Viele Hunde haben Angst vor dem Tierarzt. Die Gründe dafür sind vielfältig und nicht immer sind schmerzhafte Erfahrungen der Auslöser. Verhaltensbiologin Stefanie Riemer von der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern weiss, dass manche Vierbeiner bereits skeptisch werden, wenn sich ihnen eine fremde Person nur nähert. «Für den Hund ist der Tierarzt einfach eine fremde Person, die seine Individualdistanz nicht respektiert und ihn überall anfasst.» 

Im Rahmen ihrer Masterarbeit an der Vetsuisse-Fakultät erarbeitete Tiermedizin-Studentin Maya Grieder zusammen mit dem Team der HundeUni Bern ein neues Trainingskonzept, das ängstlichen Hunden beim Tierarzt zu mehr Entspannung verhilft. Im sogenannten Happy Visit soll dem Hund Vertrauen in die Situation vermittelt und mit positiven Assoziationen eine freudige Erwartungshaltung geschaffen werden. 

Den Hunden wird das reinste «Schlaraffenland» geboten, wie Grieder es nennt. Selbstbestimmung ist grossgeschrieben. So darf der Hund im Behandlungszimmer frei herumlaufen und hierdurch selber entscheiden, wie weit er sich vorwagen möchte. Nach Lust und Laune darf er sich an Nass- und Trockenfutter bedienen. «Kennt man die Lieblingssnacks vom Hund, kann man natürlich auch diese verwenden.» Die positive Assoziation durch das Futter soll das Negative am Besuch übertönen – denn auch unangenehme Erlebnisse werden leichter weggesteckt, wenn bereits im Vorhinein eine positive Grundstimmung besteht. Am besten ist jedoch, die ersten Happy Visits vollkommen positiv und ohne Untersuchung zu gestalten.

Möglichst lange Ablenkung
Damit sich der Hund nicht unnötig erschreckt, sollten Futternäpfe rutschfest und geräuschfrei sein. Eiswürfelbehälter aus Silikon verhindern zudem, dass verfressene Angsthasen alles in Sekundenschnelle herunterschlingen. «Damit der Happy Visit auch wirklich in Erinnerung bleibt, sollten die Hunde mindestens fünf Minuten mit dem Futter beschäftigt sein», rät Grieder. So dürfe das Futter nicht allzu schwer zu erreichen sein. Sollte der Appetit von der Angst übertönt sein, empfiehlt Grieder eine Lecktube zu benutzten. «Bei Angst ist das Lecken meist länger möglich für den Hund, als etwas zu kauen.» 

Vom Grad der Angst hängt auch der Erfolg des Trainingskonzeptes ab. «Liegt Angst vor, bedeutet es einen gewissen Aufwand, diese loszuwerden», sagt Grieder. Extrem ängstliche Hunde benötigten dann auch mehrere Happy Visits und zwischen den normalen Tierarztbesuchen weitere positive Erlebnisbesuche in der Klinik ohne Untersuchung. Zudem kann es immer mal zu Rückschlägen kommen. Happy Visits helfen dann, das Vertrauen in die Situation wieder herzustellen. 

Den Schleckteil nicht verpassen
Nicht immer ist ein Happy Visit beim Tierarzt möglich, aber selbst dort können Hundebesitzer viel tun. Den Hund zuhause ans Anfassen gewöhnen, im Wartezimmer ablenken oder mit ihm draussen warten, kann helfen. «Man sollte Leckerli mitnehmen – am besten in einem Schälchen oder zum Lecken», rät Grieder. Dass der Hund sich selbst bedienen könne, sei gerade bei sehr sensiblen Hunden wichtig. «Diese können sich bereits durch das Annehmen des Leckerlis direkt vom Besitzer unter Druck gesetzt fühlen.» Hunde sind aus­serdem weniger gestresst, wenn sie von ihren Besitzern gehalten werden. 

Grieder empfiehlt die Zeit der Konsultation zu nutzen. «Noch bevor der Halter dem Tierarzt das Problem schildert, kann er mehrere Schälchen mit Leckereien auf den Boden stellen und seinen Hund ableinen, damit dieser frei erkunden kann.» Auch während der Untersuchung selbst sollte auf positive Erlebnisse nicht verzichtet werden – die besagte Lecktube wirke oft Wunder.

Bei den Vierbeinern kommt Grieders Konzept richtig gut an: Zoom und Elfie waren bereits auf dem Weg zu ihrem zweiten Besuch im «Schlaraffenland» vor Vorfreude kaum zu halten, so eilig hatten die beiden Schweisshund-Dackel-Mischlinge es, in die Behandlungsräume zu kommen. «Sie liefen ohne Widerwillen in die Klinik. Selbst zu den Untersuchungsräumen rannten sie von alleine», erinnert sich Besitzerin Lucia Moreno. 

Dabei hatten Zoom und Elfie früher Angst vor dem Tierarzt. Etliche Schmerzen aufgrund von schweren Operationen hatten das Ihre dazu beitragen. Dank der Happy Visits haben die beiden Senioren kürzlich selbst einen früher gefürchteten Untersuchungsmarathon mit Bravour gemeistert. «Es gab kein grosses Zittern bei Zoom und auch Elfie wollte um nichts in der Welt den Teil mit dem Schlecken verpassen!»