Tauben sind Nesthocker und in den ersten Lebenswochen auf ihre Eltern angewiesen. In der Regel sorgen die Elterntiere gewissenhaft für sie. Das heisst, dass sie die Jungen nicht nur hudern und wärmen, sondern auch ausreichend füttern. Irgendwann kommt aber die Zeit, in der die Jungtauben in die Unabhängigkeit entlassen werden. Taubenzüchter sprechen hier vom Absetzen der Jungtiere.

Interessant ist in diesem Zusammenhang der Zeitpunkt. Hier gehen nämlich die Meinungen der Züchter zum Teil weit auseinander. In der Fachliteratur wird ein Zeitpunkt zwischen dem 26. und 28. Lebenstag als normal angesehen. Die Angaben beziehen sich aber immer auf Brieftauben. Der Vielfalt der Rassetauben, die sich zum Teil im Federreichtum und der Grösse gravierend unterscheiden, ist damit nicht gedient. Auffallend ist dabei, dass die Federfülle wesentlich weniger Einfluss auf das Absetzalter hat als die Grösse. Züchter von sehr grossen Taubenrassen können davon ein Lied singen. Übrigens kommen die Alttauben mit diesem Sachverhalt sehr gut zurecht. Sie schreiten normalerweise erst dann zur nächsten Brut, wenn die vorherigen Jungtiere fast selbstständig sind.

Das Absetzen ist auch sinnvoll, um die Jungtauben vor Alttieren zu schützen
Da man sich mit Angaben um den richtigen Absetzzeitpunkt schwertut, hat sich eine Regel durchgesetzt: Sind die Federn an den Körperflanken, die der Flügel deckt, offen, ist das richtige Alter erreicht. Zu diesem Zeitpunkt werden die Jungtauben aus dem Zuchtschlag genommen und in den Jungtierschlag gesetzt.

Bleiben die Jungtauben bei den Alttieren, kann es vorkommen, dass sie unterdrückt werden. Das geschieht aber weniger durch die Eltern, sondern durch die anderen Alttiere im Zuchtschlag. Die Jungtauben können sich also nicht so entwickeln, wie man es sich vorstellt. Im schlimmsten Fall kann es sogar vorkommen, dass die Jungtauben massiv verletzt werden. Bei manchen Rassen hat das Absetzen also auch eine Schutzfunktion. Je nachdem, wie gross das Aggressionspotenzial einer Taubenrasse ist, müssen die Jungtiere also früher abgesetzt werden.

Vielleicht sollte man aber trotzdem versuchen, die Jungtiere länger bei den Alttieren zu lassen. Je länger die Jungen von den Alten gefüttert werden, desto besser schaffen sie den Sprung in die Unabhängigkeit, da die Grundlagen üppiger sind. Manche Züchter gehen deshalb dazu über, und stellen im Taubenschlag einen Käfig auf. Üblicherweise wird dieser unter der untersten Nistzellenreihe aufgestellt. Der Abstand der einzelnen Käfigstäbe ist dabei so breit gewählt, dass die Jungtiere den Kopf zum Füttern herausstrecken können, fremde Alttiere aber nicht hineinkommen, um die Jungen zu verletzen. Als Nachteil ist hier anzusehen, dass die Jungtauben aus dem Käfig nicht herauskommen, um sich früher oder später in die Schlaggemeinschaft zu integrieren.

Bei sehr kräftigen Rassen geht man deshalb sogar dazu über, den Stababstand so zu wählen, dass die Jungtiere hinein- und heraus können, die Alttiere aber nicht. Bezüglich des richtigen Abstandes muss man mit den Züchtern der jeweiligen Rasse sprechen, um den Jungtieren auch den nötigen Schutz bieten zu können. Eine Alternative dazu ist ein flaches Brett auf einem Unterbau. Die Höhe ist dabei so zu wählen, dass lediglich die Jungtauben sich darunter verkriechen können.

