Wenn Hunde hintereinander herrennen, sich gegenseitig anrempeln und aneinander hochspringen, beurteilen das viele Hundehalter als Spiel. Wenn die Hunde dabei knurren, die Zähne zeigen oder ihr Fell zur Bürste aufstellen, sind sie sich dann oft nicht mehr ganz so sicher: Spielen die noch oder kämpfen sie schon?

Mit dieser Frage beschäftigt sich auch Sonja Doll. Nach ihrer über 20-jährigen Tätigkeit als Hunde-Verhaltenstherapeutin ist sie überzeugt: Es gibt kaum einen Verhaltensbereich, bei dem so viel fehlinterpretiert wird wie beim Spiel unter Hunden. Viele Halter hätten die Erwartung, dass ihr Hund mit allen Artgenossen gut auskommen und spielen soll, stellt Doll fest. «So ist der Hund – ihrer Meinung nach – artgerecht beschäftigt, man hat Spass beim Zuschauen, und der Vierbeiner ist ohne viel Aufwand gut bewegt.» Das entspreche jedoch nur selten den Bedürfnissen eines erwachsenen Hundes. Stattdessen neigten die Leute dazu, das Spielverhalten durch die «rosarote Brille» zu betrachten.

Echtes Spiel braucht Vertrauen
«Dass sich Hunde in einem Spiel befinden, zeigen sie mit deutlichen Körpersignalen an», sagt Doll. Dazu gehört das sogenannte Spielgesicht. Dabei ist der Fang leicht geöffnet, die Augenpartie entspannt und die Ohren manchmal leicht zurückgezogen. Charakteristisch für ein Spiel sind die gebogene Rute und die übertriebenen Bewegungen, die die Hunde an den Tag legen. «Sie hoppeln quasi im Galopp und fordern einander mit der klassischen Vorderkörper-tief-Stellung zum Rennspiel auf.» Ausserdem legen die Hunde immer mal wieder Pausen ein und tauschen ihre Rollen, wie Doll erklärt. «Der Gejagte wird zum Jäger, und der Stärkere lässt sich auch mal vom Schwächeren überwältigen.»

So können Hunde immer wieder lernen, wie man sich gegenüber Artgenossen und der Umgebung verhält. Entscheidend dabei ist, dass der Ernstbezug fehlt. «So wird ohne akute Gefahr Fluchtverhalten geübt, man reitet sich gegenseitig auf, der Spielgefährte wird als ‹Ersatzbeute› bejagt oder als ‹Ersatzgegner› bekämpft, ohne dass es zu ernsthaften Verletzungen kommt.» Das bedingt jedoch, dass sich die Hunde sicher und wohl fühlen. Ein unbeschwertes Spiel findet gemäss Doll deshalb ausschliesslich zwischen miteinander vertrauten Hunden statt, also zwischen Geschwistern, mit den Elterntieren oder mit Hunden, die sich mögen und regelmässig sehen.  

Spiel als Konfliktlösestrategie
Wenn wenig vertraute, erwachsene Hunde miteinander spielen, handelt es sich gemäss Doll immer um ein «Pseudospiel». Anders als beim echten Spiel verfolgt hierbei mindestens einer der Hunde ein ganz klares Ziel. Das Spiel wird dabei als bewusste Strategie eingesetzt: zur Lösung eines Konflikts, als Test oder zum Sammeln von Informationen.

So geht es beim Spiel zwischen Rüde und Hündin, die sich nicht kennen, meist um Werbeverhalten mit dem Ziel, eine Beziehung aufzubauen. «Reagiert die Hündin auf die Avancen des Rüden mit Abwehrverhalten, wird dieser beschwichtigend reagieren, aber umgehend und hartnäckig weitermachen, ganz nach dem Motto: Steter Tropfen höhlt den Stein.» Jugendliche Hunde wiederum verfallen gern in ein Spiel im Sinne eines Ablenkungsmanövers, wenn eine Situation mit Artgenossen angespannt und brenzlig wird. Bei Begegnungen zwischen Jungrüden hingegen werden unter dem Vorwand «Alles nur Spiel» Informationen über den anderen gesammelt, dessen Körperkraft und Nervenstärke geprüft und die eigene Macht demonstriert.  

