Für den Urmenschen muss es mühsam gewesen sein, alle Sippenmitglieder satt zu bekommen. Nebst der Jagd war das Sammeln lange die einzige Möglichkeit, Nahrung zu beschaffen. Um 8000 v. Chr. begann dann eine grosse Veränderung: die neolithische Revolution. Denn durch das gezielte Anbauen und Vermehren von Nutzpflanzen konnten nach und nach mehr Menschen pro Fläche ernährt werden als bisher. Wo einst eine einzige Person ein Gebiet von etwa 20 Quadratkilometern brauchte, auf dem sie nach Nahrung suchte, konnten jetzt von dieser Fläche gut 6000 Menschen leben. Seinen Ursprung hat der Ackerbau im Fruchtbaren Halbmond, einem sichelförmigen Gebiet am Persischen Golf, welches damals wesentlich niederschlagsreicher war als heute. Die ersten dort angebauten Pflanzenarten waren Emmer (Triticum boeoticum bzw. T. dicoccum) sowie Einkorn (T. monococcum), die Vorfahren vieler Getreidesorten, inklusive des Hartweizens (T. durum) und des Dinkels (T. aestivum). Heute ist Weizen das beliebteste Feldprodukt der Schweiz und hält mit fast 530 000 Tonnen pro Jahr den Ernterekord.

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Auch Linsen gehören zu den frühsten angebauten Kulturpflanzen der Welt. Abstammend von der Wildlinse (Lens orientalis) aus Kleinasien war sie zum Beispiel die Nahrungsgrundlage im Alten Ägypten. Auch die Erbse (Pisum sativum) wurde früh als wichtiger Proteinspender sowie Futtermittel für Nutztiere im Fruchtbaren Halbmond angebaut. Ab etwa 5000 v. Chr. wurden dann Linsen und Erbsen auch bei uns beliebt und schliesslich zusammen mit Getreide schnell zu Grundnahrungsmitteln.

Aus eins mach fünfzehn

Nach Getreide, Hülsenfrüchten und später diversen Salatsorten wurde in Griechenland und Italien dann im 3. Jahrhundert v. Chr. erstmals Kohl kultiviert. Der Wildkohl (Brassica oleracea) ist ein gelb blühender Kreuzblütler, der ursprünglich einst in verschiedenen Küstenbereichen Europas heimisch war. Bis heute sind aus der Pflanze fünfzehn verschiedene Formen gezüchtet worden, deren Teile unterschiedlich genutzt werden (siehe unten). Kohlrabi und Mehrstammkohl wurden vom römischen Gelehrten Plinius bereits wenige Jahre nach Christus erwähnt; feste Kohlköpfe tauchten wesentlich später zu Zeiten der Universal-gelehrten Hildegard von Bingen im 11. Jahrhundert auf. Broccoli und Blumenkohl stammen aus Kleinasien und wurden während der Kreuzzüge als Samen nach Italien gebracht. Ab dem 15. Jahrhundert ergänzten sie die Speiseteller während des Übergangs vomMittelalter in die Neuzeit auch in Zentraleuropa. Als letzte Kohlsorte hielt der Rosenkohl in die Schweizer Küchen Einzug, wo er Anfang des 19. Jahrhunderts zu einem beliebten Wintergemüse wurde. Heute werden weltweit jährlich über 70 000 000 Tonnen Gemüsekohl geerntet, davon rund 44 000 Tonnen in der Schweiz.

Von der Blüte bis zur Knolle

Ebenfalls zur Gattung Kohl (Brassica) gehört der Raps, der schon von den Römern für den hohen Ölgehaltseiner Samenkörner bekannt war. Die Rübse (Brassica napus) genannte Urform der Pflanze wurde in Indien ab 2000 v. Chr. kultiviert, in Zentraleuropa seit dem 14. Jahrhundert. Während die Samen vor allem zur Gewinnung von Lampenöl verwendet wurden, sind die Blüten als wichtige Nektarquellen für Bienen in der Imkerei noch heute von grosser Bedeutung. Die Stängel und Blätter einiger Zuchtformen sind essbar, so beim Rübstiel, Chinakohl, Pak Choi und Stängelkohl. Bei einer Unterart des Rapses handelt es sich um die Steckrübe, auch Kohlrübe genannt. Sie tauchte im 17. Jahrhundert zum ersten Mal in Zentraleuropa auf und wurde wahrscheinlich in Skandinavien gezüchtet. Die Knolle galt in Notzeiten oft als Nahrungsreserve für einen grossen Teil der Bevölkerung, so auch während des Ersten Weltkriegs im Winter 1916/17 in Deutschland. Heute wird Raps primär zur Gewinnung von Speiseöl und als Bioenergieträger angebaut, während die Steckrübe als Gemüse an Bedeutung verloren hat.

