Marina W. wunderte sich monatelang über ihre Katze Stella. Seit die schnurrende Hausbewohnerin ihren neunten Geburtstag gefeiert hatte, war sie so lebendig. Marina W. bezeichnete Stella anfangs sogar als ausserordentlich lebenslustig und fröhlich für ihre alten Tage. Doch schon wenige Wochen später wendete sich das Blatt und es war Schluss mit dieser Lustigkeit. Stella wurde reizbar, aggressiv, regte sich bei jeder Kleinigkeit auf, rannte durch die Wohnung, hechelte, wirkte nervös und schreckhaft. Marina W. konnte sich diese seltsame Wesensänderung nicht erklären.

Allmählich wurde Stellas anfängliche Lebenslust zu einer Leidensgeschichte. Die Katze entwickelte Heisshunger und stürzte sich bei jeder Gelegenheit auf den Futternapf. Marina W. konnte sich das nicht erklären, wollte Stella aber keinesfalls hungern lassen und fütterte ab sofort mehr. Doch die logische Konsequenz, dass die Katze einige Gramm zulegen würde, traf nicht ein. Im Gegenteil: Stella frass und frass, wurde aber von Tag zu Tag dünner. Nun war der Tag gekommen, an dem Marina W. zum Tierarzt ging. Und der hatte schnell einen Verdacht.

Alle Symptome, die Stella gezeigt hatte, sind typisch für eine Überfunktion der Schilddrüse. In der Fachsprache heisst dieses Krankheitsbild Hyperthyreose. 1979 wurde erstmals wissenschaftlich darüber berichtet. Seither nimmt die Zahl der miauenden Patienten ständig zu. Drei Therapiemethoden wurden zwar zwischenzeitlich entwickelt, doch die Gründe für das häufige Auftreten einer Schilddrüsenüberfunktion sind noch unklar. Einerseits könnten Umweltfaktoren eine Rolle spielen, andererseits legen Tierärzte immer stärkeres Augenmerk darauf, sodass Hyperthyreose öfter diagnostiziert wird. Vorbeugend jedenfalls, das steht fest, lässt sich nichts unternehmen.

Zu nervös für die Fellpflege
Heute ist Hyperthyreose die häufigste hormonelle Erkrankung bei Katzen ab dem achten Lebensjahr. Die Schilddrüse selbst ist ein aus zwei Lappen bestehendes Organ. Sie liegt an der Unterseite des Halses und schmiegt sich an die Luftröhre an. Die Zellen der Schilddrüse stellen Thyroxin her. Dabei handelt es sich um ein Hormon, das unter anderem die Organe und Zellen zu schnellerer Arbeit anregt, das die Fettverbrennung stimuliert und alle Prozesse anfacht, die Energie benötigen.

Der Heisshunger von Stella passt in dieses Bild: Zu viel Thyroxin kurbelt die Verdauung so stark an, dass für die Energieaufnahme aus dem Futter gar keine Zeit mehr bleibt. Was vorn hereinkommt, wandert inklusive aller wichtigen Nährstoffe ruckzuck hinten hinaus. So nehmen Tiere ab, obwohl sie Unmengen fressen. Besonders nervöse Tiere finden nicht einmal mehr die Ruhe, sich das Fell sorgfältig zu putzen. Katzen mit Schilddrüsenüberfunktion sehen meist recht struppig aus. Die Krankheit resultiert in 95 Prozent der Fälle aus einer gutartigen Vergrösserung der Schilddrüse. In zwei Dritteln der Fälle sind beide Lappen betroffen, beim restlichen Drittel nur einer.  

Wo es ein Zuviel gibt, kann es auch ein Zuwenig geben. Eine Unterfunktion der Schilddrüse verursacht Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit. Diese Hypothyreose ist bei Katzen aber extrem selten. Die Überfunktion kommt hingegen nicht nur häufig vor, sie kann unbehandelt auch sehr gefährlich werden. Je mehr Thyroxin produziert wird, desto aufgeregter wird die Katze. Irgendwann hechelt sie schon bei Kleinigkeiten. Vor allem aber sind Erschöpfung und Herzversagen die dramatischsten Auswirkungen. Die Hyperthyreose kann also sogar tödlich enden.

Die Therapie kann auf drei verschiedene Arten erfolgen. Die gängigste Form ist die Gabe von Tabletten, die die Produktion von Thyroxin hemmen. Katzen müssen sie ein Leben lang nehmen, denn die Überfunktion der Schilddrüse wird nicht geheilt, sondern nur das vermehrt ausgeschüttete Hormon gedrosselt. Diese Therapie ist zielführend und kostengünstig, allerdings kann es auch zu Nebenwirkungen wie Erbrechen kommen. Es dauert eine ganze Weile, bis die optimale Dosis gefunden ist. Für Katzen, die die Einnahme von Tabletten ganz und gar verweigern, kann der Wirkstoff auch in eine Salbe gemischt werden. Diese muss täglich für eine Minute ins Ohr einmassiert werden, damit das Medikament einziehen kann. Damit der Katzenbesitzer aber nicht selbst Salbe über die Haut an den Fingern resorbiert, muss er Handschuhe für die Prozedur tragen.

Teuer, aber effektiv
Die zweite Therapiemöglichkeit besteht in einer Operation. Zu viel der Schilddrüse darf nicht entfernt werden, sonst leidet die Katze nachher an einer Unterfunktion. Der Chirurg muss also einen Teil des Gewebes bestehen lassen. Das wiederum kann aber zu sogenannten Rezidiven führen. Das Gewebe wächst also nach und kann erneut zu viel Thyroxin bilden.

Die dritte Option ist die Radiojodtherapie. Dabei wird der kranken Katze radioaktives Jod gespritzt. Es hat die Eigenschaft, gezielt nur die Zellen in der Schilddrüse zu zerstören, die überschüssiges Thyroxin bilden. Dieses Verfahren heilt die Krankheit vollständig. Nicht einmal Nebenwirkungen sind bislang bekannt. Weil aber die Katzen wegen Strahlenschutzbestimmungen nach der Spritze bis zu zwei Wochen in der Klinik bleiben müssen, ist die Therapie teuer. Durchgeführt wird sie nur in wenigen Tierspitälern, etwa an der Uni Bern.

Marina W. muss sich vom Schock der Diagnose erst erholen und braucht Bedenkzeit. Inzwischen gibt sie Stella die Tabletten und hofft, dass sie diese gut verträgt.