der massiven Entzündung munter weiterfrass und auch nicht an Gewicht verlor, sei erstaunlich. 

Inzwischen sind einige Wochen vergangen. Parsons Backenzähne wurden entfernt, das Zahnfleisch und die verbliebenen Zähne sahen bei der Kontrolle gut aus und Stress in Form von weiteren Bissen konnte bisher ebenfalls verhindert werden. «Die Prognose ist gut», sagt Gasynova. Durch das Entfernen der Zähne seien die Zahnbelagsbakterien entfernt worden. Weil die verbliebenen Schneide- und Eckzähne aber dieselben Probleme entwickeln könnten, sei eine regelmäs­sige Kontrolle unerlässlich.