Man bezeichnet Katzen auch liebevoll als «Samtpfoten». Zerfetzte Vorhänge, aufgerissene Sofaecken und feine, blutig rote Striemen auf dem Handrücken sind jedoch unmissverständliche Hinweise darauf, dass Katzen Krallen haben – und sie auch benutzen. Kratzt die Katze den Menschen, ist das jedoch meistens keine Absicht: ein bisschen zu heftig getobt, zu intensiv ins Spiel vertieft – und schon ist es passiert. «Viel braucht es dazu nicht, denn die Krallen einer gesunden Katze sind sehr scharf», sagt die Zürcher Tierärztin Saskia von Rotz, die selber trotz aller Vorsicht ein bis zwei Mal pro Monat während der Behandlung von einem renitenten vierbeinigen Patienten gekratzt wird. Desinfizieren und Pflaster drauf reicht in der Regel, richtig tief sind die Kratzer selten. Und der Schmerz ist gleich ein bisschen erträglicher, wenn man sich bewusst macht, dass die Verletzung von kleinen Wunderwerken der Natur verursacht wurde. 

Katzen haben insgesamt 18 Krallen – je fünf an den Vorder- und vier an den Hinterpfoten. Wie unsere Fingernägel bestehen auch Katzenkrallen aus Keratin, einem Material, das in der Natur häufig vorkommt. Es ist auch der Hauptbestandteil von Haaren, Fell, Hufen, Klauen, Hörnern, Schnäbeln, Federn und so weiter. Katzenkrallen wachsen ständig nach, im Durchschnitt rund zwei Millimeter pro Woche. Damit hat es sich aber mit den Gemeinsamkeiten mit unseren Fingernägeln. Krallen bestehen im Wesentlichen aus zwei Hornschichten, einer härteren und einer weicheren, die fest miteinander verbunden sind. Die harte Schicht liegt oben und wächst ein bisschen schneller als die weiche, was der Kralle ihre sichelartige Form gibt. 

Die Krallen lassen sich ein- und ausfahren
Wetzt die Katze ihre Krallen, wird die weichere Schicht schneller abgerieben. Übrig bleibt eine kleine Spitze der harten Schicht, die der Kralle ihre Schärfe verleiht. Nun würden diese 18 scharfen Spitzen aber beim Laufen ziemlich schnell abstumpfen, die Katze in ihren Bewegungen behindern und ihr Geräusch auf dem Boden würde mögliche Beute vorwarnen. Katzenkrallen sind deshalb mit einer weiteren «Extrafunktion» ausgestattet: Sie lassen sich einziehen. Ruht die Katze, bewegt sie sich fort oder schleicht sie eine Maus an, sind die Krallen eingefahren und liegen gut verpackt, gehalten von Sehnen und Bändern, in einer Hauttasche, der Krallentasche oder -scheide. Durch eine Beugesehne, die entlang dem unteren Pfotenende verläuft, kann die Katze ihre Krallen blitzschnell ausfahren. Das ist zum Beispiel bei Sprüngen nötig, beim Klettern, zur Verteidigung, zum Greifen, Fangen und Festhalten von Beutetieren. 

Das Keratingewebe der Kralle wird vom Körper ständig erneuert. In regelmässigen Abständen wird die Krallenhülse abgestossen; man findet sie dann oft unter dem Kratzbaum. Neben den toten äusseren Hornschichten haben Katzenkrallen zur Zehe hin auch ein gut durchblutetes und mit empfindlichen Nerven durchzogenes Innenleben. Falls die Katze es sich gefallen lässt, dass man ihre Pfoten inspiziert, kann man die Krallen durch leichten Druck auf die Fussballen herausdrücken. Da die meisten Katzen transparente Krallen haben, sieht man den lebendigen rosaroten Kern durchschimmern. 

