Beduinen, Indianer sowie Sinti und Roma schwörten darauf: Anzahl, Konstellation und Form der Haarwirbel bestimmten den Wert eines Pferdes und somit seinen Preis. Was aus dem Reich der Legenden anmuten mag, bekräftigt die bekannte Pferdetrainerin Linda Tellington-Jones mit ihrer aktuellen Charakterlehre. Sie untersuchte an über 1500 Pferden insbesondere die Zusammenhänge zwischen ihren Stirnwirbeln und Eigenschaften.

Folgende Persönlichkeiten hat Tellington-Jones anhand der Wirbel beschrieben: Pferde mit einem Wirbel zwischen oder über den Augen haben meist einen unkomplizierten Charakter. Ist der Wirbel etwas zum rechten Auge hin verschoben, kann das Pferd ein wenig schwierig, aber immer noch vertrauenswürdig sein. Pferde, bei denen sich dieser Wirbel etwas mehr links befindet, arbeiten oft etwas weniger gern mit. 

Befindet sich ein einzelner Haarwirbel unterhalb der Augen, lässt dies auf spezielle Intelligenz des Pferdes schliessen. Ein einzelner langer Wirbel zwischen und bis weit unter die Augen reichend, steht in der Regel für ein zum Menschen ausserordentlich freundliches Pferd.

Komplizierter sind laut Linda Tellington-Jones die Charaktere von Pferden, die mehr als einen Stirnwirbel aufweisen. Stehen zwei Wirbel neben- oder übereinander (gerade oder in einem Winkel) deutet dies auf ein Pferd, das überdurchschnittlich emotional und heftig reagiert. Auch kann es zwei gegenteilige Verhaltensmuster zeigen und zwischen diesen plötzlich wechseln. Im Allgemeinen sind solche Pferde aufgrund ihrer vielschichtigen Persönlichkeit für unerfahrene Reiter ungeeignet. 

Wuchsrichtung gleich Laufrichtung
Selten begegnet man einem Pferd mit drei Stirnwirbeln. Bei Stuten und Wallachen lässt das auf eine vielschichtige, aber nicht auf eine unberechenbare Persönlichkeit schliessen. Anders bei Hengsten, die mit dieser Konstellation oft gefährliches Verhalten zeigten. Es erstaunt also nicht, dass die Beduinenzüchter für Pferde mit zwei und mehr Stirnwirbeln nichts übrig hatten. Hatte ein Pferd jedoch zwei Fellwirbel rechts und links des Mähnenkamms, galt dieses als «mit dem Daumenabdruck des Propheten» gesegnet und als besonders treu.

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 Im Equidenpass werden sämtliche Wirbel mit einem 
 Kreuz eingetragen.                            Bild: Ruth Müller  

Es ist spannend, beim eigenen Pferd zu beobachten, ob diese Erfahrungen auch bei ihm zutreffen. Jedoch gilt selbstverständlich: Ausnahmen bestätigen die Regel. Und man sollte sich hüten, ein Pferd nur anhand seiner Haarwirbel einzuschätzen. Auch die Prägung als Fohlen, die Aufzucht sowie Haltung und Nutzung beeinflussen die Pferdepersönlichkeit. Fakt ist: Es gibt keine zwei Pferde, die absolut identische Wirbel haben. Deshalb sind sie bei der Identifikation von grosser Bedeutung. Insbesondere wenn ein Pferd über keine weissen Abzeichen verfügt. Im Equidenpass werden sämtliche Wirbel mit einem Kreuz eingetragen.

Ein Forscherteam der irischen Universität Limerick glaubt, dass an der Wuchsrichtigung der Stirnwirbel die bevorzugte Laufrichtung von Pferden ablesbar sei. Von 219 beobachteten Spring- und Rennpferden liefen 104 Tiere lieber linksherum, bei drei Viertel wuchs der Stirnwirbel gegen den Uhrzeigersinn. Von den 95 Pferden, die lieber rechtsherum laufen, besassen 64 einen nach rechts drehenden Wirbel. Die 20 Pferde, die keine bevorzugte Laufrichtung zeigten, hatten entweder zwei Wirbel mit entgegengesetzter Wuchsrichtung oder einen Wirbel, von dessen Zentrum aus die Haare gerade wegwuchsen. 

Die irischen Wissenschaftler vermuten, dass die Wuchsrichtung des Wirbels und die bevorzugte Laufrichtung die asymmetrische Entwicklung des Gehirns widerspiegeln. Die Entwicklung von Gehirn und Haaren verläuft parallel und wird möglicherweise von denselben Genen gesteuert.