Die schmale Strasse, die Ausgangs Roggwil (BE) von der Eisenbahnbrücke links abbiegt, verläuft noch einige Hundert Meter entlang der Bahnschienen, bevor sie unvermittelt in einem grünen Paradies endet. Eingangs des Naturschutzgebietes Mumenthaler Weiher-Brunnmatte taucht ein älteres beiges Haus auf, direkt dahinter erstrecken sich lange Betonbecken, die mit dem Grün ringsum zu verschmelzen scheinen. Ein einziger roter Farbtupfer bewegt sich mitten durch das grüne Meer. Ausgestattet mit hohen Fischerstiefeln watet Silvia Merz im roten T-Shirt in gebückter Haltung durch eines dieser Becken. Mit einer Rasenschere schneidet sie die festen rundlichen Blätter der Brunnenkresse (Nasturtium officinale), die sich wie ein Teppich über das Wasser legt, ab und sammelt sie in einem Einkaufskorb.

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50 bis 60 Kilogramm der aromatischen, ja gar leicht scharfen Pflanze, die nur in fliessendem, sauberem und mineralreichem Quellwasser gedeiht, erntet die Betriebsleiterin der BrunnBachKresse GmbH in der Hauptsaison täglich. «Um 7 Uhr morgens steige ich jeweils ins 40 Zentimeter tiefe Wasser und schneide so viel Kresse, wie für den Tag bestellt ist», erklärt Silvia Merz. Erntesaison ist zweimal jährlich: vom Frühling bis in den Sommer und von August bis zum ersten Frost. Nur im Juni und Juli, wenn die Pflanze feine weisse Blüten trägt, ist sie nicht zum Verzehr geeignet.

«Ein traumhaft schöner Ort, an dem ich arbeite.»
 

Abnehmer der jährlich sechs Tonnen des Bio-Suisse-zertifizierten Blattgemüses der ersten Klasse, welches reich an Vitamin A und C sowie Kalzium und Jod ist, sind der Obst- und Gemüsehändler Marinello für den Gastrobereich, Biopartner für die verschiedenen Bioläden, Marktfahrer von regionalen Wochenmärkten und Privatkunden. Die Ernte zweiter Klasse, jährlich bis zu 20 Tonnen, wird jeweils von der Gesundheitsmarke A. Vogel im französischen Colmar zu Herbamare-Kräutersalz verarbeitet.

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Salat, Suppe und sogar Spezialbier

Brunnenkresse, die etwa im Entlebuch und Emmental in Bächen auch wild gedeiht, kann in der Küche äusserst vielseitig eingesetzt werden. «Die Kresseblätter lassen sich ähnlich wie Spinat oder Bärlauch roh und gekocht verwenden», so Merz. Als Beilage zu Fleisch schmeckt Kresse sehr gut, sie lässt sich aber auch zu Pesto oder Kräuterbutter verarbeiten und es gibt sogar Glacé und Bier mit einer Brunnenkresse-Note. Feucht verpackt, lässt sich Kresse im Kühlschrank bestens drei bis fünf Tage lagern, erklärt die Betriebsleiterin, während sie mit ihrer Tagesernte Richtung Haus marschiert. Wo früher die Mitarbeitenden des landwirtschaftlichen Betriebes ihre Unterkunft hatten, befinden sich heute im oberen Stock Lagermöglichkeiten und im Erdgeschoss das Büro von Silvia Merz.

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Als sie von dort auf die 26 von Bäumen und Sträuchern gesäumten 30 oder sogar 50 Meter langen Becken blickt, von denen noch einige Nebelschwaden aufsteigen, spricht Silvia Merz aus, was sich wohl jeder Besucher denkt: «Ein traumhaft schöner Ort, an dem ich arbeiten darf.» Wie die besonnene und sympathische Frau zu diesem Arbeitsplatz kam und wie ausgerechnet hier die schweizweit einzige Anlage entstand, in der echte Brunnenkresse angebaut wird, das sind zwei spannende Geschichten.