Dieses strategische Spiel sei nicht grundsätzlich schlecht, sagt Doll. «Im Gegenteil, es stellt einen sehr wichtigen Teil hündischen Sozialverhaltens dar und muss durchaus geschult werden.» Es sei aber entscheidend, die richtigen Ausgangssituationen und geeigneten Spielpartner dafür auszuwählen und die Hunde dabei gut zu beobachten. So empfiehlt Doll, fremde Hunde nicht einfach gleich ohne Leine aufeinander loszulassen, wie das auf Hundewiesen oft der Fall ist. «Es ist nunmal etwas ganz anderes, ob mir mein bester Kumpel nachhetzt oder ich von einem oder gar mehreren Wildfremden verfolgt werde. Da kann es der ‹Hase› schon mal mit der Angst zu tun kriegen.» Als Alternative empfiehlt sie, dass man erst mit den angeleinten Hunden gemeinsam ein Stück spaziert, sie dann paarweise laufen lässt, dabei gut beobachtet und auf kurze Spielsequenzen setzt.

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Das «Spielgesicht» und die überschwänglichen Bewegungen
zeigen: Der Hund will spielen.
Bild: Ch. Rothlin
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Die Gesichtsausdrücke der Hunde deuten an: Hier geht es nicht
mehr um ein Spiel.
Bild: S. Stone

Nicht nur Spiellaune zeigen Hunde mit ihrer Körpersprache an. Auch wenn das Spiel keines mehr ist, sieht man das dem Hund an, wie Doll erklärt: Der Gesichtsausdruck wirkt angespannt, seine Haare sträuben sich, es kommt zu zielgerichteten Bewegungen, steifem Stehen mit über dem Rücken getragener Säbelrute und dauernden Aufreitenversuchen. «Auch wenn einer der Hunde zunehmend verunsichert wird, also den Fang geschlossen, die Ohren eng angelegt, den Rücken rund macht und die Läufe eingeknickt sind, ist das ein deutliches Zeichen dafür, dass es sich bei der Begegnung nicht mehr um ein Spiel handelt», sagt Doll. Dasselbe gilt, wenn einer der Hunde dem anderen den Weg versperrt, wenn dieser schutzsuchend zu seinem Halter laufen möchte, oder das Spiel immer wilder wird. Dann wird es Zeit, die Begegnung zu unterbrechen.

«Sich annähern, schreien und eingreifen bewirkt meist eine Verschärfung des Streits und erhöht das Risiko von Verletzungen, insbesondere auch für den eingreifenden Menschen selber», betont Doll. Auch wenn der sich anbahnende Kampf bedrohlich wirkt: Haben die Hunde anfänglich den Weg über ein ‹Spiel› genommen, ist auch bei einer Eskalation eher mit einem Show- als mit einem Ernstkampf zu rechnen, wie Doll festhält. «Ausserdem gilt: Je lärmiger der Streit, desto geringer die Wahrscheinlichkeit grober Verletzungen.»

Eingreifen verschärft den Kampf
Die Hunde-Verhaltenstherapeutin rät deshalb den Haltern, sich in solchen Situationen in entgegengesetzter Richtung ein kleines Stück von den Streithähnen zu entfernen und dort ruhig zu warten, bis die Hunde ihre Rangelei selber beenden und zu ihren Haltern zurückkehren. «Falls möglich, wäre es für die Verarbeitung des Erlebnisses durch den Verlierer und auch für weitere Begegnungen sinnvoll, wenn man sich nicht sofort trennen würde, sondern die beiden Streithähne die Anwesenheit des anderen noch einen Moment tolerieren müssten, ohne dass sie aggressives Verhalten zeigen», sagt Doll.

Nach einem Kampf zwischen zwei Hunden sollten die Halter anschliessend ihre Hunde genau untersuchen und Adressen austauschen, weil allfällige Verletzungen oft erst zu Hause entdeckt werden. «Grundsätzlich gilt natürlich immer: Vorbeugen ist besser als ausbessern», sagt Doll. Wenn fremde Hunde von der Körpergrösse oder dem Temperament her schlecht zusammenpassen, die Tiere bereits hochgradig erregt, angespannt oder müde sind, steigt die Wahrscheinlichkeit unschöner Episoden. Dann empfiehlt es sich, anderen Hunden aus dem Weg zu gehen und stattdessen zu einem ausgiebigen Spiel zwischen Hund und Halter anzusetzen.