Zuchtformen des Gemüsekohls
Mit den genutzten Pflanzenteilen:
• Blattkohl/Staudenkohl (Blätter)
• Blumenkohl (Blütenstände)
• Broccoli (Blütenstände)
• Grünkohl (Blätter)
• Kohlrabi (verdickte Sprossachse)
• Markstammkohl (Blätter und Sprossachse)
• Palmkohl (Blätter)
• Rippenkohl (Blätter)
• Romanesco (Blütenstände)
• Rosenkohl (Blätter der gestauchten Seitensprossen)
• Rotkohl (Blätter des gestauchten Sprosses)
• Spitzkohl (Blätter des gestauchten Sprosses)
• Strauchkohl/Baumkohl (Blätter)
• Weisskohl (Blätter des gestauchten Sprosses)
• Wirsing (Blätter des gestauchten Sprosses)

Von der Wilden Möhre zum Rüebli

Und bereits rund um Christi Geburt wurde die Wilde Möhre (Daucus carota) im antiken Rom und Griechenland dokumentiert und vom griechischen Arzt Pedanois Dioskurides um 60 n. Chr. als Heilpflanze gegen viele Beschwerden wie Geschwüre und Ödeme beschrieben. Im 6. Jahrhundert dann wurde das schriftliche Werk Dioskurides mit der ersten bekannten zeichnerischen Abbildung einer Möhre versehen. Wilde Möhren sind in Europa weit verbreitet, weshalb es kaum nachzuvollziehen ist, ab wann sie tatsächlich gezielt angebaut wurden. Mögliche frühe schriftliche Erwähnungen könnten auch Pastinaken (Pastinaca sativa) betreffen, was sprachlich schwierig zu unterscheiden ist. Diese waren zur Zeit der Römer ein beliebtes Wurzelgemüse, dessen Saft während der Pest als Heilmittel eingesetzt wurde. Die stärkehaltige Wurzel hatte im Mittelalter einen ähnlichen Stellenwert wie etwa für uns heute die Kartoffel. Dann, um das 12. Jahrhundert kamen zu den weisslichen heimischen Karotten auch die ersten rotvioletten und gelben Möhren aus dem Iran über Spanien nach Europa. Und es entstanden bekanntlich verschiedene weitere Farben; das klassische, orange Rüebli unserer Zeit kennt man allerdings erst seitAnfang des 18. Jahrhunderts.

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Mit Rüben gegen Napoleon

Das Rüebli könnte sprachlich sehr leicht mit der Rübe verwechselt werden (siehe unten). WährendMöhre und Pastinake jedoch zu den Doldenblütlern gehören, sind die Wilde Rübe (Beta vulgaris) und ihre Nachkömmlinge ein Fuchsschwanzgewächs. Ursprünglich wächst sie vor allem im Mittelmeerraum Südeuropas und Nordafrikas. Wie ihr lateinischer Artname schon suggeriert, stammt von ihr die Rote Beete ab, die in der Schweiz auch Rande genannt wird. Weitere Zuchtformen sind Mangold, Futterrübe und Zuckerrübe. Letztere wurde im 18. Jahrhundert auf einen hohen Zuckergehalt selektiert und bot damit auch dem nördlichen Europa die Möglichkeit, den süssen Stoff zu gewinnen. Bis dahin musste die Bevölkerung ihre Lust auf Süsses mit Honig und teurem Rohrzucker stillen. Letzterer wird aus Zuckerrohr (Saccharum officinarum) produziert, welches im 5. Jahrhundert n. Chr. zum ersten Mal im ostasiatischen Raum angebaut und während der Kreuzzüge nach Europa gebracht wurde. Da das Süssgras jedoch nur in tropischen und subtropischen Gebieten wächst, war der Anbau in Mitteleuropa unmöglich. Napoleons Kontinentalsperre Anfang des 19. Jahrhunderts verteuerte den Import von Rohrzucker zusätzlich, und verhalf der Zuckerrübe zum Siegeszug nördlich der Alpen. Heute bauen in der Schweiz 4500 Landwirte entsprechende Rüben an und versorgen die Schweizer Zuckerfabriken mit dem benötigten Rohstoff.

Schon gewusst?
Die Namen verschiedener Gemüsesorten kann verwirrend sein. Folgende Bezeichnungen sind Synonyme:
Rüebli; Karotte, Mohrrübe, Gelbrübe, Gelbe Rübe, Riebli, Wurzel
Steckrübe; Kohlrübe, Kohlrabi, Butterrübe, Erdkohlrabi,Unterkohlrabi, Bodenkohlrabi, Runke, Runkelrübe, Knutsche
Rübkohl; Kohlrabi, Stängelrübe, Luftkohlrabi, Oberkohlrabi, Oberrübe
Randen; Rote Beete, Rote Bete, Rote Rübe, Rahne
Rotkohl; Blaukraut, Rotkraut, Blau- bzw. Rotchabis

