Jeder Züchter hat das Ziel, seine Tiere so nah wie möglich am gültigen Rassestandard zu züchten. Die Standards werden dabei in der Regel von den jeweiligen Standardkommissionen in Absprache mit den Klubs formuliert. Das hat den Vorteil, dass das Ziel zusammen gesteckt und vor allem von allen anerkannt wird. Eine wichtige Stütze dieses Systems ist das Bewertungssystem. Denn nur wenn Standards regelmäs­sig überprüft werden, ergeben sie Sinn.

Die Bewertung erfolgt in Europa durch speziell ausgebildete Preisrichter. In der Regel dauert die Ausbildung mehrere Jahre – mindestens drei. Schon während der Ausbildung gibt es Zwischenprüfungen. Erst wenn eine theoretische und praktische Abschlussprüfung gelingt, darf man Tauben bewerten. Wie überall in der Tierzucht sind es auch beim Rassegeflügel meistens erfolgreiche und jahrelange Züchter, die die Preisrichterlaufbahn einschlagen. Das hat den Vorteil, dass sie sich in die Tiere und in den Züchter hineinversetzen können. Selbstverständlich bewerten die Preisrichter die Tauben nach dem Standard. Eine intensive Schulung ist unverzichtbar, wenn es darum geht, im Hinblick auf die vielen Rassen und Farbenschläge immer auf dem neuesten Stand zu sein. 

Taubenzüchter sind keine Preisjäger
Die Arbeit der Preisrichter ist also unverzichtbar, wenn es um die Fortschritte der Zucht geht. Es ist daher logisch, dass man auch einmal bei anderen Tierzuchtverbänden schaut, wie dort das System funktioniert. Interessanterweise werden die Bewerter auch dort fast immer als Preisrichter bezeichnet. Für die Züchter ist das kein Problem und die Bezeichnung Preisrichter auch nicht negativ besetzt. 

Nun gibt es aber Personengruppen, die das anders sehen. Vor allem das «Preis» im Namen, hat für sie ein negatives Image. Sie sind der Ansicht, dass dadurch deutlich wird, dass Rassetaubenzüchter anscheinend ihrer Freizeitbeschäftigung nachgehen, um mit ihren Tauben Preise zu erringen. Das Ganze gipfelt manchmal sogar darin, dass Taubenzüchter als Preisjäger verunglimpft werden. Abgesehen von der Tatsache, dass das nicht stimmt, sollte man die Bezeichnung einmal genauer anschauen.

Die organisierte Taubenzucht wurde einmal ins Leben gerufen, um Tauben nach einem festgelegten Standard zu züchten. Im Gegensatz zu anderen Tierarten, bei denen Leistungsmerkmale wesentlich stärker betont werden, waren das bei Tauben schon immer eher äusserliche Merkmale. Daran ist auch nichts Verwerfliches. 

Keine Körung für Tauben
Auch schon immer haben die Züchter ihre Ergebnisse präsentieren wollen, um sie einem grösseren Publikum zu zeigen. Also alles so, wie es heute noch der Fall ist. Durch den Vergleich mit den Tauben anderer Züchter ergab sich eine Reihenfolge, welche Taube dem Zuchtziel am nächsten kommt. Um dem Züchter eine Anerkennung zu geben, wurden Preise vergeben. Wertvolle Pokale etwa sind noch heute Zeitdokumente, welchen Stellenwert die Tierzucht bereits früher hatte. Das sieht man auch daran, dass besonders hochstehende Persönlichkeiten oftmals diese Preise gestiftet haben. 

Mit grosser Wahrscheinlichkeit hat sich aus der Tätigkeit zur Erstellung einer Preisreihenfolge der Name Preisrichter entwickelt. Grössere Gedanken dazu hat man sich vermutlich nicht gemacht. Die Taubenzucht hatte ein so hohes Ansehen, dass das kein Problem darstellte. Taubenzüchter können also durchaus bewusst damit umgehen.

Neben der Bewertung hat die Körung einen hohen Stellenwert in der Tierzucht. Sie ist sozusagen die Fortführung der Bewertung. Auch wenn es bei der Taubenzucht keine Körung gibt, sollte man sich diesen Begriff einmal genauer anschauen. Schliesslich ist es sinnvoll, dass Tauben nicht gekört werden. Die Körung ist nämlich die amtliche Zuchtfreigabe eines Tieres. Dabei wird das Tier nach dem Standard bewertet, ein Protokoll erstellt und dann die Freigabe erteilt oder eben nicht. Nicht selten wird bei der Körung eine Leistungsprüfung vorangestellt. Nur wenn diese mit Erfolg bestanden wird, ist eine Körung möglich. 

Den Zuchtverbänden und dem Staat war es immens wichtig, dass nur die leistungsfähigsten Tiere zur Zucht zugelassen wurden. Das ist auch verständlich. Hing doch in früheren Zeiten zum Beispiel die Ernährungslage, das Wohl und Wehe der Bevölkerung und damit die staatliche Stabilität ganz entscheidend damit zusammen. Das war sogar derart wichtig, dass Körgesetze erlassen wurden. Im Gegensatz zu heute, wo gentechnische Untersuchungen der Elterntiere fast die Regel sind, war das früher anders. 

Der Züchter ist der Körmeister
Immer wieder haben sich Züchter über das Körgesetz hinweggesetzt und ungekörte Vatertiere verwendet. Darüber ist man heute fast froh. Sind damit doch Rassen erhalten geblieben, die dem Staat ein Dorn im Auge waren. Man war der Ansicht, dass man mit moderneren Rassen besser fährt. In der Zwischenzeit hat man den Vorteil einer Rassenvielfalt erkannt und das Schlagwort Biodiversität ist in aller Munde. 

Gerade bei Tierarten, bei denen von einem Vatertier grosse Nachzuchtzahlen erzielt werden können, haben die Körung und die Leistungsprüfung ihre Berechtigung. Der gravierende Unterschied zwischen Phäno- und Genotyp muss nämlich immer beachtet werden. Was nützt zum Beispiel in der Rinderzucht ein wunderschöner Bulle, wenn er schlechte Euter bei den Kühen vererbt? Natürlich muss man auch bei Tauben genau unterscheiden, wie die Taube aussieht und was sie vererbt. Die Folgen sind aber bei weitem nicht so massiv für die gesamte Rassenentwicklung.

Ein Züchter wird dennoch ganz genau beobachten und eventuell aufschreiben, wie die Vererbung bestimmter Merkmale vonstatten geht. Insofern ist der Züchter quasi der Körmeister. Er entscheidet alleine, ob die Taube in die Zucht geht. Er ist dann aber auch für den Erfolg beziehungsweise Misserfolg alleine verantwortlich. Ein Abwälzen der Verantwortung ist demzufolge nicht möglich. Lediglich der Preisrichter gibt eventuell Hinweise, die sich aber meistens auf das Erscheinungsbild der Taube beziehen. Aus diesem Grund sind die Preisrichter auch keine Körmeister oder gar Zuchtrichter. Sie haben weder mit der Körung, noch mit der aktiven Zucht etwas zu tun. Diese Vorgehensweise ist eine absolute Erfolgsgeschichte. Eine Änderung ist deshalb nicht nötig.