Hunde sind verfressen und verschlingen alles, was man ihnen vorsetzt – so das gängige Klischee. Nicht so Leo. Das Fressverhalten des Border-Collie×Boxer-­Mischlings bereitete seinem Frauchen vom Junghundalter an Sorgen. «Egal, was ich ihm vorgesetzt habe, vom hochwertigen Trockenfutter bis zum Nassfutter vom Discounter – nach ein paar Wochen verweigerte Leo jedes Essen», erinnert sich Nadine Graage.

Nach fünf Jahren fand die Luzernerin schliesslich eine Lösung: Barf – ein Akronym für «biologisch artgerechtes rohes Futter». Seither erhält Leo täglich seine Mahlzeiten aus rohem Fleisch, Innereien, Gemüse, Kräutern und Öl – ein Menü, das schnell Veränderungen mit sich brachte. «Sein Fell wurde glänzender, sein Blick klarer und er hat mit seinen neun Jahren kaum Zahnstein», sagt Graage. Seit drei Monaten hält sie neben Leo noch einen Welpen namens Leni. Auch sie wird gebarft – mit den Vorteilen, die auch andere Barfer jeweils aufführen: Das Immunsystem des Hundes wird gestärkt, wodurch er weniger Parasiten, dafür stärkere Bänder, Sehnen und Muskeln entwickelt. Auch der Halter selber profitiert: Da das Futter besser verwertet wird, setzt der Hund weniger Kot ab. Und durch die Ernährung mit frischen Nahrungsmitteln verliert der Hund auch den teils üblen Geruch aus Maul und Fell.

Weg vom krank machenden Industriefutter
Aufgekommen ist Barf vor 50 Jahren in den USA. Seit den 1990er-Jahren ist diese Ernährungsform auch im deutschsprachigen Raum bekannt. Zu verdanken ist dies Swanie Simon. Die Tierheilpraktikerin hat ihr Wissen mit Literatur und einer Website dem deutschsprachigen Publikum zugänglich gemacht, wodurch auch Graage auf das Barfen aufmerksam geworden ist.

Das zentrale Element beim Barfen ist ein Umdenken: weg vom Industrie-, hin zum Frisch­futter. Dies als Folge eines vermehrten Nachdenkens der Hundehalter darüber, was sie ihrem Vierbeiner täglich vorsetzen. Eine Frage, die bei industriell hergestelltem Fertigfutter teilweise erschreckende Antworten zutage fördert, wie Simon festhält. Selbst wenn Hersteller behaupten, ihr Futter sei frei von Chemikalien, Konservierungsmitteln und Geschmacksverstärkern, so seien eben diese Stoffe meist trotzdem enthalten – in den Vorprodukten, die nicht deklariert werden müssen. Ausserdem bestehen die meisten Fertigfutter zum grössten Teil aus Getreide, was man in der Analyse umgehe, indem man die Getreidesorten einzeln auflistet. «So ist es möglich, Fleischmehl als erste Zutat aufzuführen, obwohl zusammengerechnet die Hauptzutat gemischtes Getreide ist», sagt Simon.

Eine auf Getreide basierende Ernährung sei jedoch grundsätzlich falsch für den Hund. Der Grund: Die Produktion der Verdauungssäfte erfolgt beim Hund durch den Schlüsselreiz Fleisch. Mit dem hohen Getreideanteil im Fertigfutter werden Magensäfte nicht ausreichend gebildet – mit fatalen Folgen: «Bakterien werden nicht abgetötet, es kommt zu Fehlgärungen, Durchfall, Magenumdrehungen und Parasitenbefall», hält Simon fest. Nicht umsonst gilt Getreide als Hauptauslöser von Allergien bei Hunden. Zur selben Schlussfolgerung kommt auch die österreichische Tierärztin Jutta Ziegler in ihrem Buch «Hunde würden länger leben, wenn …»

Wie der Wolf, so der Hund
Nun wird oft behauptet, der Hund habe sich längst vom Wolf emanzipiert und als Resteverwerter des Menschen auch seine Ernährung umgestellt. Hier hält Simon dagegen: Ein Organismus brauche mindestens 10 000 Jahre, um sich auf eine totale Ernährungsveränderung umzustellen. Fertigfutter gibt es seit etwa 60 Jahren. In dieser Zeit habe sich der allgemeine Gesundheitszustand der Hunde drastisch verschlechtert. Simon ist überzeugt: «Das hängt mit der schlechten Ernährung zusammen.»

