Paco ist ein schöner, kräftiger Kater. Anhänglich und verschmust, sagt Silvia Mettler (Name geändert), die ihn vor einem halben Jahr «adoptiert» hat. Paco sei schon eine Weile im Quartier herumgestreunt, da hätten sie und ihr Mann sich seiner erbarmt und ihn aufgenommen. Doch von da an war der Nachbarschaftsfriede gestört. Der etwa 2-jährige Kater, obwohl kastriert, zeigte sich gegenüber Artgenossen nicht von seiner freundlichen Seite. Immer wieder beschwerten sich andere Katzenhalter bei Mettlers wegen Paco. Er gehe auf ihre Tiere los, manche trauten sich deswegen kaum mehr aus dem Haus. Die Mettlers entschuldigten sich immer wieder, versuchten, Pacos Freigang einzuschränken. «Aber ganz einsperren? Das hätten wir dieser freiheitsliebenden Katze nicht antun können.» Sie rieten den Betroffenen ausserdem, ihren Kater «konsequent und rigoros» mit einem Wasserstrahl von ihren Grundstücken zu verscheuchen. Aber entweder taten sie es nicht oder Paco liess sich davon nicht beeindrucken. 

Eine der Nachbarskatzen schien ihm besonders gut als Opfer zu gefallen. Gemäss deren Halterin knöpfte er sie sich jedes Mal vor, wenn er sie sah. Eines Tages stand die Frau mit einer Tierarztrechnung vor der Tür der Mettlers. Sie habe ihre Katze nach einem Angriff Pacos behandeln lassen müssen, sagte sie. Ausserdem sei Paco kürzlich sogar in das Haus eines Nachbars eingedrungen und habe die dort wohnende Katze übel zugerichtet, was eine tierärztliche Rechnung von gegen 1000 Franken zur Folge gehabt habe. Dabei habe der Kater auch noch so randaliert, dass einiges zu Bruch gegangen sei, berichtete die Frau. Der Goodwill der Anwohner sei nun ausgereizt, dieser Zustand unhaltbar, das Problem müsse definitiv gelöst werden.  

Bei Katzen anders als bei Hunden
Pacos Halter waren entsetzt, «wir hatten natürlich Verständnis für den Unmut». Und sie fragten sich, inwieweit sie für die angerichteten Schäden haftbar gemacht werden konnten. Naturgemäss liefert das Gesetz keine einfachen Antworten, es gibt zu jedem Grundsatz auch noch die Kanns, Wenns und Abers. So haftet nach den Regeln des Obligationenrechts grundsätzlich der Halter für die von seinem Tier angerichteten Schäden. Von einem Hundehalter wird zum Beispiel erwartet, dass er sein Tier im Griff hat. Aber: Der Tierhalter kann sich von seiner Haftung befreien, wenn ihm der Nachweis gelingt, dass der Schaden eingetreten ist, obwohl er alles in seiner Macht Stehende getan hat, um diesen zu verhindern. «Die Gerichtspraxis zeigt, dass an diesen Entlastungsbeweis üblicherweise ein strenger Massstab angelegt wird», sagt Jennifer Marti, rechtswissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Stiftung für das Tier im Recht. «Bei Katzen verhält es sich jedoch etwas anders.» Denn Katzen liessen sich im Gegensatz zu Hunden kaum erziehen und überwachen. 

«Verursacht eine Freigängerkatze etwa Lackschäden an einem fremden Auto oder schleicht sie sich in eine Wohnung und stösst eine teure Vase um, müssen der Autobesitzer respektive der Wohnungsinhaber die Schadenskosten in der Regel selber tragen.» Dasselbe gelte, wenn eine Katze ein anderes Tier oder einen Menschen verletze. Aber, auch in diesem Punkt sieht das Gesetz unterschiedliche Beurteilungsmöglichkeiten für den Einzelfall vor: Ist die Katze eine Wiederholungstäterin, kann der Halter unter Umständen dennoch haftpflichtig gemacht werden. 

Keine Kompromisse möglich
Gesamthaft betrachtet, sagt Marti, sei die rechtliche Situation mit Blick auf die Katzen eher unbefriedigend «und ein juristischer Streit den nachbarschaftlichen Beziehungen natürlich wenig zuträglich». Diesem Problem entgegenwirken könnten Halter von Freigängerkatzen, indem sie die von ihren Tieren verursachten Schäden freiwillig übernehmen. Aber es gebe auch Privathaftpflichtversicherungen, die bis zu einem bestimmten Betrag auch dann für Schäden von Tieren ihrer Versicherten aufkommen, wenn sie es von Gesetzes wegen gar nicht müssten. 