Mönche, Motzet und dann Merz

Silvia Merz gelangte vor einigen Jahren eher zufällig als Erntehelferin ins zwölf Hektaren umfassende Oberaargauer Naturschutzgebiet Mumenthaler Weiher-Brunnmatte, von dem ein Drittel der Fläche für den Kresseanbau genutzt wird. Und es gefiel ihr so gut in und um die Kressebäche, dass sie direkt geblieben ist, erzählt die Inhaberin eines Handelsdiploms, die zuvor beim Gericht arbeitete und einige Jahre eine Kinderkleiderbörse führte. In einem 70-Prozent-Pensum ist sie von der BrunnBachKresse GmbH angestellt, die 2018 von der Stiftung Wasserland Oberaargau gegründet wurde. Hilfe erhält sie von einigen im Stundenlohn angestellten Erntehelfern sowie von der Geschäftsführerin, die ehrenamtlich tätig ist. Die Berufsschullehrerin Renate Seitzinger steht im engen Austausch mit Silvia Merz und engagiert sich vor allem für strategische Belange des Betriebes, die Zusammenarbeit mit der Stiftung Wasserland Oberaargau und den Auftritt in der Öffentlichkeit.

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Als GmbH war die Brunnenkresseanlage allerdings nicht immer organisiert. Bereits im 13. Jahrhundert nutzten Zisterziensermönche von St. Urban mit einem ausgeklügelten Bewässerungssystem das unheimlich wasserreiche Langetental für eine effiziente Graswirtschaft. Als 1905 der Erfurter Mathias Motzet das langgestreckte, wasserreiche Grundstück linksseitig der Bahnlinie Langenthal–Wynau sah, kaufte er es und legte eine Fischzucht, eine Baumschule und eben eine Brunnenkressekultur an. Drei Generationen lang wurde der Betrieb innerhalb der Familie geführt. Er war seit jeher der einzige seiner Art in der Schweiz. Der Anbau und die manuelle Ernte in den über hundert Jahre alten Betonbecken, durch die das Quellwasser durchgeleitet wird, können heute als lebendiges Kulturerbe bezeichnet werden.

Im deutschen Erfurt, dem Herkunftsort der Familie Motzet, liegt ein bekanntes Anbaugebiet von Brunnenkresse. Auch in Frankreich wird dieses Blattgemüse kultiviert und in England befindet sich der Hotspot des Brunnenkresseanbaus. In den dortigen Betrieben wird die Ernte sogar maschinell erledigt.

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Balance zwischen Tierreich & Natur

Eine ausschliesslich manuelle Bewirtschaftung ist arbeitsintensiv. Es warten aber noch einige andere, zumeist tierische Herausforderungen um die Kressebäche in Wynau. Zum einen wäre da der Biber, der im oberaargauischen Naturschutzgebiet optimale Bedingungen vorfindet und sehr aktiv ist. Regelmässig treffe sie frühmorgens auch Enten oder Fischreiher in den Becken an.

«Unser grösster Widersacher ist aber seit rund 20 Jahren der Meerrettichblattkäfer», sagt Seitzinger und zeigt auf ein Becken, in dem die Kresseblätter mit kleinen Löchern perforiert sind. Der sehr kleine, grünlich schimmernde Käfer sorgt dafür, dass ein beachtlicher Teil der Ernte nicht in den Verkauf kommt, sondern direkt im Kompost landet. «Da wir nach biologischen Grundsätzen arbeiten, ist es uns nicht möglich, mit einem Insektizid gegen den Schädling vorzugehen», so die Geschäftsführerin. Und einen effektiven sonstigen Schutz vor dem Eindringling hätten sie noch nicht entdeckt. Eine gute Balance zu finden, zwischen der erfreulicherweise im Naturschutzgebiet umfangreich vertretenen Tierwelt und einem wirtschaftlichen Anbau, sei nicht immer ganz einfach, gibt Silvia Merz zu.

«Ein Käfer ist unser grösster Widersacher.»

An den begrenzten finanziellen Mitteln liegt es auch, dass die mittlerweile in die Jahre gekommenen Betonbecken nicht umfassend saniert werden können. Es würden nur jeweils die allernötigsten Stellen behelfsmässig ausgebessert, sagt Geschäftsführerin Renate Seitzinger. Mit Führungen durch den schönen Ort, wo sich eine landwirtschaftliche Nutzung harmonisch in die geschützte Natur integriert, können noch etwas zusätzliche Mittel generiert werden.

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Beim abschliessenden Rundgang zu den im hinteren Bereich gelegenen Kressebächen wird nochmals sichtbar, wie abwechslungsreich der Job von Silvia Merz ist, aber auch welche Herausforderung die Koexistenz mit der Tierwelt darstellt. In einer Zuflussrinne haben sich drei junge Entchen verfangen. Mit eigener Kraft schaffen sie es nicht, die kleine Stufe zu überwinden. Also eilt Silvia Merz zum Haus, um dort einen Kescher zu holen, mit der sie die Entchen aus ihrer misslichen Lage befreien kann.