Mit Barf gehen Hundehalter deshalb zurück zur Natur und ernähren ihre Vierbeiner nach dem Vorbild des Wolfes. Der reisst ganze Tiere, zum Beispiel Rehe, Hirsche, Hasen, Hühner oder Rinder und verwertet seine Beute fast komplett: von den Knochen über das Fell bis hin zu den Innereien samt Inhalt, gespickt mit Gemüse, Obst, Kräutern, Beeren und Gräsern. So bekommt er alle für ihn wichtigen Nährstoffe wie Eiweiss, Fett, Mineralien, Enzyme und Ballaststoffe. Diesem Menüplan des Wolfes ist das Barfen nachempfunden. In den Hundenapf kommt, was die Natur auch dem Wolf hergibt: rohes Fleisch, Innereien, Knochen, Gemüse, Früchte, Kräuter und Öle.

Da der domestizierte Hund ja bekanntlich keine Beutetiere jagen soll, liegt es am Halter, die Nahrung des Hundes aus den verschiedenen Elementen zusammenzustellen. Die pflanzlichen Bestandteile wie Gemüse und Obst kann man sich im Lebensmittelladen besorgen, die tierischen Komponenten beim Metzger oder verschiedenen Barf-Anbietern, welche Fleisch und Innereien abgepackt in gefrorener Wurstform anbieten.

Halter in der Verantwortung
Bevor es so weit ist, muss sich der Halter zuerst mit den individuellen Bedürfnissen seines Hundes auseinandersetzen. Fachliteratur wie jene von Swanie Simon bieten hier erste Anlaufstellen, um sich einen Überblick zu verschaffen. Auch finden sich im Internet standardisierte Rechnungsmethoden, wie viel der einzelnen Bestandteile der Hund braucht.

Einsteigern wird jedoch empfohlen, sich vorgängig bei einem Barf-Berater zu melden. Schliesslich gibt es bei der Umstellung von Fertig- auf Rohfutter einiges zu beachten. Graage hat ihren Leo von einem Tag auf den anderen nur noch roh gefüttert – ohne Probleme. Inzwischen ist sie selber, neben ihrer Arbeit als Architektin, in Ausbildung zur Ernährungsberaterin nach Jutta Ziegler und weiss, dass bei den Tierbesitzern gerade am Anfang ein Bedürfnis nach Beratung besteht.

Dass es sich lohnt, sieht Graage täglich bei ihrem Leo. Es gibt kein Fleisch oder Gemüse, das der Rüde nicht mag. Zur Abwechslung zum gewolften Fleisch landet so auch mal ein rohes Rinderohr, ein ganzer Fisch, ein ganzes Poulet zu Ostern oder – Leos Lieblingssnack – ein Stück Pansen im Hundenapf. Das selige Schmatzen ihres ehemaligen Sorgenkindes bezeichnet Graage denn auch als ihre persönlich grösste Freude: ihren Leo beim Fressen so glücklich zu sehen.

www.barfers.de
www.petnatura.ch

Beispiel eines Menüplans
Je nach Aktivitätsgrad benötigt der Hund zwischen 2 und 4 Prozent seines Körpergewichts an Futter pro Tag, in der Regel 2 Prozent. Davon sollten 80 Prozent aus tierischen Erzeugnissen wie Fleisch, Knochen, Innereien wie Leber und Herz und 20 Prozent aus pflanzlichen Erzeugnissen wie Gemüse, Obst und allenfalls ein wenig Getreide bestehen. Ein Hund, der 20 Kilogramm auf die Waage bringt, braucht demnach am Tag 400 Gramm Futter, bestehend aus 320 Gramm tierischen plus 80 Gramm pflanzlichen Produkten. Aber Achtung: Ein optimaler Futterplan ist von vielen Faktoren abhängig und muss individuell auf jeden Hund abgestimmt werden, um Mangelerscheinungen vorzubeugen.