Katzen wissen instinktiv um die Wichtigkeit ihrer Krallen und pflegen sie dementsprechend. Putzen, knabbern und rupfen sie hingebungsvoll an ihren Pfoten herum, dient das auch der Krallenpflege. Dazu kommt das tägliche, ausgiebige Wetzen der Krallen, das ein normales Ausdrucksverhalten des Tieres ist. Es dient nicht nur dem Schärfen der «Waffen» am Zehenende, sondern auch dem Markieren des eigenen Reviers. Dabei werden auch zwischen den Zehenballen sitzende Schweissdrüsen aktiviert. Mit solchen «Duftbotschaften» am bekratzten Objekt markiert die Katze ihre Besitzansprüche zusätzlich. 

Krallen wetzen am Designersofa 
Im Freien hauen die Miezen ihre Vorderpfoten in Baumrinden, Zaunpfähle oder Gartenbänke und bearbeiten diese intensiv. Wohnungskatzen haben das gleiche Bedürfnis, müssen sich dazu aber erst einen geeigneten Gegenstand suchen. Fürsorgliche Katzenhalter statten ihre vier Wände deshalb mit Katzenbäumen, Kratzbrettern und Ähnlichem aus. Trotzdem sind sich Wohnungskatze und Mensch oft nicht darüber einig, wo gekratzt werden soll. Während sich das Büsi magisch zum teuren Designersofa hingezogen fühlt, bleibt der Kratzbaum unbeachtet in der Ecke stehen. Das ist zwar unangenehm, aber keine Verhaltensstörung. 

Die «Therapie» besteht darin, der Katze das Objekt der Begierde unattraktiv zu machen, zum Beispiel indem man die betroffenen Stellen für eine Weile mit Alu- oder Plastikfolie abdeckt, und das Kratzverhalten an den vorgesehen Ort umlenkt. Die vorgesehene Kratzstelle muss katzengerecht sein, dazu stabil und standfest. Mit ein paar Tropfen Katzenminze oder Baldrian wird die Aufmerksamkeit der Mieze auf die gewünschte Stelle gelenkt und sie zum Kratzen angeregt. 

Geht die Katze ins Freie oder bearbeitet sie in der Wohnung ihren Kratzbaum fleissig, dann nützen sich die Krallen wie von der Natur vorgesehen ab und werden nicht zu lang. Bei einer gesunden Katze ist deshalb das Schneiden der Krallen nicht notwendig – sie kümmert sich sehr gut alleine um die Maniküre ihrer Pfoten. 

Krallenschneiden tut nicht weh
«Bei kranken und alten Katzen kann das anders sein», sagt die Tierärztin von Rotz. Ihnen fehlt manchmal die Kraft oder die Beweglichkeit, um die Krallen zu pflegen. Sind sie zu lang, merkt man das am klackenden Geräusch der Krallen auf harten Böden oder daran, dass die Katze ständig am Teppichboden oder an Textilien wie der Schlafdecke hängen bleibt. Wachsen die Krallen nun immer weiter, droht ein Einwachsen in die Haut, was für die Katze sehr schmerzhaft ist. Deshalb ist in diesem Moment der Gang zum Tierarzt angezeigt. Dieser versucht den Grund zu finden, wieso die Katze ihre Krallen nicht mehr wetzen kann und zeigt dem Halter, wie man dem Tier die Krallen fachgerecht schneidet, ohne den lebendigen Teil zu verletzen. Dann ist das Krallenschneiden für die Katze nicht schmerzhaft, da nur die leblose Hornspitze entfernt wird. Eine spezielle Krallenschere aus dem Tierfachhandel leistet dabei gute Dienste. Es kann weitere Gründe geben, die ein Schneiden der Krallen notwendig machen. Zum Beispiel wenn mehrere Katzen in einem Haushalt leben, die sich gegenseitig ernsthaft mit den Krallen verletzen. Auch bei einigen Katzenausstellungen wird das Stutzen der Krallen verlangt.

Das Amputieren oder Wegoperieren der Krallen, das etwa in den USA häufig angewendet wird, ist in der Schweiz per Tierschutzverordnung verboten. Grundsätzlich muss man sich bewusst sein, dass schon das Schneiden der Krallen ein Eingriff in die Natur der Katze ist. Es behindert das Tier beim Lossprinten, Springen und Klettern und nimmt ihm seine natürlichen Angriffs- und Verteidigungswerkzeuge.