«Teenager-Phase» mit Machtansprüchen
Hat man sich dazu entschlossen, die Jungtauben abzusetzen, muss man besonders auf der Hut sein. Es kann nämlich vorkommen, dass der Übergang ins Erwachsenenalter nicht rund läuft. Kommt es hier zu einer Störung der Entwicklung, dauert es unter Umständen lange, bis wieder alles in geregelten Bahnen verläuft.

Vor allem bei den Jungtieren der ersten Brut ist normalerweise alles in bester Ordnung. Sie kommen in einen leeren Jungtierschlag, und die Kontrolle ist kein Problem. Es fällt sofort auf, wenn eine Jungtaube mit zugekniffenen Augen herumsitzt. Ein sicheres Indiz, dass sie das Wasser noch nicht gefunden hat. Da hilft dann nur, ihr den Schnabel in die Tränke zu strecken, wo sie dann sofort gierig trinken wird. Auch erkennt man bei entsprechend knapper Fütterung, ob alle Jungtauben zum Trog kommen. Bleibt eine Taube abseits stehen, kann man davon ausgehen, dass mit ihr etwas nicht stimmt.

Die Entwicklung der Tauben geht aber rasend schnell, sodass man es bald mit «randalierenden Teenagern» zu tun hat. Die jungen Täuber beanspruchen ein kleines Revier, gurren mächtig und vertreiben die anderen von den begehrten, hoch liegenden Sitzplätzen. Je weiter das Jahr vorangeschritten ist, kommt es sogar zur ersten Paarbildung. Die Probleme, die sich dann ergeben, wenn man im nächsten Zuchtjahr ein solches Paar trennen möchte, würden ein Buch füllen.

Wird die nächste Brut dann abgesetzt und zu den bereits im Jungtierschlag sitzenden Tauben gesetzt, können viele Probleme vorprogrammiert sein. Die nun «Jungen» müssen sich gegen die Halbstarken der ersten Brut durchsetzen. Je mehr Bruten also in einen Schlag gesetzt werden, desto schwerer werden die Auseinandersetzungen und desto schwerer wird der Stand der letzten Brut. Der Idealfall wäre also, dass jede Brut einen speziellen «Extra-Schlag» hat und früher oder später sogar noch die Geschlechter getrennt werden können. Doch die wenigsten Züchter haben die Möglichkeiten für so viel Platz.

Ein «Babyschlag» kann sinnvoll sein
Man braucht deshalb aber nicht den Kopf in den Sand zu stecken. Die Züchter haben mit der Entwicklung des Babyschlags nämlich eine geniale Lösung gefunden. Dabei ist der Begriff «Babyschlag» übertrieben. In den meisten Fällen verwenden die Züchter dazu einfach eine grössere Ausstellungsbox. Darin werden die frisch abgesetzten Jungtauben für ungefähr eine Woche gehalten. Hier lernen sie selbstständig zu fressen, was sich sehr bewährt hat, und zwar unabhängig davon, ob vorher eine Nistzellenfütterung stattgefunden hat oder nicht.

Bezüglich der Tieranzahl pro «Babyschlag» gehen die Meinungen auseinander. Favorisieren die einen die gesamte Anzahl der Jungtiere, meinen die anderen, ein einzelnes Jungtier pro Box liesse sich am besten kontrollieren. Zwei Jungtiere pro Box abzusetzen, hat den Vorteil, dass sich die beiden Jungtiere gegenseitig zum Fressen anhalten – ein natürlicher Konkurrenzdruck also. Diese einleuchtende Vorgehensweise erfährt sehr viel positive Resonanz.

Haben die Jungtiere das selbstständige Fressen gelernt und haben sie die nötige kräftigere Statur, setzen sie sich auch im Jungtierschlag besser durch. Sie haben einen besseren Start ins Erwachsenenalter – eine Grundvoraussetzung für einen späteren Erfolg als Zucht- und Ausstellungstaube.

[IMG 2-3]