Beat Wampfler hat eine Devise: «Gut geputzt ist halb gefüttert, gut gefüttert ist halb geritten.» Als leitender Tierarzt des Kompetenzzentrums «Nationales Pferdezentrum Bern» (NPZ) weiss er, wie Pferde heutzutage gehalten werden und worauf es ankommt. Ob auch die sogenannten Beistellpferde oder -ponys ausreichend auf ihre Kosten kommen und was es bedeutet, ein solches Leben zu führen, darüber gibt es verschiedene Meinungen.

Ein Beistellpferd oder -pony ist ein Tier, das nicht mehr geritten werden kann, weil es entweder zu alt oder chronisch krank ist. Beistellplätze sind in solchen Fällen sehr beliebt, versprechen sie doch die klassische Win-win-Situation für alle Beteiligten: Der Käufer kommt günstig an einen Sozialpartner für sein Reit-, Fahr- oder Sportpferd; der Verkäufer weiss seinen Liebling gut untergebracht, ohne selbst auf hohen Kosten zu sitzen, und das Beistellpferd selbst darf seinen Lebensabend in Ruhe und Gesellschaft geniessen. 

Doch die vermeintliche Ideallösung entpuppt sich mitunter als genaues Gegenteil. Etwa, wenn das Pferd anders eingesetzt wird, als ursprünglich abgemacht, und viel stärker beansprucht wird, als es sein Gesundheitszustand erlaubt. Oder aber es wird vernachlässigt und medizinisch nicht optimal versorgt. Schliesslich sind die Tierarztkosten gerade bei älteren und kranken Tieren nicht zu unterschätzen.

Es komme auch vor, dass junge und gesunde Tiere als Sozialpartner herhalten müssten, erzählt Maja Huckmüller*, die in der Westschweiz eine Pferdepension leitet: «Wir haben zwei Pferdeboxen – und ein Pony angeschafft, damit das Pensionspferd nicht alleine ist», erzählt sie. «Ursprünglich wollte der Pensionär das Pony regelmässig ausführen und zureiten. Und so erfolgte die Anschaffung aufgrund von Vertrauen, dass das Pony nicht zu kurz kommt.» Das Vertrauen wurde jedoch missbraucht, Huckmüller spricht von einer trostlosen Haltung. Daher hat sie sich dazu entschieden, das Pony wieder zu verkaufen. 

Gefahr der Vernachlässigung
Andrea Amacher aus Wengi bei Büren BE hat positivere Erfahrungen gemacht. Sie hatte ihr 22 Jahre altes Pferd Sahir einem langjährigen Kollegen als Beistellpferd zur Verfügung gestellt. Da sie es ab und zu besuchte, sah sie, dass es ihm gut ging, es nach draussen kam und gepflegt wurde. «Ich wusste, dass der neue Halter ein guter Pferdemensch ist und es Sahir gut hat. Ich habe von meinen Pferden Sahir gewählt, da er am anpassungsfähigsten ist», sagt sie und spricht damit einen wichtigen Punkt an. Denn für eine funktionierende Partnerschaft sollte man nicht nur auf den Charakter des Käufers achten, sondern auch auf den des Pferdes. Ist es gut sozialisiert? Möglichst robust und unkompliziert? Und wie bei jeder neuen Partnerschaft sollten die Charaktere zusammenpassen, sonst klappt es weder bei Mensch noch beim Ross. 

Beat Wampfler vom NPZ sieht eine weitere Parallele zur Menschenwelt und verweist auf ein Leben im Seniorenheim. Das Wichtigste sei doch, in dieser Lebensphase ausreichend Essen, Medikamente, eine gute Behandlung und vor allem Aufmerksamkeit zu haben. «Wie der Mensch lebt auch das Pferd nicht von Brot allein», sagt der Fachmann, der vor allem bei der Aufmerksamkeit oft Defizite sieht. Pferde wollten gefordert werden, sowohl geistig als auch körperlich, damit sie zufrieden sind. Da die Halter aber oft wenig Zeit hätten, gäbe es diesbezüglich in der Pferdehaltung generell grosse Defizite. 

Und da Begleitpferde in der Regel nicht mehr so fit sind und man ihnen dadurch nicht durchs Reiten oder anderweitiges Training Aufmerksamkeit zukommen lassen kann, sei bei ihnen das Risiko der Vernachlässigung noch höher. Ausserdem werden die Pferde laut Wampfler immer schmutziger. Das Zauberwort – vor allem bei Begleitpferden – heisst also Putzen. Bei einer Viertelstunde täglicher Reinigung entstünde nicht nur eine Bindung, sondern das Tier bekäme die benötigte Zuneigung und würde sogar ein Stück weit gefordert, da ihm Grenzen gesetzt würden. Denn auch wenn es einfach aussieht: ruhig dazustehen und nicht zu schubsen, will gelernt sein.

Betrügereien mit Beistellpferden 
Ein weiteres Risiko scheint die vermeintlich gewachsene Kriminalität bei Beistellpferden zu sein. Auf unzähligen Internetseiten tummeln sich Berichte über Betrügereien mit Beistellpferden. Daneben befinden sich die häufig verzweifelten Hilferufe von Menschen, die ihr Pferd suchen. Denn wer sich um einen Beistellplatz bemüht, um seinem geliebten Vierbeiner einen entspannten und geselligen Lebensabend zu ermöglichen, erkundigt sich auch nach dessen Wohlbefinden.

Ist das Pferd plötzlich nicht mehr da, ist die Verwirrung gross und die Vermutung naheliegend, dass der Käufer ein Pferdehändler ist. Was mit dem Tier passiert, lässt sich selten nachvollziehen. In einigen Fällen findet es sich auf Kleinanzeigen-Portalen wieder, auf denen ein gemütlicher Pferdesenior als leistungsfähiges Sportpferd angepriesen wird. Oft können die zweckentfremdeten Tiere dann nach Hause geholt werden. Doch meistens verläuft die Suche im Sand. Sogar Metzger sollen bereits unter die Gauner gegangen sein und abgehalfterte Pferde als Beistellpferde verkaufen. 

Wampfler, Huckmüller und Amacher haben von solchen Fällen noch nie persönlich etwas mitbekommen. Dennoch hat sich mittlerweile das ein oder andere Netzwerk für vermisste Pferde gebildet; Online-Plattformen, die Fotos veröffentlichen und Reiter miteinander vernetzen. Beat Wampfler bleibt jedoch gelassen und verweist darauf, wie schwierig solche Betrügereien im Zeitalter des Internets und der Chippflicht geworden seien. Und letzten Endes muss man sein Pferd nicht gleich verkaufen, sondern kann es wie Andrea Amacher «verleihen». Wer dann noch einen Nutzungsvertrag verlangt, schreckt Betrüger ab.

* Name geändert