Von der Zierpflanze zum Grundnahrungsmittel

Aus einer ganz anderen Ecke der Welt kommen Kulturpflanzen aus der Familie der Nachtschattengewächse. Tomaten (Solanum lycopersicum) wurden in der Maya-Kultur und anderen Völkern Mittel- und Südamerikas seit 200 v. Chr. angebaut. Nach der Eroberung Mexikos brachte der Spanier Hernán Cortés die Pflanze erstmals nach Europa. Ihren Namen bekam sie in Anlehnung an den aztekischen Namen «Tomatl» («dickes Wasser»). Im 16. und 17. Jahrhundert wurde die Tomate dann als Wohlstandssymbol in den Gärten der Oberschicht gepflanzt. Sie galt damals als Zierpflanze, und man war überzeugt, dass die Früchte giftig oder zumindest nicht essbar seien. Erst Anfang des 18. Jahrhunderts begann man in Italien, die Frucht nebst in der Medizin auch als Nahrungsmittel einzusetzen. Um 1900 gelangte die Tomate dann schliesslich weiter in den Norden und hielt Einzug in die zentraleuropäische Küche. Die Kartoffel (Solanum tuberosum) stammt ebenfalls aus Südamerika, wo sie bereits vor rund 8000 Jahren domestiziert wurde. Bei einer Expedition in die Hochebene von Kolumbien lernte der Spanier Gonzalo Jiménez de Quesada die Knolle kennen. Wer sie allerdings wann genau nach Europa brachte, ist bis heute nicht genau geklärt.

Die frühste Erwähnung stammt aus den Büchern eines Krankenhauses in Sevilla, Spanien, welches 1573 Kartoffel eingekauft hat. Wegen ihrer schönen Blüte wurde die Kartoffelpflanze erst ähnlich wie die Tomate als Zierpflanze verwendet und hauptsächlich in botanischen Gärten angepflanzt. Auch Marie-Antoinette soll auf Bällen einen Kranz der zarten Kartoffelblüten im Haar getragen haben. Versuche, die oberirdischen Früchte zu essen, endeten oft mit Bauchschmerzen, weswegen die Kartoffel ebenso wie die Tomate lange als giftig galt. Wie genau entdeckt wurde, dass die gekochte Knolle essbar war, ist nicht bekannt. In der Schweiz wird die Kartoffel seit Anfang des 18. Jahrhunderts als Speisepflanze angebaut und fand nicht zuletzt als Rösti ihren Platz in der Volksküche. Heute sind den Schweizerinnen und Schweizern 73 Kartoffelsorten bekannt und die Knolle ist mit jährlich 490 000 Tonnen nach dem Weizen die am meistengeerntete Feldfrucht.

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Kolumbus’ Souvenir

Von der Paprika (Capsidium) gibt es ca. 25 wilde Arten, davon sind fünf Arten zwischen 5300 und 3400 v. Chr. in Zentral- und Südamerika domestiziert wurden. Christoph Kolumbus lernte auf Hispaniola die etwa ein Zentimeter grossen, scharfen Früchte kennen, welche die Einheimischen zum Würzen ihrer Speisen verwendeten. Die Paprikas kamen im frühen 16. Jahrhundert nach Europa und wurden zu sich in der Schärfe unterscheidenden Sorten gezüchtet. Es ist der Chili, der nebst Pfeffer heute weltweit die am meisten verwendete Grundlage zum Schärfen von Speisen ist. Der Block- oder Gemüsepaprika fehlt hingegen jegliche Schärfe und ist als mildes Gemüse international beliebt.

Kolumbus berichtete über eine weitere Pflanze, die er 1492 in Kuba kennengelernt hatte: den Kürbis(Cucurbita). Die runden Früchte der Pflanze waren ein Grundnahrungsmittel der Maya und Azteken. Unser heutiger Gartenkürbis, aber auch die Zucchetti stammen vom Texanischen Wildkürbis (Cucurbita texana) ab, andere Speisekürbisse wie der Hokkaido sind Zuchtformen des Riesenkürbis (Cucurbita maxima), dessen Wildform aus Argentinien und Uruguay stammt, oder des Moschuskürbis (Cucurbita moschata, beispielsweise Butternut).

Von seinen Reisen nach Amerika brachte Kolumbus zudem den Mais (Zea mays) nach Europa. Er stammt von der Teosinte (Zea) ab, einer Pflanzengattung innerhalb der Familie der Süssgräser, die zuerst inZentralamerika angebaut wurde. Zu den ersten Funden zählen Maisreste aus dem mexikanischen Tal von Tehuacán, von wo auch die ersten Nachweise des Anbaus von Amarant (Gattung Amaranthus) stammt, einer weiteren alten Nutzpflanze. Während die Teosinte als Fruchtstand eine schlanke Ähre mit nur wenigen Körnern trug, wiesen die Kolben des kultivierten Mais um 700 n. Chr. bereits bis zu 160 Körnern auf. In der Schweiz wird der Mais seit dem 17. Jahrhundert im feuchtwarmen Klima des St. Galler Rheintals angebaut. Heute wächst hier primär Speisemais, während im Rest der Schweiz vor allem Futtermais zu finden ist. Nach Weizen und Kartoffeln hält der Mais mit rund 220 000 Tonnen den schweizerischen Rekord für die jährliche Erntemenge.

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