Den Mettlers ging es letztlich nicht darum, Recht zu bekommen. Sie wollten vor allem keine weiteren Auseinandersetzungen mit der Nachbarschaft. Sie bezahlten die Tierarztrechnung und beschlossen, Paco nur noch nachts ins Freie zu lassen. Einen Tag pro Woche wollten sie ihm allerdings den Freigang bei Tag gönnen. Sie dachten, in Absprache mit ihrer Nachbarin, die an diesem einen Tag dafür ihre Katze zu Hause behalten würde, wäre das möglich. Doch die liess sich auf diesen Kompromiss nicht ein. Sie bestand darauf, dass der Kater nur noch nachts rausgelassen werden dürfe. «So sassen wir jeden Morgen wie auf Nadeln, ob Paco pünktlich nach Hause zurückkehren würde und er tat uns so leid, dass er nie mehr bei Tageslicht durch das Quartier streifen durfte.» 

Mettlers kapitulierten schliesslich. Mithilfe von Bekannten fanden sie einen neuen Platz für den Kater und hoffen nun, dass es ihm gut geht und er dort verständnisvolle Menschen um sich hat. «Es hat uns fast das Herz gebrochen», sagt Silvia Mettler, «aber es hätte nie mehr Ruhe gegeben und für Paco wäre das kein Leben gewesen.» Bleibt die Frage, ob es möglich gewesen wäre, auf das Verhalten des Katers einzuwirken und so den Frieden im Quartier wiederherzustellen. 

Ohne den Fall im Detail zu kennen, könne sie natürlich keine konkreten Therapieempfehlungen abgeben, sagt Esther Geisser, diplomierte tierpsychologische Beraterin und spezialisiert auf Katzen. Aber es gebe durchaus Massnahmen, mit denen solche Situationen entspannt werden könnten. Der erste und wichtigste Punkt, den es abzuklären gelte, sei ja bei Paco erfüllt: die Kastration. «Viele Katzen, die durch aggressives Verhalten auffallen, sind nicht kastriert.» 

Im Weiteren stelle sich die Frage: Ist die Katze gesund? Hat sie eventuell Schmerzen? Denn aus Untersuchungen wisse man, dass etwa ein Drittel der Verhaltensstörungen von Schmerzen herrührten, davon wiederum ein Drittel von Zahnschmerzen. Aber auch das kann bei Paco ausgeschlossen werden, denn Silvia Mettler war mehrmals mit ihm beim Tierarzt gewesen. Ein weiterer Grund für übertriebene Kampflust bei Katzen sei Unterforderung: «Es gibt Tiere, die muss man mit viel Spielen auslasten, damit sie nicht aus lauter Langeweile auf andere losgehen.» Zum Beispiel, indem man das Trockenfutter, statt einfach in den Teller zu schütten, in etwas verstecke. Sodass die Katze nur durch geschicktes Fummeln und nicht sofort an ihre Leckerli kommt. 

Mehr Gelassenheit bei Streithähnen
Vielleicht habe aber auch die Besitzerin von Pacos «Opfer» dessen Verhalten durch ihr eigenes verstärkt, sagt Geisser. «Wenn sie beim Auftauchen Pacos signalisierte: Achtung Gefahr!» In einer engen Beziehung könne der Mensch durchaus seine Gefühle auf das Tier übertragen. «Wenn diese Nachbarskatze jedes Mal die Flucht vor Paco ergriffen hat, fand er es allenfalls lustig, sie zu jagen.» Deshalb rät Geisser grundsätzlich zu mehr Gelassenheit bei Katzenstreitigkeiten. Selbstverständlich müsse aber eine Katze sich in der eigenen Wohnung sicher fühlen können. «Dass sie dort noch angegriffen wird, geht gar nicht.» Um das zu verhindern, gebe es verschiedene Vorkehrungen wie eine Katzenklappe mit Chip einbauen, Fenster nur bei Anwesenheit öffnen, aber auch die konsequente Abwehr des Eindringlings mit einem Wassersprüher. Klar ist für Geisser, dass es neben dem Verständnis für das Wesen der Katze die Bereitschaft von beiden Seiten braucht, um Frieden herzustellen. Und sie ist sich sicher: «Wenn man gegenseitig Geduld und Verständnis hat, bringt man das zustande.»